GWAR, 09.07.2010, Röhre, Stuttgart
Zuweilen kann man ja – wenn man zur rechten Zeit am rechten Ort ist – Spuren seltsamer Untergrundkulturen auffinden, etwa als in der vergangenen Woche eine Heerschar angenagter, nach Fleisch schreiender Zombies die Frankfurter Innenstadt unsicher machte, oder als gestern Abend eine Horde aufgeweichter und scheinbar mit Blut und Ähnlichem verdreckter Metaller die Stuttgarter Röhre verließ. Für den Außenstehenden mag so etwas schon irritierend wirken, wie man etwa an den Gesichtern zweier Streifenpolizisten oder vereinzelter junger Damen ermessen konnte.
Wie häufig bei solchen Spuren aber liegen Verursacher und Sinn im Verborgenen, gingen doch dieselben Metaller noch sauber, trocken und – szeneunüblich – häufig weiß gekleidet in die Röhre rein. Die Frage nach den Verursacher zumindest ist schnell geklärt: Schlachtplatte und Blutsuppe wurden von Gwar serviert, einer US-amerikanischen Thrash Metal-Band, die schon seit den 80er Jahren durch ihre Kostümierung und ihre Live Shows viel Aufmerksamkeit erregt. Vorstellen kann man sich das ein bisschen wie Lordi, die Gewinner des Eurovision Song Contests 2006, meets Titanic, das endgültige Satiremagazin, meets Fassanstich: Auf der Bühne trampelt eine Truppe martialischer Außerirdischer an der Grenze zum schlechten Geschmack entlang und setzt in Showeinlagen zu Themen aus Politik, Religion oder sexueller Orientierung den Pferdefuß immer so weit auf die andere Seite, dass es spritzt. Ein untergründiger Augenschmaus also. Und: „Auf die Musik kommt es gar nicht an,“ wie ein Konzertbesucher behauptete.
Aber von Anfang an: Denn so etwas kann man sich natürlich nicht entgehen lassen. Geschichten von legendären Gwar-Auftritten kenne ich schon seit Jahren, hatte aber noch nie die Gelegenheit, mir das mal selbst anzusehen. Bei vorliegender Konzertankündigung musste mich bertramprimus daher auch nicht überreden. Er daher gestern an der Kamera. Wir haben ja auch vorgesorgt: Man zieht nicht das beste Shirt an, lässt vorsorglich die Uhr zuhause und staffiert sich mit Müllbeuteln aus, um die Kamera zu schützen. Außerdem hat mir mal jemand erzählt: „Bei Gwar spritzt das Blut bis in die sechste Reihe.“ Wir also in die siebte, bertramprimus links, ich rechts.
Soweit die Kalkulation, aber da hatten wir die Rechnung ohne Gwar gemacht, die schon gleich zu Anfang zeigten, wer hier der Außerirdische im Haus ist: Klappe die erste; ein als Steve Wilkos Verkleideter betritt die Bühne und wird nach kurzem Hin und Her (hier ausnahmsweise noch ohne Text, vielleicht weil bei uns sowieso keiner weiß, wer Steve Wilkos ist) einen Kopf kürzer gemacht. Ich mache mir gerade noch eine Notiz für den Gig-Blog, und da ist sie dann auch, die erste einer langen Reihe von Blut, Sperma-, Urin- oder Eiterfontänen. Mit ihr ist dann auch klar, dass man schon hätte daheim bleiben müssen, um trocken zu bleiben. Ich habe gerade noch die Wahl, ob ich mein Bier oder meine Notiz schützen will, aber das Bier ist natürlich wichtiger. Nun, wenn schon mitgehangen, dann richtig und folglich rein ins Getümmel. Der leicht verzweifelte Gegenverkehr: eine Fotografin mit Angst um ihre Kamera.
Und während die nächsten vielleicht anderthalb Stunden handwerklich soliden, aber meines Erachtens keineswegs weltbewegenden Thrash Metals das heutige Ohrenpfeifen gründlich vorbereiten, geht es dann auch so weiter. Nacheinander darf eine Reihe bekannter Persönlichkeiten, Typen und Gottheiten antanzen, sich unter gezielter Missachtung jeder politischen Korrektheit beschimpfen und anschließend massakrieren zu lassen (rote Plörre) – außer vielleicht der janusköpfige Hitler/Jesus, der nach eigener Aussage nur hier sei „to jerk off“, und das dann auch tut (grüne Plörre): vom gepfählten Polizisten über Barny Gumble mit Amputationsverletzung, einem ruckartig entbarteten Osama bin Laden („I don’t like your haircut“) bis zu einem offensichtlich persönlichkeitsgespaltenen Teufel, dem in allen Einzelheiten widerfährt, was zu meinen Pennälerzeiten eine wortgeflügelte Drohung war.
Der Gipfel der Provokation ist dann wohl „Ratzinger, the Nazi-Pope,“ auf dessen Mitra und Stola Hakenkreuze prangen und der in deutlicher Reminiszenz an Stanley Kubriks „Dr. Seltsam“ (1964) Schwierigkeiten hat, seine eigenwillige Rechte vom Hitlergruß abzuhalten, bevor auch ihm der Garaus gemacht wird. Die Kunst fordert also mal wieder ihre Freiheit, wie etwa schon bei Jonathan Meese, der in Performances dieselben verfassungswidrigen Symbole veralberte.
Wie man sehen kann, wird mit Provokation also nicht gegeizt. Da wird manch einer erst einmal schlucken müssen. Derartige Satire ist mit bissig noch ein wenig harmlos beschrieben. Aber gerade deshalb funktioniert sie: Genauso wie bei der oben schon erwähnten Titanic, ist es gerade die Grenzwertigkeit der Darstellung, die zum Lachen bringt. Es ist lustig immer mit dem und wegen des Bewusstseins, dass einem bei der einen oder andern Pointe das Lachen dann doch mal im Halse stecken bleibt, weil die eigene Toleranz überstrapaziert wurde, und natürlich weil in einer endlosen Reihe die Drastik des Vorherigen beständig überboten wird. Das mag nun nicht jedermanns Sache sein, muss es aber auch nicht. Problematisch finde ich dagegen eher die mangelnde Subtilität von Gwar, die auf Dauer wohl ermüdet.
Überbietungsstrategien finden sich genauso im Horror- und vor allem Splatterfilm, deren Einfluss auf Gwar natürlich unverkennbar ist. Hier auf dem Konzert wird dieselbe Schreckenslust befriedigt, nur eben übersteigert in eine kunstbluttriefende Ganzkörpererfahrung. Die lässt sich zuhause dann fortsetzen, wenn man sich mit dem erstaunlich dunkelroten Duschwasser konfrontiert sieht. Für die Kleidung würde ich übrigens einen separaten Waschmaschinendurchlauf empfehlen – oder man hebt sie gleich für die Enkel auf.