YES, 24.05.2016, Liederhalle, Stuttgart

YES, 24.05.2016, Liederhalle, Stuttgart

Foto: Steve Sonntag

Treffen sich ein spätbarocker Opernkomponist und ein Fusion-Jazzer in einem britischen Pub. Sagt der eine zum anderen: Hey, lass uns mal was Rockiges machen. Sagt der andere: Yes, Drama.

So kalt wie der Witz schleiche ich mich um 20.01 Uhr im abgedunkelten Hegel-Saal in der Liederhalle auf meinen Sitzplatz. Frechheit, eine Minute später als offiziell angegeben bei einem Rockkonzert einzulaufen. Die G-Lec-Leuchtewand, dem grobkörnigen LED-Vorläufer, zeigt die Chris-Squire-Gedenktafel. Letztes Jahr verstarb der Yes-Bassist, das Yes-Gründungsmitglied, die Yes-Legende.

Zu eingespielten Fanfaren betreten die fünf aktuellen Yes-Musiker die Bühne, Einlauf der Gladiatoren Hilfsbegriff. Das sitzende Publikum applaudiert höflich. Es ist schließlich ein klassisches Konzert. Ich gehöre mit über vierzig zur absoluten Minderheit: grau und blank am Kopf, grob kariert am Leib dominiert den nicht ganz vollen Konzertsaal. Mit der ersten Empore könnten es 1300 Besucher sein. Den Hausmeister meiner Grundschule erkenne ich wieder (kein Witz!). Fans, echte alte Fans. Reine Treue. Zuvor beim Kartenabholen murmelte ich etwas von Setlist und ein jovial grinsender Spezialist betete sie sofort runter. „Habe ich alles im Kopf“.

Und die erste Hälfte des Konzerts wendet sich dann auch an echte Fans. Und die zweite genauso, aber das weiss ich ja zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht.

YES, 24.05.2016, Liederhalle, Stuttgart

Foto: Steve Sonntag

Yes spielen einfach das 1980 erschienene Album „Drama“. Und das Wort einfach meint nicht, dass es sich dabei um AC/DC-One-Riff-Songs handelt, sondern der Masterplan für das damalige Album muss gewesen sein: Es darf sich keine Note wiederholen. Da steh ich als eigentlicher Elektroheiner (der Loop groovt) ganz schön dumm da. Es lässt sich nicht mehr verheimlichen: Ich bin kein Yes-Auskenner, genau genommen kenne ich neben dem unvermeintlichen „Owner Of A Lonely Heart“ nur das Album „Closer To The Edge“ von 1972 – und das finde ich fantastisch. Und wenn wir gerade beim Bekennen sind: Phasenweise habe ich die 70er-Alben von Marillion und Genesis rauf und runtergehört. Sind gute Alben. Und natürlich Pink Floyd, da am liebsten alles vor der „Wish You Were Here“. Diese Progressive Rock Sozialisation, die ich neben Kraftwerk, Yello, Depeche Mode und Aphex Twin in mir trage, lässt mich heute Abend zu Yes pilgern. Yes: Das sind knapp 50 Jahre stilbildende Rockmusik, 19 Studioalben, Charthits, tausende von Konzerte. Und bei einem möchte ich dabei sein.

Keyboard Geoff Downes tastet zwischen seinen neun(!) Manualen, die von drei aufgeklappten Laptops zusammen gehalten werden. Billy Sherwood basst und singt, Alan White klopft auf zig Toms, Snares, Hats und Drums. Jon Davison von Glass Hammer kehlt wie sein Vorgänger Jon Anderson, dessen hohe Stimme neben dem Gesamtsound das Markenzeichen von Yes war und ist. Dazu spielt er auf einem Elektro-Bongo und seine langen, offenen Haare werden von einem Ventilator in Bewegung gehalten. Und Gitarrist Steve Howe, mit Unterbrechungen seit 1970 dabei, erzeugt durch sein Gitarrenspiel, aber auch durch schiere Präsenz, einen Hauch unsterblicher Genialität. Spindeldürr, langer grauer Zopf, ernst, konzentriert. Tempi-Wechsel ohne Ende, keine erkennbaren Refrains, unendliche Soundtiefen, in denen man sich verlieren kann, Überforderung – „Drama“ eben. Allein der Wikipediaeintrag zu „Drama“ ist genauso lang wie der Eintrag zu Barockmusik. Aber vor der Pause kriegen sie mich dann doch noch mit „Siberian Khatru“ von der besagten „Closer To The Edge“.

YES, 24.05.2016, Liederhalle, Stuttgart

Foto: Steve Sonntag

Nach der Pause entledigen sie sich ihrer Pflichtaufgabe und spielen „Owner Of A Broken Heart“, und wie das so ist: Hits sind nicht aus Spaß Hits geworden. Hört man zu und lässt man sich darauf ein und blendet man die Tatsache aus, dass sie ständig bei SWR1 gespielt werden, können alte Hits gute Songs sein. So auch heute Abend, da fällt mir auf, wie komplex und abwechslungsreich „Owner“ ist.

Und dann setzen Yes an, das komplette Album „Fragile“ aus dem Jahr 1971 zu spielen. Ha! Echte Soundreisen, da bin ich doch dabei, großartig… Jetzt nur noch am fahrigen Leuchtewand-Content arbeiten, dann wird das noch was mit dieser Altherrenkombo, die kommen vielleicht noch ganz groß raus ;-)

Yes in der Liederhalle –  das wird mir lange im Gedächnis bleiben. Ein Erlebnis.

Und hier die Setlist:

Drama:
1) Machine Messiah
2) White Car
3) Does It Really Happen?
4) Into the Lens
5) Run Through the Light
6) Tempus Fugit

Hits Part 1:
Time and a Word
Siberian Khatru

Intermission

Hits Part 2:
Going for the One
Owner of a Lonely Heart

Fragile:
1) Roundabout
2) Cans and Brahms
3) We Have Heaven
4) South Side of the Sky
5) Five Per Cent for Nothing
6) Long Distance Runaround
7) The Fish (Schindleria Praematurus)
8) Mood for a Day
9) Heart of the Sunrise

Encore
Starship Trooper

YES

2 Gedanken zu „YES, 24.05.2016, Liederhalle, Stuttgart

  • 30. Mai 2016 um 09:00 Uhr
    Permalink

    Na das hast Du doch bravourös gemeistert, Gratulation! Nur heißt der SWR1-Smasher offiziell „Owner Of A Lonely Heart“ und das Album Fragile erschien bereits 1971.
    Aber genug der Klugscheißerei, ich bedanke für diesen tollen Bericht! :-)

  • 30. Mai 2016 um 11:07 Uhr
    Permalink

    Danke für die Blumen und die Hinweise, hab´s korrigiert. Die Veröffentlichung von Fragile wird im allgemeinen Yes-Wikipedia-Eintrag auf Januar 1972 datiert, Discocs listet die Länderveröffentlichungen auf 1971. Dieses Internet…

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