ÓLAFUR ARNALDS, 09.05.2010, Rosenau, Stuttgart

olafur-09

Foto: Andreas Meinhardt

Als beim Umbau von Vorband auf Hauptattraktion des Abends vier Notenständer auf die Bühne getragen werden, erinnere ich mich noch nicht, dass ich dies alles schon einmal erlebt habe. Erst als vier Damen, bis auf die braunhaarige eine blonder als die andere mit ihren Streichinstrumenten in klassischer Quartett-Formation die Bühne betreten, gefolgt von einem schmalen rotblonden jungen Mann, Ólafur Arnalds, dämmert mir, dass Lino Recht hatte und wir damals im Schocken das Konzert zum Debutalbum Eulogy for Evolution gehört haben. Weil wir, das zahlreiche Publikum in der unbestuhlten Rosenau, dann noch aufgefordert werden Platz zu nehmen (auf dem Boden), weiß ich mit einem Schlag, dass ich meine Stilldemenz baldmöglichst überwinden muss. Auch im Schocken wurde gesessen. Das einzige was mich tröstet, ist, dass Lino sich auch nicht mehr wirklich erinnert hat. Seltsam eigentlich, doch der Reihe nach.

Die vier Landsmänner Arnalds’, die auf den Namen For a Minor Reflection hören und als Vorgruppe auftreten, ebenso wie Arnalds auch schon im Vorprogramm von Sigur Rós zu hören gewesen, machen den Einstieg mit den Worten „We’re used to play a lot lot louder…but…“ – gut, dass ich das nicht miterleben muss, mir ist’s in der kleinen Rosenau laut genug. Überhaupt nicht, dass der Post-Rock, den sie spielen, nur zum Vorprogramm taugen würde, in Island sind sie wohl eine der angesagten Nachwuchsbands, aber mir ist der melodische instrumentale Klangteppich zu schwer für diesen Abend.

Anders bei Ólafur Arnalds, der mit einer Mischung aus klassischer Instrumentierung und leiser Elektronik wundervoll zerbrechlich daherkommt und ein vielleicht nicht unbedingt an Klassik gewöhntes Indie-Publikum in Verzückung bringt. Wir Stuttgarter können froh sein, dass er auf seiner ausgedehnten Welt-Tournee mit seinem neuen, zweiten Album …and they have escaped the weight of darkness (erschienen auf seinem Label Erased Tapes) auch bei uns reinschaut.

In den etwa 80 Minuten erlebe ich viele synästhetische Augenblicke – dass ich in seinen kraftvollen Arrangements die Sterne in der kalten Polarnacht funkeln höre oder für mich die elegischen Streicher-Partien in einem dunklen Violett erscheinen. Bei Stücken mit Titeln in schönstem Isländisch, die zu verstehen man eine akustische Aussprachehilfe wie zu Eyjafjallajökull-Zeiten auf SpiegelOnline bräuchte, kommen einem allerlei kosmische und große Gedanken über Licht und Dunkel, Sein oder Nicht-Sein.

Dieser Ausnahmemusiker (in diversen Musikprojekten diverser Stilrichtungen mit diversen Instrumenten beteiligt) schafft eine wunderbar funktionierende Verbindung von Elektronik und Klassik, die man ähnlich bei anderen Nordlichtern auch schon gehört hat: bei Múm etwas kindlicher, bei Sigur Rós reduzierter und bei der großen Björk etwas verschrobener… wo bei anderen Gesang dazu kommt, verlässt Ólafur Arnalds sich hier nur aufs Instrumentelle – und seine epischen Kompositionen funktionieren. Für mich klingt nur Musik von der kleinen Insel im Nordatlantik so und diesmal bin ich mir sicher, dass ich mich beim nächsten Mal dran erinnern werde. Ganz bestimmt. Versprochen, Ólafur. Und das hat, Lino aufgepasst, nicht nur mit meiner Skandinavienbegeisterung zu tun.

7 Gedanken zu „ÓLAFUR ARNALDS, 09.05.2010, Rosenau, Stuttgart

  • 11. Mai 2010 um 08:31 Uhr
    Permalink

    Sehr hübsch, die synästhetischen Beschreibungen. Wir sollten mal wieder nach Island fahren… ;-)

  • 11. Mai 2010 um 08:42 Uhr
    Permalink

    ich pack schon mal die koffer…was machen wir mit den kindern? ;-)

  • 11. Mai 2010 um 09:10 Uhr
    Permalink

    pfft, ihr mit eurem Skandinavien. Die kochen aber auch nur mit ganz lauwarmen Wasser…

  • 11. Mai 2010 um 09:19 Uhr
    Permalink

    na, da fragste mal die leutleins, die in der nähe des eyjafjallajökull leben, mit wie warmem wasser in island gekocht wird…

  • 11. Mai 2010 um 10:49 Uhr
    Permalink

    Sehr schöner Bericht Regine,

    leider habe ich mich die 80min gefragt wo die Musik und vor allem die Kunst war. Ok war schon schön und teilweise zum dahinschwelgen. Mir war es aber auf Dauer zu eintönig und belehre mich jemand anderes aber das Klavierspiel waren ein paar Töne der Rest an Tönen und Geräuschen kam aus Computer oder den Effektgeräten. Große Kunst ???

    Naja und die Streicher das ist ja nun nicht seine Sache.

    Cheerio

  • 12. November 2015 um 22:17 Uhr
    Permalink

    …ähem, heute, fünf Jahre und einen Airwaves-Besuch später, habe ich leider wieder feststellen müssen, dass ich mich an all das, was ich da erlebt und worüber ich geschrieben hab, wieder nicht mehr erinnern konnte. Eine Schande ist das und ich gelobe Besserung, jetzt echt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

I accept that my given data and my IP address is sent to a server in the USA only for the purpose of spam prevention through the Akismet program.More information on Akismet and GDPR.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.