SARTANA, LIVE-HÖR-COMIC MIT BELA B, 07.03.2017, Theaterhaus, Stuttgart

SARTANA, LIVE-HÖR-COMIC, 07.03.2017, Theaterhaus, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Das einzige, was du gleich komplettierst, ist meine Sammlung an Watschengesichtern.

Die Idee
Sartana – noch warm und schon Sand drauf: Ein Spaghetti-Western von 1971, der von Synchronlegende Rainer Brandt (Spencer/Hill, Die 2) veredelt wurde, wird als Live-Hörspiel mit Bela B („Die Ärzte“) und Peta Devlin („Die Braut haut ins Auge“) in den Hauptrollen sowie dem Schauspieler, Hörbuchsprecher und Live-Vertoner Stefan Kaminski auf die Bühne gebracht. Zwischendurch singen Bela B und Peta textlich passend zum Stand der Geschichte, die vierköpfige Westernband Smokestack Lightnin‘ spielt dazu Musik. Auf einer Leinwand wird die Story mit Comicbildern visualisiert.

Die Umsetzung Teil 1
Das ganze wurde als WDR3-Hörspiel umgesetzt, dabei unterstützte Oliver Rohrbeck (a.k.a. Justus Jonas von den Drei ???) das Team. Das kann man sich hier anhören bzw. herunterladen.

SARTANA, LIVE-HÖR-COMIC, 07.03.2017, Theaterhaus, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Die Umsetzung Teil 2.1
Seit ein paar Tage wird damit getourt. Heute Abend ist Stuttgart dran. Die Halle 1 im Theaterhaus ist ausverkauft. Das sind schon mal 900 bunt gemischte Leute, Alt-Punks inklusive. Der Name Bela B zieht einfach, aber es gibt auch Besucher, die aus anderen Gründen gekommen sind, wie ich später erfahre. Auch die Bühne ist ganz schön voll. Viele Instrumente, sechs Gringos und eine Lady, alle in Wildwestwindeln (Cast siehe oben). Der Mikroständer ist ein Miniatur-Galgen, mit Strick selbstverständlich.

Schwungvoll werden hier genüsslich alle Wildwest-Klischees aufgefahren. Bela B und Peta erörtern spielerisch den Unterschied zwischen amerikanischem Wildwest-Film und dem – Zitat: „Sausack“ – Italo-Western, der natürlich von Bela B angehimmelt wird. Leider muss man wirklich „erörtern“ sagen: Die beiden sagen vorformulierte Sätze auf, die einer Dialektik gleich die beiden Subgenres gegenüber stellen. Das ist so hölzern wie des Sheriffs Schaukelstuhl.

Zwischenzeitlich fängt die Geschichte an, die maßgeblich virtuos von Stefan Kaminski („Häuptling Geräuschkulisse“) mit einem Soundpark an Gerätschaften untermalt wird. Nahezu alle Nebenrollen werden von ihm gesprochen, während Bela B Sartana liest und Peta die Jasmin, die schöne, beschützenswerte Dame. Beide sind Musiker, keine Schauspieler. Das merkt man. Sie verhaspeln sich beim Lesen, man nimmt ihnen die Rolle nur schleppend ab, Bela B lispelt, wenn er nicht singt. Das fällt vor allem im Vergleich zum eigentlichen Star des Abends auf, der das viel besser kann – dazu gleich mehr. Wenn Bela B aus der Rolle fällt, wird es prompt authentisch, spontan und lustig. Aber er hat ja sein Textbuch vor der Nase…

SARTANA, LIVE-HÖR-COMIC, 07.03.2017, Theaterhaus, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Nach zehn Minuten wird ein hübsches Western-Duett geträllert. Das können sie dann – no wonder – sehr gut, Stetson ab! Schließlich habe wir hier die dunkle Seite von Die Ärzte und die sehr schöne Stimme von der lang aufgelösten Hamburger Band Die Braut haut ins Auge vor uns. Dann wird wieder das Genre reflektiert: Die Rolle der Frau, die Macho-Sprüche, das dürfe man doch nicht so ernst nehmen – oh doch, gerade heute im political correctness Zeitalter sei das wichtig – oh nein, das macht doch gerade Spaß am Spaghetti… Und weiter geht es mit der Sartana-Geschichte…

Ich glaub, mein Tintenfisch kleckert.

Ich brauche ziemlich lange, bis ich mit diesem Hin und Her zurecht komme und ein Muster im Konzept erkenne. Bis dahin irritiert mich das. Irgendwann erinnere ich mich: Hey, das soll doch ein Live-Hörspiel sein, vielleicht sollte ich mich auf die Story konzentrieren und mich nicht von all den Unterbrechungen und visuellen Gags ablenken lassen. Und tatsächlich, langsam ordnet es sich, und die Geschichte mit dem crazy Rainer Brandtschen Schnodderdeutsch wird richtig gut.

SARTANA, LIVE-HÖR-COMIC, 07.03.2017, Theaterhaus, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Wayne Wiki aus Pedia, New Mexico, schreibt übrigens zum Begriff Schnodderdeutsch:

Solch eine Erscheinungsform der deutschen Sprache wird zum Zweck des Humors und der Satire gebraucht und ist durch Neologismen, scheinbare Sprichwörter, untypische Metaphern und Vergleiche, Stilbrüche, Normverstöße und Logikbrüche charakterisiert.

Also für Pistole z.B.: Bohnenschleuder oder Fleischlocher. Dieses Stilmittel wurde stark von Schauspieler, Synchronsprecher, Synchronregisseur und Dialogbuchautor Rainer Brandt in den 1960er und 70ern entwickelt und verwendet, um mittelmäßige Filme für den deutschen Markt unterhaltsamer zu machen.

Rainer Brandt ist heute Abend quasi hier: Der Erzähler der Sartana-Geschichte, der „vom Band kommt“ (wie sagt man denn im digitalen Zeitalter dazu?), wird von ihm selbst gesprochen. Und gelegentlich wendet er sich auch uns, dem Publikum, in Form eines Videos zu.

Die Umsetzung Teil 2.2
Die erste Hälfte dauert über 90 Minuten, die zweite wird weit über 60 dauern, aber die Show konzentriert sich viel mehr auf die Story. Und das funktioniert dank Stefan Kaminski ausgesprochen gut – der Mann ist fantastisch. Er klappert, quietscht, rührt, reisst, rumpelt und rackert hinter seinen Gerätschaften und spricht gleichzeitig x Rollen dermaßen überzeugend unterschiedlich, dass es gelegentlich Szenenapplaus gibt, weil das so irre ist. Er ist der eigentliche Star.

Ich reise mit eigenem Friedhof.

Es wird noch viel gesungen, geschossen, gebrüllt und gestorben, gegen 23 Uhr ist dann finito.

SARTANA, LIVE-HÖR-COMIC, 07.03.2017, Theaterhaus, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Das Fazit
Nach der Vorstellung treffe ich überraschend einen Bekannten, einen älteren Herrn, der in seiner Freizeit im Chor Oratorien singt, also… Moment, ich muss kurz nachdenken: nein, er ist kein Alt-Punk.
Ich frage ihn: Warum bist Du hier? Er: Wegen Stefan Kaminski, der hat auch schon solo die Nibelungen komisch gemacht. Ich: Und Bela B? Er: Den kenne ich nicht, der hat mir auch nicht so gut gefallen.
Für den heutigen Abend hat er recht. So einfach kann man es sagen.

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