ALLIGATOAH, 15.11.2016, Theaterhaus, Stuttgart

Konzertbericht: ALLIGATOAH, 15.11.2016, Theaterhaus, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Die Frage an mich selber, warum ich eigentlich hier bin, hätte ich früher erwartet. Dass Kollege X-tof und ich zu den älteren Gästen bei Alligatoah gehören würden, war klar. Doch hatte ich mit einem im Durchschnitt noch jüngeren Publikum gerechnet, das eine Karte für 40 Euro vielleicht noch von den Eltern gesponsert bekommt. So tummeln sich im Foyer des Theaterhauses viele Anfang 20-Jährige und noch einige, die nebenan zu Ernst Konarek wollen. Wir bewegen uns altersgemäß zwischen den Welten, stürzen eine Cola und verscheuchen – ebenfalls altersgemäß – gegen später ein paar Jüngere von den Presseplätzen.

Konzertbericht: ALLIGATOAH, 15.11.2016, Theaterhaus, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Aber muss sich die Frage, ob es denn am richtigen Ort ist, nicht auch das vermeintliche Zielpublikum stellen? Das Theaterhaus ist bisher nicht unbedingt als Ort der Jugendkultur Hip-Hop in Erscheinung getreten. Eher ist es das ZDF unter den Veranstaltungsorten Stuttgarts: Sehr vielfältig, hoher Anspruch, mit eher kleinem Mut zu jungen Inhalten, dafür sehr bedacht auf eine Zielgruppe über 40. Beim Blick auf die Eintrittskarte und in die Halle T1 relativiert sich dieser Kontrast bei der Tatsache, dass es ein Sitzkonzert ist. Und spätestens jetzt muss ich konstatieren, dass der deutsche Rap im Establishment des Event-Betriebs angekommen ist. Dafür gab es natürlich auch schon frühere Anzeichen (z.B. Sido + Westernhagen, die Fantas auf dem Wasen etc.), dass sich auch dieser in seinen Anfangsjahren auf Protest fokussierte Musikstil mit der Tatsache des Erwachsenwerdens auseinandersetzen muss.

Ich wundere mich noch über die Beschallung durch Reinhard Meys „Ich bin Klempner von Beruf“, als der Support des Abends auf die Bühne poltert. Michael Krebs heißt dieser und versprüht mit seinen am Keyboard begleiteten Liedern einen Humor Marke Quatsch Comedy Club. Beim zweiten Song klatscht das Publikum begeistert mit. Ich erwäge eine Flucht an die Bar, entschließe mich stattdessen, ausnahmsweise das Ass im Ärmel des Berichterstatters zu nutzen und nicht weiter zu berichten. Als ich mich kurz ärgere, nicht beides gemacht zu haben, ist die Zeit für den Michael auch schon wieder vorbei und ich kann mich wieder über dasselbe Liedchen von Reinhard Mey wundern. Hey, deutscher Rap! Das ist also aus Dir geworden? Deswegen der große Aufschrei und allerlei Debatten über eine Verrohung der Sprache in den Nullerjahren?

Konzertbericht: ALLIGATOAH, 15.11.2016, Theaterhaus, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Ich verfolge diese Gedanken nicht weiter und rätsele dafür über das Bühnenbild und den Aufbau der Instrumente: Zu sehen ist viel Folie, die hinten und an den Seiten von der Decke hängt, dazu Maler- und Handwerker-Ausrüstung, eine weiße Wand und ein aufwendiges Schlagwerk-Konstrukt um ein Vibra- und ein Marimbaphon. Sonst sind keine Instrumente zu sehen und bevor ich mich darüber auch noch wundern kann, geht’s los und schnell werden einige Fragen beantwortet. Auf die Bühne tritt zunächst Markus Lingner alias „Onkel“ (seines Zeichens auch Drummer der Ohrbooten) und wird für zwei Stunden seinen Bereich hinter dem Mallets- und Percussion-Aufbau fast nie verlassen, sondern das ganze Konzert über alleiniger Begleiter Lukas Strobels alias Alligatoah sein.

Konzertbericht: ALLIGATOAH, 15.11.2016, Theaterhaus, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Fast das komplette Bühnenbild wird sogleich beim ersten Song („Doktor spielen“) als Klangerzeuger genutzt. Jetzt erst fallen die zahlreichen Mikrofone an den Leitern und Farbeimern auf, die der Rapper eifrig und in perfekt abgestimmtem Zusammenspiel mit „Onkel“ mit einbindet. Dieser nutzt Vibra- und Marimbaphon um Klangflächen zu legen und die Melodie zu entwickeln, während er gleichzeitig mit Cajon und Snare-Drum den Beat spielt – für mich das Highlight des Abends, dieser Mann! „Denk an die Kinder“, eine Kritik an der B- und C-Promiwelt, kommt gänzlich ohne Beat aus und stellt Strobels Stimme in dem Mittelpunkt. Typisch für viele seiner Songs sind die gerappten Strophen und ein gesungener Refrain, was beides absolut gekonnt klingt. Inklusive den nächsten beiden Songs „Lass liegen“ und „Was der Bauer nicht kennt“ legt Alligatoah mit den ersten vier Stücken eine thematische Vielfalt an den Tag und beweist damit, dass Rap, der nicht plakativ ist und mit bösem Blick daherkommt, gesellschaftliche Kritik beinhaltet.

Gegen später kommen natürlich die Hits wie „Willst Du“ oder „Du bist schön“. Die Nähe zum Schlager, die diese Songs für mich haben, wird dadurch unterstrichen, dass das Publikum bei deren Refrains wieder freudig mitklatscht. Das ist definitiv nicht meins, kann aber die zahlreichen starken Momente des Konzerts nicht sonderlich trüben. Auch die mir etwas zu lang erscheinenden schauspielerischen Zwischenspiele (die Bühne als Wohnung, die von den beiden in ihren Blaumännern renoviert werden soll) kann ich verkraften. Zum Schluss fällt mir wieder Reinhard Meys Lied ein und ich denke, vielleicht ist Alligatoah der Reinhard Mey des deutschen Raps: Wohl dossierte, oft pointierte und berechtigte Gesellschafts-Kritik verpackt in teils zuckersüße Melodien. Das passt wie Arsch auf Eimer zu einem Stuhlkonzert.

Alligatoah

Michael Krebs

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