JIMMY EAT WORLD, DEAF HAVANA, 12.11.2016, Im Wizemann, Stuttgart

Konzertbericht: JIMMY EAT WORLD und DEAF HAVANA am 12. November 2016, Im Wizemann, Stuttgart

Zeichnung: stegoe

Wenn das Gig-Blog auszieht, um von den Bühnen der Welt und den Konzerten im Kessel zu berichten, dann gibt es dafür klare und strenge Regeln. Frei nach Meister Yoda heißt es „Immer zu zweit sie sind. Keiner mehr, keiner weniger. Ein Fotograf und ein Autor“. Weil über Musik zu reden, wie über Architektur zu tanzen ist und ein Bild mehr sagt als 1000 Worte. Und selbst wenn dann das Konzert nicht toll war oder man als Leser in konträrer Meinung zum Autor steht, hat man immer noch die großartigen Bildergalerien. Aber leider nicht bei dem nun folgenden Bericht über Jimmy Eat World. Denn der Vertrag für die Foto-Akkreditierung enthielt nicht akzeptable Klauseln, und so enthält der nun folgende Bericht keine Fotos. Die Vorfreude auf den Konzertabend hat das zwar erst einmal etwas betrübt. Aber reden wir uns einfach ein, dass es sich nur um die Auswüchse eines kontrollsüchtigen Managements handelt. Die eigentlich immer sehr sympathisch wirkende Band weiß davon wahrscheinlich gar nichts. Versuchen wir das zu vergessen und einfach das Konzert zu genießen.

Eröffnet wird der Abend aber erstmal sehr pünktlich um 19:57 Uhr von Deaf Havana. Die fünf Männern aus Norfolk (England) spielen Pop-Punk/Alternative-Rock mit vereinzelten Post-Hardcore Elementen. Das hätte sicher gut ins Nachmittagsprogramm des Pirate Satellite-Festivals gepasst und ist alles ganz gefällig. Aber nach ein paar Songs wird recht schnell klar, dass die Leute die gerade noch vor der Türe stehen, um eine zu rauchen oder jetzt erst so langsam in der Halle ankommen nichts verpassen. Vielleicht sind die Anbiederungs-Ansagen („I like Stuttgart, it has always a special place in my heart“, „German Beer is the best in the World“) sogar ernst gemeint, ist aber auch egal. Nach 30 Minuten ist dann Schluss und das eben gehörte auch schon fast wieder vergessen. Wir sind aber ja auch wegen was anderem hier.

Ich weiß nicht, ob noch ein paar Tickets an der Abendkasse übrig blieben, viele können es aber nicht gewesen sein. Die Halle ist sehr gut gefüllt mit einer bunten Publikums-Mischung: Halstätowierte Hardcore-Dudes mit Flesh-Tunnels neben Normcore-Hipstern, jede Menge Festival-Shirt-Träger, die gerade bestenfalls den Erstsemester-Status überwunden haben können, neben offensichtlichen Lange-Nicht-Mehr-Auf-Ein-Konzert-Gängern. Das Licht in der Halle geht wieder pünktlich um 21 Uhr aus und ein gut gelaunter Jim Adkins betritt zusammen mit Tom Linton, Zach Lind und Rick Burch die Bühne. Live werden Jimmy Eat World noch von Robin Vining an Keyboard und Gitarre unterstützt.

Der Bühnenausbau ist auf den ersten Blick recht schlicht. Am auffälligsten sind die vier großen Straßenlaternen, die die Bühne einrahmen und gelegentlich als Stroboskope flackern. Im Hintergrund sind fünf schmale animierte Lampen-Streifen die sechs sechseckige Leuchten einrahmen, die später die verschiedensten Farbspiele auf die Bühne bringen werden. Die Band steht komplett in schwarzen Hemden bzw. schwarzen T-Shirts und dunklen Hosen gekleidet zwischen erstmal klaren weißen Lichtflächen auf der Bühne.

Beim zweiten Song wird das Weiß im Licht durch ein kräftiges Rot im Hintergrund abgelöst. „Bleed American“ aus dem gleichnamigen Album von 2001 (das nach den Anschlägen vom 11. September dann in „Jimmy Eat World“ umbenannt wurde). Und die Halle ist ein erstes Mal am Ausrasten.

Es herrscht allgemein eine große Textsicherheit und an der Art wie manche mitsingen erkennt man, dass Jimmy Eat World einigen Leuten wohl sehr viel bedeutet. Gereckte Fäuste, Typen Arm in Arm, der Soundtrack zur Bromance. Als „beschwingte Melancholie“ kann man es wohl am besten Beschreiben, was hier dargeboten wird. Denn rein inhaltlich sind das ja nicht unbedingt alles Partyhymnen. Sogar die Tonfrau hinter dem Mischpult nickt und singt mit und man erwischt sich selber dabei, wie man die Strophen eines Songs, den man wahrscheinlich seit zehn Jahren nicht mehr bewusst gehört hat, plötzlich lauthals mitsingt.

I’m not alone cause the TV’s on yeah.
I’m not crazy cause I take the right pills everyday.

Ein unerwarteter Höhepunkt mittendrin ist dann „Pass the Baby“ vom aktuellen Album „Integrity Blues“. Ein eher langsames Lied, das von einer dramatischen Synthie-Bassline getragen wird. Wieder untermalt von einem imposanten rot-weißem Lichtspiel im Hintergrund erinnert das hier an Depeche Mode oder gar Massive Attack, um am Ende in einem Slayer-esken Gitarrensturm zu enden.

Jimmy Eat World waren ja nie weg, sie haben in den letzten Jahren regelmäßig Platten veröffentlicht. Und zwar sehr gute. Selbst wenn die bekannten Gassenhauer wie „Lucky Denver Mint“, „A Praise Chorus“ oder „Work“ nicht gespielt worden wären, wäre es ein großartiges Konzert gewesen. Aber natürlich wurden die gespielt und gefeiert, denn natürlich will man auch die Hits. Und als die Band nach 80 Minuten kurz von der Bühne geht, weiß jeder, der Größte fehlt noch.

Are you’re listening
Whoah oh oh oh oh oh
Sing it back
Whoah oh oh oh oh oh

Und sie lassen sich auch nicht lange bitten. Zu den ersten Tönen von „The Middle“ explodiert die Halle vollends. Ein Hit ist halt ein Hit. Da macht man nichts, außer sich dem hinzugeben. Mit „Sweetness“ geht der Abend dann zu Ende, ein „Whoa oh oh oh oh“ aus tausend Kehlen verabschiedet die Band in die Nacht. Während das Licht bereits an ist und die Halle sich zu leeren beginnt, stehen in den ersten Reihen noch immer einige dutzend Leute und fordern „One more Song“. Vielleicht stehen sie noch immer da. Ich könnte es ihnen nicht verübeln.

Jimmy Eat World Scribble

Zeichnung: stegoe

3 Gedanken zu „JIMMY EAT WORLD, DEAF HAVANA, 12.11.2016, Im Wizemann, Stuttgart

  • 13. November 2016 um 22:24 Uhr
    Permalink

    Respekt, Herr Stegoe! Heimlich im Nebenberuf Gerichtszeichner?

  • 14. November 2016 um 10:41 Uhr
    Permalink

    Wirklich gelungener Text und klasse Zeichnungen!

  • 14. November 2016 um 13:25 Uhr
    Permalink

    Dankeschön…

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