ELI „PAPERBOY“ REED, 27.04.2010, Universum, Stuttgart

Eli Paperboy Reed

Foto: Steffen Schmid

Mein erster Gig-Blog Beitrag und ich muss mich gleich mal entschuldigen – wenn das nicht ein miserabler Start ist, dann weiß ich auch nicht. Entschuldigen deswegen, weil die Show von Eli „Paperboy“ Reed, der „neuen Hoffnung des Soul“ (selbstausgedachtes Zitat) eigentlich ein Bombending war. Beisst Euch in den Arsch, Ihr Massen, dass Ihr lieber Champions League geschaut, Euch bei den Bollock Brothers gelangweilt oder sonst irgendwie sinnfrei Eure Zeit verplempert habt.
Und trotzdem kann ich den Abend hier nicht abfeiern – was ist nur los mit mir, entwickle ich mich eventuell zum notorischen Nörgler, Falten auf der Stirn, alle Backen verkniffen und immer ein „…aber…“ auf den Lippen? So bin ich nicht, ehrlich! Ihr macht Euch da ein falsches Bild von mir! Vielleicht sollte ich einfach alle Kleinigkeiten aufzählen, die mich verstört/entsetzt/gewundert haben, nur um sie dann voller Großmut mit theatralischer Geste hinweg zu fegen und Euch nochmals zu versichern, dass es ne große Show war, die da über die Bühne des Universums ging. Genau, so mach ich’s.

Es herrschte bei geschätzten 65 Besuchern eine recht intime Stimmung, durch die vielen bekannten Gesichter gar nicht mal unangenehm, und ein kollektives Gefühl zur In-Crowd zu gehören machte sich breit. Die antiken Instrumente und Verstärker sahen auch vielversprechend aus, und als sich die True Loves dann auf der Bühne verteilten, ergriff der Hammondorgler das Mikro und kündigte wortgewaltig in bester Soul-Revue-Manier von den Bläsern unterstützt den Star des Abends an. Allerdings gleich erste lange Gesichter auf der Bühne, die Leute reagieren gar nicht, na zeigt doch mal etwas Begeisterung da unten? Ach so, Mikro war noch ausgeschaltet.

Sodann stürmte Eli frisch geföhnt heran und legte gleich richtig los, raw nitty gritty Soul-Action, mit geschlossenen Augen durchaus mit einem jungen Wilson Pickett vergleichbar. Allerdings auch hier nach dem zweiten Lied das Problem, dass zu wenig Reaktion vom Publikum gezeigt wurde, „I know you can do better, otherwise I gotta leave and nobody wants that“, hoppsa, haben wir es hier mit einer Diva zu tun? Nein, wie sich auch später zeigte war der junge Mann mit dem Look eines Versicherungsmaklers einfach nur ein wenig unsicher, was ihn auch irgendwie sympathisch machte, wenn er zum Beispiel nach gerissener Saite minutenlang verlegen im Rampenlicht wartete, bis man ihm eine neue Gitarre brachte. Aber es blieb ein diffuses Gefühl, dass die Schuhe, die ihm seine Plattenfirma angezogen hat noch ein bisschen zu groß sind. Bei vollem Laden und jubelnden Massen wäre er ganz bestimmt zu Höchstform aufgelaufen.

Stimme und Talent sind auf jeden Fall vorhanden, das bewies er recht schnell, und auch die Stücke des neuen Albums „Come and Get It“, die fast 100% des Sets ausmachten, überzeugten live, während ich die Platte selbst ja ziemlich furchtbar in ihrer glattgebügelten Simply-Red-haftigkeit finde. Das Volk wurde eins mit dem Groove, die gute Stimmung übertrug sich auch merklich auf die Bühne, wo die Protagonisten die imaginären Krawattenknoten lockerten und auch Spaß an der Sache bekamen, zwischen den Songs wurde über das tolle schwäbische Essen (Linsen mit Spätzle) und die absolute Schönheit der Innenstadt geschwärmt, und auch ein bisschen gejammert über die psychischen Entbehrungen und den Stress nach einer Woche ununterbrochenen Tourens in diesem fremden Land Europa.

Eli Paperboy Reed

Foto: Steffen Schmid

Der Chef verschwand mal kurz nach draußen, wahrscheinlich um die Föhnfrisur nochmal durchzustylen und vielleicht auch noch kurz ein weiteres T-Shirt für den Merchandise Stand zu batiken (Batik-T-Shirts! Tatsache! Wer zum Teufel hatte denn die Idee, dass die Leute hier Shirts in Regenbogenfarben lieben?). Die True Loves machten ihre Sache auch ohne ihn sehr gut und pfefferten uns ein tightes Funk-Instrumental um die Ohren. Und weil alles so wunderbar glatt lief, steuerte man mit der Rückkehr des Paperboys direkt in den sicheren Hafen des abendlichen Balladenteils. Nach dem dritten Schmachtfetzen in Folge wollten wir gerne Begriffe wie „Spannungsbogen! Aufmerksamkeitskurve!“ auf die Bühne rufen, wussten aber die englische Übersetzung nicht und schliefen auch immer wieder ein. Unterbrochen wurde diese Zeit der Zärtlichkeit nur einmal kurz durch das gospelartige „You Can Run On“, eines der Highlights der Platte, danach kam noch ein Tränenzieher und auf einmal merkte man, dass wir uns bereits auf das Ende des Abends zu bewegten. Mit „Young Girl“ und „Come and Get It“ gab es noch die beiden (aus kommerzieller Sicht) angestrebten Hits des Albums und dann war die Bühne auf einmal leer. Warum nur? Es war doch eigentlich alles ganz gut zwischen uns gelaufen?

Nach einer kurzen Pause kamen sie dann tatsächlich noch einmal. Das furiose „Explosion“ wurde angestimmt, das in seiner Wildheit fast schon an Jon Spencer erinnert und man fragte sich „wieso eigentlich nicht die ganze Zeit schon so?“, aber wie auf der Platte war es auch hier das letzte Stück des Abends.
Versteht Ihr jetzt meinen Zwiespalt? Ich würde jedem ohne weiteres empfehlen, sich die Band live anzusehen, denn wenn sie gut sind, dann sind sie richtig gut. Aber irgendwie bleibt auch das schale Gefühl, daß für einen perfekten Auftritt von Eli „Paperboy“ Reed & the True Loves wirklich alle Rahmenbedingungen wie ausverkauftes Haus und enthusiastische Menge gegeben sein müssen, sobald irgendetwas nicht ganz wie geplant läuft, fehlt (noch?) das Format, diese Lücken zu füllen, und das ist schade, denn ich hatte ein paar Mal das Gefühl, dass die Stimmung auf der Bühne auch ganz leicht kippen könnte, bin eigentlich sogar davon überzeugt, dass dies auch schon mal irgendwo passiert ist. Bleibt zu hoffen, daß dieser wirklich talentierte junge Herr aus Boston noch in seine Rolle hineinwächst und nicht von Musikindustrie verheizt wird. Und sich vielleicht nochmal über Frisur und Merchandise Gedanken macht.

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