ADOLF NOISE, 08.05.2009, Schocken, Stuttgart
Der erste Satz einer Review ist verdammt wichtig. Da muss alles stimmen. Der Leser spürt sofort, ob da noch Großes folgt oder das Ganze ein Auftakt zu aneinander gereihten Allgemeinplätzen ist und man doch mal lieber gleich zum nächsten Blog surft. Der Einleitungssatz zum Konzert von Adolf Noise mag vermeintlich leicht sein, doch eine Vielzahl von Möglichkeiten heißt ja nun nicht, dass man auch die Optimale wählt. Ein klassischer Auftakt zu einer großartigen Rezension könnte sein:
„Der Mann der tausend Pseudonyme, Stefan Kozalla a.k.a. Dj Koze a.k.a. Monaco Schranze, trat diesmal unter seinem Lieblingspseudonym Adolf Noise auf.“
Ja, schon klar. Ist wie die ganze Zeit rechts auf der Autobahn zu fahren. Man macht nichts falsch, man kommt sicher an das Ziel, allein kann einem diese Art der Risikovermeidung übel als Sicherheitsdenken à la „ traut sich nix der Mann“ ausgelegt werden und das unvoreingenommene Weiterlesen wird unmöglich gemacht.
Okay, aber den Duktus so aufnehmen und vielleicht, sagen wir mal popularisieren, also näher an das gemeine Konzertvolk rücken, auf gut Deutsch „aufpeppen“ am besten mit schmissigen Vokabeln, kann, obwohl auch nicht sonderlich gewagt, also auch Risikovermeidung, total anders ankommen:
„Das Chamäleon der elektronischen Musikszene Stefan Kozalla a.k.a. Dj Koze trat diesen Abend unter seinem Lieblingspseudonym Adolf Noise live auf und das mit der Ankündigung, nicht die P.A. des Clubs zu nutzen, sondern Funkkopfhörer an die Gäste zu verteilen und so mit seinem Partner Mense Reents (Ego Express, Die Goldenen Zitronen) seine Soundspielereien sozusagen Peer-to-Peer abzufeuern.“
Nicht schlecht, aber mal ehrlich, wird so eine Einleitung jemandem wie Stefan Kozella gerecht? Fischmob, International Pony, legendäre Dj Sets als Dj Koze, quasi immer Spitzenproduktionen am Start und hey, der Mann veranstaltet ein Kopfhörer-Konzert, ich denke da muss man `ne Schippe drauflegen, sich sozusagen vom Hype, der diesen Mann umgibt, journalistisch auf die nächste höhere Ebene hieven lassen:
„Identitäten. Für mich das Keyword der zweiten Hälfte des ersten Jahrzehnts der 2000er. Was, wenn nicht das Spiel mit den Identitäten, ja der Identitätenwechsel an sich, das Ineinandergreifen von Digitalen und „wirklichem“ Leben, charakterisiert den electronic Lifestyle, dem wir uns alle nicht entziehen können. Wer hat sich denn via MySpace nicht ´ne neue Identität programmiert? Der Vorteil liegt auf der Hand, man ist augenscheinlich jemand anderes. Stefan Kozalla hat da mehr als nur eine anzubieten. Dj Koze wäre eine oder Monaco Schranze. Oder dann eben Adolf Noise“.
Ja, das ist es. Geile Einleitung. Die wird es werden. Legt man aber so `ne Einleitung vor, kommt man natürlich sofort in Zugzwang. Muss auch so weitergehen. Und `ne bestimmte Richtung ist natürlich auch vorgegeben. Selektion ist nun unheimlich wichtig. Nicht alles reinpacken. Nicht jeder Gedankengang während des Konzerts ist es auch wirklich wert, in eine Rezension gepackt zu werden, schon gar nicht in so eine mit so einer klasse Einleitung. Es wäre total überflüssig zu erwähnen, dass das mit den Kopfhörern ja eine Spitzenidee ist, aber doch sehr von der Disziplin der Gäste abhängig, sich zum Beispiel nicht ständig lautstark Getränke zu bestellen oder dumpfe Kommentare abzugeben, da man das sonst unmittelbar mitbekommt und nicht mal der Volumenregler hilft, der sowieso auf Anschlag steht.
Oder so `ne andere Überlegung, nein eigentlich mehr ein Bild, war, wie sich Dj Koze und Mense Reents, nach getaner Arbeit, kurz bevor sie in ihre Einzelzimmer des 4 Sterne Innenstadthotels gehen, über die Idioten kaputtlachen, die Kohle hingeblättert haben, um Soundcollagen und gesampelte Stimmen – gepaart mit idiotischem Livexylophon Geklimpere und Hohner Melodica Gedudele mit billigen Standardeffekten versehen, aus einem Sequenzerprogramm, das, wenn wir mal ehrlich sind, das Wort „Konzert“, ein wenig ad absurdum führt – zu hören und ja, man dieses Gefühl kräftig verarscht zu werden, einfach nicht abschütteln kann – und, warum zum Teufel, schweife ich denn die ganze Zeit ab und schaffe es nicht, mich auf das Konzert zu konzentrieren?
Ja, alles Gedankenfetzen, die meiner Meinung nach die geile Einleitung vergessen lassen würden, weil sie nicht zum wahren Kern des Konzerts vorstoßen. Transzendenz ist angesagt: „Adolf Noise schafft es, ein neues Genre zu etablieren: Stand Up Comedy Ambient. Unglaublich wie Klangbilder, die aus einer anderen Welt zu stammen scheinen, auf real existierende Samples treffen und wie Zahnräder eines Schweizer Präzisionsuhrwerks ineinandergreifen und das Bild eines Universum projizieren, das trotz aller Schönheit auch seine hässlichen Seiten zeigt. Adolf Noise wertet nicht, nein, er präsentiert und kommentiert und überlässt seinem Publikum die letztendliche Entscheidung, das Konzert in ihrer Werteskala einzuordnen. Wenn die gesampelte Stimme Gunter Gabriel und seine Hasstirade auf Hartz 4 Empfänger aus dem Kopfhörer hallt („Ihr habt soviel Zeit, sonst wärt ihr nicht nachmittags schon hier, ich habe leider keine Zeit, ich muss meinen Arsch immer in Bewegung halten, damit die Knete stimmt“) und anschließend mit Akkorden unterlegt wird, die schwer an Beatles erinnern, weiß man nicht genau, worüber man denn nun schmunzelt, und ob man das nun in einem sozialkritischen Kontext sehen und in die Sparte politisches Kabarett ablegen soll oder das Ganze einfach als guten Gag abtut. Doch in genau diesem Zwischenraum kann man es sich gemütlich einrichten, lachen über den feisten Humor von Stefan Konzalla, den Clownereien eines Mense Reets zuschauen und letztendlich Musik per Kopfhörer genießen, die das Bindeglied und der rote Faden des Abends ist.“
Ja, ich denke, das ist es ist. Gelungen. Schlusssatz ist da eigentlich nicht mal nötig. Ist jetzt dann schon einiges. Klar, würde schon mehr gehen. Allerdings, das muss man dann auch schon zugeben, man spürt dann doch das sich Winden, das Suchen nach geilen Formulierungen und man müsste die Kritik fast anerkennen, würde jemand das Wort „konstruiert“ in den Raum stellen. Ja, vielleicht sollte man dieses ganze Gedönse von eben vergessen und wenigstens soviel Größe zeigen und das Zitat des Abends niederschreiben, das seine Genialität durch seine bestechende Einfachheit zeigt, die Quintessenz eines 1,5 Stunden dauernden Abends in einem Satz zusammenzufassen. Ja, und wer sonst außer Great Toxic, ist in der Lage solche Sätze in die Runde zu werfen, und so zu tun, als sei es nichts besonderes, Sprache so zu zähmen und Klarheit in Abläufe zu bringen, für die andere ganze Seiten benötigen:
„Das wirkliche Geile an dem Konzert war, dass man pissen gehen konnte, ohne etwas zu verpassen.“
gerade auf gig-blog.net gelesen: ADOLF NOISE, 08.05.2009, Schocken, Stuttgart Review – https://tinyurl.com/r9h8zy