TANN, 17.02.2016, Haus des Waldes, Stuttgart
Ein Konzert mitten im Wald, veranstaltet von der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald und dem Haus des Waldes, ein Publikum, das mehrheitlich aus Förstern besteht, Tannenzäpfle an der Theke: einen passenderen Rahmen hätte sich das forst-affine Dresdner Jazz-Trio TANN nicht wünschen können. Und wir uns auch nicht. Zumindest für den zweiten Auftritt, den wir von ihnen sehen. Ziemlich genau vor einem Jahr haben uns Dirk Haefner (Gitarre), René Bornstein (Bass) und Demian Kappenstein (Schlagzeug) nämlich bei einem furiosen Wohnzimmer-Gig umgehauen. Das Vorurteil, dass Jazz eine lustarme, kopfgesteuerte Musik für bräsige Studienräte ist, haben sie damals mit dem lautesten und lustigsten Konzert weggefegt, das wir bis dato im Wohnzimmer gesehen hatten. Da ist es selbstverständlich, dass wir für den heutigen, außergewöhnlichen Auftritt eine kleine Nachtwanderung durch den Degerlocher Forst auf uns nehmen. (Außerdem sammelt unser Fotograf mit Begeisterung neue Konzert-Locations.)
Schon der Anmarsch ist ein echtes Vergnügen: den ganzen langen und finsteren Weg zum Haus des Waldes haben die Mitarbeiter mit Kerzen dekoriert. Eine fast feierliche Einstimmung auf den Konzertabend. Gut vierzig Gäste finden dann auch den Weg in die große Halle des ungewöhnlichen Mehrzweckbaus mit seiner preisgekrönten Architektur. Das Konzert ist inmitten der Dauerausstellung aufgebaut, locker bestuhlt und stimmungsvoll beleuchtet. Unsere Sorge, dass die runde Form und die vielen Glasflächen der Akustik abträglich sein könnten, zerstreut sich schnell. Der Sound steht klar und prägnant im Raum.
Wahrlich keine leichte Kost, was das Trio zu Gehör bringt. Das Spiel mit Harmonie und Dissonanz, vielfältigen Rhythmen und überraschenden Breaks ist anspruchsvoll, aber niemals akademisch oder trocken. Virtuos sind sie alle drei, sparsam eingestreute Soli geben jedem Musiker seinen Raum, aber immer, wenn es allzu frickelig werden könnte, finden sie zurück zu einem Rock-Beat oder einem Bass-Groove, der einen auch mal an Michael Jackson denken lässt. Schon fast ein Markenzeichen der Band sind aber die Zwischenansagen von Demian Kappenstein. Charmant und witzig erzählt er Anekdoten aus der Band-Geschichte. Dass ihr erster Band-Name Dirk-Haefner-Trio zum Beispiel der Band-Demokratisierung zum Opfer gefallen sei, dass ihr nächster, den sie aus den Anfangsbuchstaben ihrer Vornamen Dirk, Demian und René zusammengesetzt hätten, aber auch nicht gerade ihrem Erfolg zuträglich gewesen sei. Und wie sie dann bei einer Aufnahme-Session in einer Waldhütte letztlich zur Liebe zum Wald und zu ihrem Namen TANN kamen.
Das Thema zieht sich seitdem wie ein roter Faden durch ihr Werk. Das aktuelle Album heißt „Nadel verpflicht“, „Koniferen“ das letzte, Besucher dürfen sich im „Ästebuch“ eintragen und einen Teil ihrer Einnahmen spenden sie für die Pflanzung von Bäumen. Immerhin 300 Stück machen inzwischen die Republik ein wenig grüner. Heute Abend bekommt jeder Besucher einen Beutel Weißtannen-Samen und den Aufruf zum Guerilla Gardening mit auf den Weg.
Skurrile Namen wie „Kapaun“, „Okapi“, „Julia auf dem Ponyhof“, „Mandys Dandy“ oder „Dra Di Net Um“ tragen ihre Stücke. Nur ihr schräg verjazztes Cover „Teenage Dirtbag“ haben sie heute leider nicht im Programm. Es ist verblüffend, was für abwegige Hilfsmittel Kappenstein im Laufe des Abends aus einer großen Tasche hervorkramt, um seinem Schlagzeug immer neue Sounds zu entlocken. Wo andere Jazzbesen verwenden, agiert er mit profanen Handfegern. Große Stahlfedern, eine mit Glocken gefüllte Schaukelfigur, ein Skateboard und vieles mehr wird zur Rhythmusproduktion eingesetzt. Das bisher seltsamste Arrangement dürften aber die zwei Vibratoren sein, von denen einer zwischen den Hi-Hats eingeklemmt wird und der andere auf der Snare rattert.
Kurzum: alles weit entfernt von biernernster Intellektuellen-Musik. Das Publikum genießt den Abend sichtlich. Wir auch. Und der Band scheint’s auch zu gefallen, denn ein so gutes Publikum würden sie gerne gleich zu den nächsten Konzerten mitnehmen. Alles kein Problem, Platz im Auto habe man noch, und auf dem Tourplan stünden so schöne Orte wie Weinstadt, Fulda, Itzehoe oder Lübeck.