ERDMÖBEL, 09.12.2016, clubCANN, Stuttgart

ERDMÖBEL, 09.12.2016, clubCANN, Stuttgart (Text: Christian Seyffert, Fotos: X-tof Hoyer)

Foto: X-tof Hoyer

An Weihnachten scheiden sich seit jeher die Geister. Manche können es kaum abwarten, bis die besinnliche Zeit beginnt und freuen sich auf das Fest der Feste und der Liebe, auf gemütliche Adventssonntage und blitzende Kinderaugen im Kreise der Liebsten. Andere denken mit Schaudern an überfüllte Weihnachtsmärkte, auf denen von Glühwein beseelte, rot-weiße Blinkmützen tragende Menschen sich zu Weihnachtsgedudel durch die Innenstädte schieben, Konsumzwang und die kippende Stimmung am ersten oder zweiten Weihnachtstag, gerne verursacht durch die ach so liebe Verwandtschaft. Das Tolle ist: Egal, zu welcher Fraktion man gehört oder ob man sich irgendwo dazwischen sieht – beim Weihnachtskonzert der Erdmöbel ist man damit bestens aufgehoben. Die Band veröffentlicht seit einigen Jahren stilsichere „Jahresendlieder“, um diese auf einer weihnachtlich gestimmten Tour in der Adventszeit unter die Menschen zu bringen. Manche mögen das als sinnvolle Ergänzung zur heimeligen Plätzchen-Stimmung sehen, andere freuen sich über das durchaus an vielen Stellen merklich erkennbare Augenzwinkern an diesem Abend.

ERDMÖBEL, 09.12.2016, clubCANN, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Etwas Dekoration auf ein paar Stehtischen im ganz ordentlich, aber nicht übermäßig gefüllten Saal des clubCANN im Cannstatter Jugendhause und ein großer goldener Glitzerstern im Bühnenhintergrund geben einen optischen Vorgeschmack auf den folgenden Abend, der unter dem Motto des ersten Songs steht: „Nonstop Christmas“ (die Video-Suche unter diesem Schlagwort offenbart übrigens alles, was man sich unter dem oben genannten Begriff „Gedudel“ vorstellen kann). Der Song umfasst konsequent einige Wiederholungen des Refrains, währenddessen ich diese Band und ihre Attitüde mir etwas genauer betrachte. Sänger und Gitarrist Markus Berges könnte ich mir aufgrund des Aussehens und seiner wohlig markanten Stimme sehr gut als Theaterschauspieler vorstellen. Oder als Double für Heiner Lauterbach, dem er meiner Ansicht nach auf den ersten Blick sehr ähnlich sieht. Da liege ich knapp daneben, wie Wikipedia mir verrät: studierter Germanist, Historiker und Autor ist er – und eben Songschreiber. Daneben Bassist Ekki Maas, der mit ergrautem Haupt- und Barthaar der Idealvorstellung eines Weihnachtsmanns erstaunlich nahe kommt und neben seinen oft prägnanten Basslinien beständig mit sehr unterhaltsame Ansagen und Überleitungen aufwartet. Eingerahmt sind die beiden vom Keyboarder Wolfgang Proppe und Schlagzeuger Christian Wübben, die mit ihrem unaufgeregten Spiel den Songs eine formidable Basis verleihen. Schließlich das Bläserduo Christa Becker (Querflöte) und Henning Beckmann, die fleißig sämtliche Songs begleiten und dabei ein ums andere Mal ihr Können unter Beweis stellen.

ERDMÖBEL, 09.12.2016, clubCANN, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Bei der Attitüde muss das Stichwort „Ironie“ fallen sowie „Bonner Republik“. Der schon erwähnte goldene Stern, ein weites Sakko, ein roter Samtpulli, ein Keyboard-Glockensound „wie bei Mike Oldfield“, Diskokügelchen und „Fräulein“ („Fräulein Frost“). Musikalische Anknüpfungen an Vertreter dieser Zeit wie Element of Crime oder Rio Reiser stützen diesen Eindruck. Die Songs sind geprägt von schönen, oft eingängigen, aber nie zu simpel klingenden Melodien. Die Texte bereiten großes Vergnügen genau hinzuhören. Und da findet sich manch wunderbare sprachliche Wendung, einige Passagen, bei denen man sich den goldenen Glitzerstern gut in rot vorstellen kann und zahlreiche pointierte Alltagsszenen. Rainald Grebe kommt mir als Vergleich an manchen Stellen auch in den Sinn. „Gott“, „Goldener Stern“ oder das wunderbare „Nah bei Dir“ – sind nur drei der eigentlich alle erwähnenswerten Lieder dieses kurzweiligen Abends. Es wird mitgesungen, dass es eine wahre Pracht ist. Es gibt ein polyphones Blockflöten-Intro. Gott (Bassist Ekki Maas) steigt herab und lässt sich Wünsche in sein Ohr flüstern (Einmal auf der Blockflöte spielen, ein Thermomix, dreimal Weltfrieden), die sogleich in den Song aufgenommen und teils erfüllt werden. Der Wunsch der Band, die größte Diskokugel diesseits von Westfalen in Gang zu setzen, wird durch das Technik-Team auch sofort realisiert. Und natürlich die überzeugendste Polonaise zu „Jesus weint schon“, die in Stuttgart je auf einem Pop-Konzert stattgefunden hat. Da bleibt nur noch zu sagen: Hosianna, Gloria und hoffentlich alle Jahre wieder!

ERDMÖBEL, 09.12.2016, ClubCANN, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Erdmöbel

Ove

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

I accept that my given data and my IP address is sent to a server in the USA only for the purpose of spam prevention through the Akismet program.More information on Akismet and GDPR.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.