WOLFGANG MÜLLER, 08.10.2009, Kunst-AKA, Stuttgart

Wolgang Müller

Foto: Dan Delgado

Yeah, yeah, yeah! Wolgang Müller, der Kronprinz von Niels Frevert, spielt im Klangraum der Kunst-AKA Stuttgart ein exklusives Clubkonzert .

Eine gute Nachricht in diesen Zeiten.

Also schnell aufs slackermässige Rennrad (mintgrün) gestiegen, Bandkumpel Matthias Klein und dessen slackermässiges Rennrad (achillesgolden) eingepackt und an den Ort des Geschehens gepeest.

Nach den Strapazen des killesberglichen Aufstiegs empfing uns die AKA mit dem Erscheinungsbild jugendlicher Unbekümmertheit kraft herumsitzender junger Mädchenmenschen, und wir nahmen wohlwollend die deflationären Alkoholpreise zur Kenntnis: Bier 1 fuffzig, GT und Wodka Tonic 2 Öre, plus jeweils 50 cent Bandpauschale pro Tresengang.
Da tanzt das Trinkerherz, und es lacht der geknechtete Musikergeldbeutel.

Da der Laden noch relativ leer war, entschieden wir uns erst mal ein Paar zu zischen und uns draußen unauffällig unter die jungen Hübschen zu mischen, was uns redlich gelang.

Während wir rätselten, ob das Graffiti an der Wand des gegenüber liegenden Gebäudes nun gefaltete Hände oder sich duellierende Pimmel wären, füllte sich die Bude, und wir mussten misstrauisch feststellen das sich Wolfgang noch’n bisschen die Ohren lang zog und Mikado spielte, während eine Vorband namens Parker unsren durchkreuzten Plan betrat.

Ich mag keine Vorbands. Und Geduld haben mag ich auch nicht.

Name und Erscheinungsbild ließen nichts Gutes verheißen, doch der unvoreingenommne Kollege und Journalist zeichnet sich vor allem durch unbestechliche Objektivität aus, und ich beschloss die Augen zuzumachen und erstmal zuzuhören, wie sich das gehört.

Oh je.

Der Sänger klang gleich mal wie nen neuzeitlicher Ableger des Nazareth-Frontmanns Dan McCafferty (ne Schande, dass der Dan heißt), will heißen ne Mischung aus: gebt mir endlich was zu essen und zusammengepressten Klöten.

Insgesamt vernahm sich das Ganze wie ein deutscher Klon der End-`90er US-Boyband Natural (ja, das warn die mit Ex-Sarah Connor Bussimann Mark Terenzi), gekreuzt mit der metaphorischen Kraft von Pur meets Hans Hartz.

Nach dem meisterwerklichen 1.Satz der 2. Strophe des 3.Liedes „deine Liebe ist meine Religion“ flüchteten wir nach draußen, wo wir links-seitlich der Bühne und rechts-seitig der die Bühne von der Außenwelt trennenden Scheibe einige weltklassige fotografische Momentaufnahmen dieses geschichtsträchtigen Konzertvorgangs machen konnten.
Leider dehnten die Jungs den zeitlichen Rahmen des Begriffs VORBand ins gefühlt Unendliche, und als 1,5 Stunden (!) endlich vorbei waren, fanden wir uns reichlich beschwippst und latent misslaunig wieder.

Nach eine kurzen Umbaupause enterte the real Wolgang eeeendlich mit gesamter Band die Bühne: Schlachzeuch, Kontrabass, Flötenmensch, Elektrogitarre und himself am akustischen Zupfgerät und Mikro.
Weitgehend verglatzt, weißes Schlapper T-Shirt, und kleine Fischplautze, mit typischem Hamburger Gesicht a la „lach mich bloß nicht an, ich lache nicht zurück“, el Bassiste mit großer Fischplautze, nem katatonen Gesichtsausdruck unter ersichtlichem Einfluss der Erdanziehungskraft, Helmut Kohl–Resterscheinungsbild und Martin ’Maddin’ Schneider-Unterlippe und einem Gitarristen der original aussah wie Carl Alexander Franz Joseph Wilhelm Ernst Meinrad, Prinz von Hohenzollern, genannt „der geile Depp“, aber mitnichten so aufspielte.

Kurzum:  herrliche, äußerst sympathisch daherkommende Band.

Und dann ging es los.

Wow…

Wolfgang nahm uns vom ersten Zupfer gefangen, ohne Lösegeld und Chance auf vorzeitige Entlassung.

Die Band, ein perfekt gemachtes, kuscheliges Bett, unaufdringlich und brillant, die das Liedgut des Anführers liebt, umarmt und perfekt in Szene zu setzen weiss.

Ein altes Ehepaar, gleichwohl taufrisch und verliebt, niemals hegemonial oder fordernd, eine Fußballmanschaft in klein, und in Musik statt am Ball.

Wolfgang zeigt sich als absoluter Meister des Gitarrenspiels, und ich dachte mehrmals, ich müsste mindestens 28 mal reinkarniert werden, um diese Klasse zu erreichen und würde es dennoch nicht bringen – gleichzeitig so schwierige Licks zu greifen und zu zupfen, fallbeilig taktgenau, niemals attüdiert oder angestrengt und währenddessen so wunderbar-poetische, zärtliche und beizeiten spröde Texte zu singen.

Nach dem Konzert erzählt er mir, dass er klassische Gitarre studiert hat. Es verwundert mich nicht.

Doch bleiben wir in der Reihe.

Nicht nur, dass Wolfi ein begnadeter Gitarrist ist, er ist auch noch intelligent genug, diese Fähigkeit seinem außerordentlichen Songwriting und einer angenehm regressiven Performance unterzuordnen.
Er erzählt wunderbar kleine Geschichten, die ein bisschen salzig nach Meeresbrise, dem frühen Lindenberg, dem (leider selten) unpathetischen Reinhard Mey, nach Traditional und Hans Albers schmecken („Ahoi“), um dann leichtfüßig zu kleinen großen Hits wie dem grandiosen „Oktober“ zu tänzeln, thematisch oszillierend zwischen ungestillter Sehnsucht, großer und kleiner Liebe, Freundschaft und dem Sein, und er singt von ‚seufzenden Leintüchern’, dass er ‚einfach so drauflos vertraut’ und von ‚seelischem Schluckauf’ – und als dann bei ‚Du sollst nicht’ der teuflisch gute Flötist Mat Clasen, übrigens der Bruder der Sängerin Reggy Clasen, gar an das Pop No-Go-Instrument Saxophon wechselt, ist selbst das nicht peinlich.

Leider ist es in dem kleinen Raum unangenehm laut, was nicht nur den Barden selbst, sondern auch den Transfer der sanften Geschichten zu den Zuhörern empfindlich stört, weil sich vor der Bar eine Kohorte Erstsemestler laut plappernd und gackernd dem novizisch-studentischen Alloholrausch hingibt, und sich nicht die Bohne um die dadurch entstehenden Nebengeräusche schert, wodurch sich Herr Müller zu wiederholten Mahnungen diesbezüglich veranlasst sieht. Charming aber very kauzing und spröde, wie sie eben sind, die Nordlichter. Hrhrhr.

Leider nützt dies nix, aber als dann ein offensichtlich glühender Müller-Klient aus der fünften Reihe Klassensprecher-like zur ultimativen Ruhe respektive zum Raumverlass auffordert, und die Veranstalter das Raumlicht und damit den Bühnenspott für die Störer ausknipsen, weicht die Krach-Kontermination einem geklärten, akustischen Übertrag, was die Qualität desselben sowie die Laune des Grandseigneurs und damit den Hörgenuss spürbar nach oben levelt.

Wolfgang spült uns dann leger mit zwei mal drei Zugaben in ein Aftershowing, und wir fühlen uns befreit. Als er dann endlich zu seiner Ziggi und den wartenden süddeutschen Bieren darf, nach denen er sich so sehnt, sagt er.

Nach einer gewissen Stressabbau-Inkubationszeit wagt sich der Autor zum Helden vor und befragt ihn in seiner Eigenschaft als Blog-Journalist.
Wolfi reagiert regressiv, und erst als ich mich als Musiker dechiffriere, erzählt er mir von seiner Arbeit als Verlagsautor, vom Glück eine solche Band bei sich zu wissen, von seinem (und meinem) Idol Niels Frevert und von den Schwierigkeiten des Daseins als Musiker.

Das muss aber geheim bleiben, denn so ist es versprochen…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

I accept that my given data and my IP address is sent to a server in the USA only for the purpose of spam prevention through the Akismet program.More information on Akismet and GDPR.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.