ARCHIVE, 21.01.2010, Zapata, Stuttgart

Archive

Foto: Steffen Schmid

Zwei Tage Archive in Stuttgart. Ein Präludium des Konzerts gibt es am Vortag mit einem DJ-Set des Archive Kollektivs im Kap Tormentoso. Einen von nur zweien übrigens auf der ganzen Europatournee.
Die Jungs spannen einen musikalischen Bogen, der von Free Design über Dubversionen von Prodigy, weiter über Moderat, Squarepusher im Aphex Twin Remix bis zu Krautrocksachen ala Can und Holy Fuck geht. Extrem stilsicher, alles dabei was gut, schön und richtig ist, und was man gerne viel öfters hören würde wenn man in Stuttgart mal ausgeht. Neben dem hervorragenden musikalischen Programm gibt es noch weitere Highlights, wie einen US-Marine auf einer „Spezial Mission ans Horn von Afrika“ („Africans suck at fighting pirates“), der uns Einblicke in seine Biographie gibt („I teach people to kill people“), aber persönlich doch ganz nett ist. Mehr Infos gibt’s aber nicht, da ich keinen Bock habe, geknebelt mit der Birne in einem Waschzuber auf Guantanamo den ganzen Tag Limp Bizkit zu hören. Toxic beeindruckt derweil Sänger Dave Pen mit musikalischem Wissen („Are you into music business? You know your shit.“), bekommt heraus, dass Peep Show eh das Beste sei („Super Hans is a hero“), Mighty Boosh schon zweimal live gesehen wurde, The Isle Of Wight der absolute Reisetipp sei, und Kraftwerk, Neu! und Gerd Müller die drei größten Dinge, die Deutschland hervorgebracht hat. Brothers die Beiden. Zwei Gästelistenplätze bekommen wir auch noch geschenkt, und in Zeiten der FDP Moral machen wir uns auch keine großen Gedanken, ob das unser Urteilsvermögen beeinflussen wird.  Spitzenjungs und Riesenvorfreude auf das Konzert einer meiner sowieso Lieblingsbands!

So, Donnerstag, der Abend des Konzerts also. Das Zapata ist zu meiner Verwunderung sehr gut gefüllt. Im Vorprogramm BirdPen mit dem uns mittlerweile gut bekannten Dave Pen am Mikro. Mit knapp 25 Minuten und 4 Songs ist das Set der Beiden (Bird & Pen) kurz, zeigt aber die ganze musikalische Bandbreite dieser Formation. Leise Akustikstücke, Tracks mit Synthiebeats und -akkorden und zum Abschluss ein Song, der in einem furiosen Gitarrengeschrammel endet. Bin ja eh großer Fan von Daves Stimme, und das klang schon sehr interessant. Muss ich mir kaufen.

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Foto: Steffen Schmid

Archive gibt es ja mittlerweile schon seit 15 Jahren in diversen Besetzungen mit Darius Keeler und Danny Griffiths als Konstanten. Zum richtig großen Durchbruch hat es in Deutschland bisher leider noch nicht gereicht. Wahrscheinlich fühlt sich der Classic-Rock Mensch von den Trip-Hop Elementen und manchmal rauen Schrammelgitarren verschreckt, während für den Indie-Geschmackstaliban alles, was nur entfernt nach Pink Floyd klingt, natürlich überhaupt nicht geht. Ein Jammer, denn Archive haben teilweise wirklich schon großartige Musikmomente hinbekommen, aber die fast volle Halle stimmt mich dann doch wieder positiver.
Die beiden Gründungsmitglieder haben sich schön auf den beiden Seiten der Bühne an den Synthies positioniert, wobei v.a. Darius Keeler ein wenig den Dirigenten der Band gibt. Ist auch nötig, denn es sind neun Leute zu koordinieren, die aber nur manchmal alle gleichzeitig auf der Bühne stehen. Eins vorweg, Objektivität ist heute gar nicht zu erwarten, dazu bin ich zu großer Fan. Bin dann aber auch wirklich begeistert, wie gut der Sound ist, wie organisch und tight die Band trotz der vielen Instrumente klingt, und wie perfekt die Synthie- und Elektrosounds mit den Rockparts harmonieren. Das macht man nicht einfach so, das machen nur große Bands.

Dave Pen und Pollard Berrier sind wunderbare Sänger, Maria Q bringt in manchen Songs ihre leicht soulige Stimme zum Einsatz, während Rastaman Rosko John die 4 Songs mit den Rap-Parts übernimmt. Letztere sind die einzigen Momente, die mir auch auf Platte nicht ganz so zusagen. Hab mit Hip Hop eh so meine Probleme und die Parts wirken ein wenig wie Fremdkörper im Archive-Sound. Dafür sind die Highlights umso beeindruckender. Am besten ist die Band dann, wenn sie in langen Songs leise bei Null beginnnt und die Songs zehn Minuten später in einem Inferno aus Gitarren und Synthies enden. Dann sind sie allerdings sensationell gut, wie z.B. bei den Zugaben Controlling Crowds und Bullets, aber auch Collapse / Collide und Dangervisit jagen mir wohlige Schauer über den Rücken. Genau so muss für mich Livemusik klingen: Dynamik, guter Sound, geile, abwechslungsreiche Songs und eine Band, die voll dabei ist. Wirklich beeindruckt hat mich Gitarrist Steve Harris. Der Mann spielt saugut, kann richtig was am Instrument, und zappelt so dermaßen geil dazu ab, dass es eine Freude ist ihm zuzusehen.
Visuals und eine schöne Lightshow, welche die Wirkung der Musik  unterstreichen, gibt es natürlich auch. Der Beinah-Hit Fuck U ist ein weiterer Höhepunkt im zweistündigen Set, das ebenso zufriedene Zuschauer wie eine sichtlich dankbare Band zurücklässt. Mein Lieblingsstück Again haben sie zwar nicht gespielt, und doch hat mich der Auftritt begeistert. Mag es von mir aus auch noch so uncool sein die Band und diesen Sound gut zu finden, drauf geschissen.
FEEL! TRUST! OBEY!

…und für alle iPhoners: Es gibt ein Archive-App.

Archive

BirdPen

8 Gedanken zu „ARCHIVE, 21.01.2010, Zapata, Stuttgart

  • 22. Januar 2010 um 20:33 Uhr
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    „Am besten ist die Band dann, wenn sie in langen Songs leise bei Null beginnnt und die Songs zehn Minuten später in einem Inferno aus Gitarren und Synthies enden. Dann sind sie allerdings sensationell gut“ <—— da gibt es nix mehr dazu zu sagen…ganz ganz großes Kino…yeahhhh…

    Nur 2 Dinge bleib ich dabei…

    – der Rapper ist einfach komplett fehl am Platz…wie Du auch selber geschrieben hast "und die Parts wirken ein wenig wie Fremdkörper im Archive-Sound"

    – die Sängerin war genauso fehl am Platz und hatte sowas von überhautp keinen Soul in der Stimme und erinnerte mich dann eher an Within Temptation als an diese fantastische Band Archive…

    Ne ne Abwechslung sehr gerne aber da tun sie sich keinen Gefallen mit. Natürlich rein subjektiv gesehen !!!

    Ansonsten großartiges Konzert und toller Bericht.

    Chapeau! Lino

  • 23. Januar 2010 um 09:29 Uhr
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    @Chris: geil, der Within Temptation Vergleich; muss man mal nen eigenen Diskussionsstrang aufmachen was die Souligkeit der Stimme von Maria Q angeht; für mich ein wenig, für dich gar nicht, Schmoudi musste an Sade denken…

  • 24. Januar 2010 um 10:52 Uhr
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    Archive?
    Hmm, über Archive kann man sicher geteilter Meinung sein. Sie haben in Köln im Herbst 09 nur Titel aus ihrem aktuellen Controlling Crowd-Monsterwerk gespielt und man musste doch tatsächlich bis zur Zugabe warten, bis sie dann auch mal Songs der älteren Alben gespielt haben. „Numb“ und „Again“ waren dann aber schon geil. Vor allem „Numb“ kam live noch besser rüber als bei den letzten Auftritten in Köln.
    Total nervig fand ich die Songs, bei denen Rosko John losrappte. Das passt einfach nicht zu Archive. Sind sie dadurch mainstreamer geworden? Konnten sie deshalb sogar das E-Werk komplett füllen? Da waren mir die alten Archive dann schon lieber.
    Beim ersten Album „Londinium“war Rosko John auch dabei. Damals hatten sie wohl nicht so viel Erfolg und fortan mit anderer Ausrichtung weitergemacht. Bei den letzten 3 oder 4 Auftritten in Köln waren längst nicht so viel Leute, ich kann mich da an den Auftritt im damaligen Prime Club erinnern. Dann haben sie akkustisch vor „einer Hand voll Leuten“ im Gebäude 9 gespielt und dann in der Kantine. So hat es mich gewundert, dass das Konzert ins E-Werk verlegt wurde und dann, dass dieses rappelvoll war. Offensichtlich ist es mir entgangen, wann dieser Karrieresprung stattgefunden hat. Wurde es öffentlich so intensiv besprochen? Offensichtlich spricht die Musik mehr Leute an, ist also irgendwo mainstreamer geworden, obwohl die Musik von Archive irgendwie ein Stück in Richtung „Londinium“ zurückgekehrt ist, mit dem sie ja, wie gesagt, weniger Erfolg hatten.
    Den Eindruck hat auch die Mischung des Publikums im E-Werk hinterlassen. Vorher war das Publikum meines Erachtens sehr viel spezieller. Ich kann die Meinung von Lino, dass Pollard ein toller Sänger ist, nicht wirklich teilen.Er kann schon ganz gut singen, das stimmt, aber Dave Penn hat doch wesentlich mehr Ausstrahlung, genauso wie Craig Walker damals. Ausserdem sieht sein Pseudo-Gitarrespielen nicht aus, das sollte er lassen.
    Also, die alten Archive waren mir irgendwie lieber, auch wenn user an anderer Stelle sagen, dass Leute mit dieser Meinung in die Kategorie „Prog-Rock-Opas“ gehören.

  • 24. Januar 2010 um 11:27 Uhr
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    @redheadmusiccologne:
    willkommen in unserem Blog erstmal und danke für den tollen, ausführlichen Kommentar.
    Hmm, ich hab mir die Tage nach dem Konzert nochmal alle Alben, die ich von Archive habe, angehört. Aus meiner Sicht scheint es mir nicht so, dass die Rap-Parts das Ganze mainstreamiger gemacht haben. War nicht „Fuck U“ der größte Erfolg der Band? Ich hab eher den Eindruck, die machen das aus der Lust an der Abwechslung. Ich kenn auch keinen, der die Rap-Parts besonders gut fände.
    Irgendwie scheint es wohl so,dass sich die Band über die Jahre eine große Fanbasis erspielt hat, ist so mein Eindruck. Hat mich selber überrascht.
    Wow, ihr durftet „Again“ hören. Mein absoluter Lieblinggsong von Archive, da könnte ich jedesmal heulen vor lauter Schönheit. NEID!

  • 24. Januar 2010 um 17:51 Uhr
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    An Lino: Jetzt muß ich Dich doch verbessern, nachdem Du Dich weigerst: Ob ich IM Musik-Geschäft sei hat mich Dave Pen gefragt, nicht ob ich mich dafür interessiere („into“). So, nun sieht das besser aus.

  • 26. Januar 2010 um 18:44 Uhr
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    „Sind sie dadurch mainstreamer geworden?“
    Ich finde die Songs mit Rapper Rosko sind sehr experimentelle Lieder und auf keinen Fall eingängig. Und ich bin ein Mensch, der sonst mit Rappern absolut gar nichts anfangen kann.
    Ich mag sowohl Rosko als auch die Lieder mit Sängerin Maria – ich finde beide machen den Archive-Sound noch vielseitiger.

    Wieso redheadmusiccologne der Meinung bist, dass Archive eher Mainstream werden, kann ich jedenfalls absolut nicht nachvollziehen – ein Konzeptalbum wie „Controlling Crowds“, das aus vier Parts besteht und insgesamt über 2 Stunden dauert, ist definitiv nichts für Mainstreamgeschmack.

    Außerdem sind Konzerte von einer Band wie Porcupine Tree mittlerweile auch ausverkauft und die kennen trotzdem nur Leute, die sich intensiver mit Musik beschäftigen, oder nicht?

  • 26. Januar 2010 um 22:24 Uhr
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    Da muss ich dir recht geben, Qicksand227. Controlling Crowds ist absolut nichts für den Mainstremageschmack, ausserdem hört man sie dafür natürlich auch viel zu selten im Radio, abgesehen von speziellen Sendern bzw. Sendungen. (hier kann ich dringend Bytefm empfehlen.). Ich war aber, wie bereits erwähnt, absolut überrascht davon, dass das E-Werk in Köln ausverkauft war. Ich weiß nicht, ob du das E-Werk kennst, es ist meiner Ansicht nach der drittgrößte Schuppen für Konzerte in Köln. Ich würde mal schätzen, dass da etwa 2000 Leutchen reinpassen (haut mich, wenn ich total daneben liege). Der Laden war ausverkauft. Ich habe in den letzten 6-7 Jahren alle Archive-Konzerte in Köln gesehen und da waren die Läden bei weitem nicht so voll.
    Daneben war das Publikum sehr viel „normaler“ als sonst bei Archive. Ich will da niemanden beleidigen, aber es waren doch viele Leute da, die man eher auf TOP 40-Partys vermutet oder bei Bushido-Konzerten, will sagen, dass da für meine Verhältnisse ganz schön rumgeprollt wurde. Das passt nicht so zu dem, was ich vorher von der Band live gesehen habe.
    Nun ja, und die Musik? Ich mag die Hinwendung zum Controlling Crowd-Stil nicht so wie die Musik auf „You all look the same to me“ oder „Noise“. Rosko John und Maria machen die Musik sicher vielseitiger, das stimmt, aber ich glaube, das ist ja auch nicht anders zu erwarten, wenn eine Band insgesamt vier Sänger hat. Ich bleibe aber dabei: Der Rap passt nicht, da treten die schönen Melodien irgendwie in den Hintergrund bei dem Einerlei. Der Gesang klingt so, wie ein plätschernder Wasserfall, der ewig gleich viel Wasser führt. Ich hab mir jedes Mal nen Bier geholt, wenn Rosko kam…Dave Pen passt da sehr viel besser….
    You all look the same to me ist für mich das Meisterwerk der Band.

    Porcupine habe ich bisher leider noch nicht gesehen. Sind ja doch ganz schön teuer die Jungs.

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