DIE NERVEN, 16.12.2015, Universum, Stuttgart

DIE NERVEN, 16.12.2015, Universum, Stuttgart

Foto: Steffen Schmid

Oh Mann, was soll man eigentlich noch über Die Nerven schreiben? Jede Lobeshymne wurde doch schon gesungen, jede noch so verschwurbelte Interpretation ihrer Texte vorgenommen, jeder Rock-Titan zum Vergleich herangezogen, jeder Award verliehen, jede Vereinnahmung versucht, das Band-Netzwerk seziert und jeder Kritiker-Erguss ergossen. Was soll da eigentlich noch kommen? Die Ehrenbürgerwürde der Stadt Stuttgart? Der Bambi fürs Lebenswerk?

Viel höher kann man die Erwartungen an ein einfaches Rock-Konzert nicht schrauben. Zumal es der Abschluss-Gig ihrer bisher größten Tournee und dazu noch ein Heimspiel ist. Versuchen wir das Unmögliche. Blenden wir das Lobgehudel von der „wichtigsten deutschsprachigen Platte des letzten Jahrzehnts“ und ähnliche Elogen aus, lassen wir Kurt und Ian in Frieden ruhen, und beschränken wir uns auf die Beschreibung dessen, was hier und heute im Universum geschieht.

LEVIN GOES LIGHTLY, 16.12.2015, Universum, Stuttgart

Foto: Steffen Schmid

Natürlich ist der Laden ausverkauft. Keiner will diesen Meilenstein in der Bandgeschichte verpassen. Das Universum, nicht gerade eine ideale Konzert-Location, bremst die andrängenden Massen durch seine beengte Garderobensituation dann aber erstmal derart aus, dass viele Levin Goes Lightly verpassen, der den Abend für seine Freunde eröffnet. In einer Drei-Mann-Besetzung (Paul Schwarz an den Drums, Thomas Zehnle am Bass) legt er ein etwas verhuschtes Set hin, das nicht annähernd an den Release-Gig im Schocken heranreichen kann und will, aber den Abend dennoch angenehm einleitet.

DIE NERVEN, 16.12.2015, Universum, Stuttgart

Foto: Steffen Schmid

Mit „Unschuld in Person“ eröffnen die Nerven ihr Set. Und als nach wenigen Takten die erste Sound-Wand auf uns hereinbricht, ist es fast schmerzhaft zu spüren: Das ist – quasi aus dem Stand auf Tempo 100 – nicht nur unfassbar intensiv, das ist vor allem infernalisch laut. Ich kann mich nicht erinnern, jemals einen derart brachialen Sound im Uni gehört zu haben. Und das Kurioseste daran: Der Gesang bleibt dabei voll verständlich. Kann eigentlich nur daran liegen, dass Meister Milberg himself die Regler bedient.

DIE NERVEN, 16.12.2015, Universum, Stuttgart

Foto: Steffen Schmid

Wie eh und je stehen sich Gitarrist Max Rieger und Bassist Julian Knoth direkt gegenüber. Die Aufstellung, bei der sich die Band eher einander als dem Publikum zuwendet, ist schon fast ihr Markenzeichen und betont auch optisch die Dichte ihres Vortrags. Kevin Kuhn berserkert im Hintergrund an den Drums und hat eine Zonk-Plüschfigur mitgebracht. Wenn Rieger und Knoth dann mal mit hohlen Blicken in das Publikum starren, ist man nicht sicher: ist es die mimische Interpretation ihrer lakonischen Texte, oder ist ihnen einfach nur die kräftezehrende Tour anzusehen? Oder beides?

DIE NERVEN, 16.12.2015, Universum, Stuttgart

Foto: Steffen Schmid

Ein Mangel an Energie ist ihnen jedenfalls nicht anzumerken. Was in der nächsten Stunde auf das Publikum einprasselt, gehört sicher zum heftigsten, was ich dieses Jahr gehört habe. Eine Mischung aus Titeln aller drei Alben, die live weit homogener daherkommt, als man aus der Konserve erwarten könnte. Dazu das fantastische Joy-Division-Cover „No Love Lost“, das für mich einen der Höhepunkte des Gigs markiert. Mit „Der letzte Tanzende“ und „Angst“ endet ein Set, das den Laden ordentlich in Bewegung gebracht hat und begeistert aufgenommen wird.

DIE NERVEN, 16.12.2015, Universum, Stuttgart

Foto: Steffen Schmid

Die darauf folgende Zugabe beendet Rieger demonstrativ mit dem Herunterreißen aller Saiten. Das wohl wichtigste Jahr in der Geschichte der Nerven ist hiermit offiziell beendet. Und wenn wir nicht zufällig innerhalb einer Woche drei Gigs mit dieser – oder noch größerer – Wucht gesehen hätten (die anderen von Agent Fresco und Andy Frasco) würden wir vermutlich in den Chor derer einstimmen, die die Nerven für die ultimative Live-Band halten. So können wir trotz aller Euphorie beruhigt feststellen: die Nerven haben noch lange nicht ihren Höhepunkt erreicht. Da geht noch mehr. Wir sind gespannt auf 2016.

DIE NERVEN, 16.12.2015, Universum, Stuttgart

Foto: Steffen Schmid

Die Nerven

Levin Goes Lightly

4 Gedanken zu „DIE NERVEN, 16.12.2015, Universum, Stuttgart

  • 19. Dezember 2015 um 15:23 Uhr
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    Ach wat wär ich gerne dabei gewesen!

  • 29. Dezember 2015 um 07:49 Uhr
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    Volle Zustimmung. War super stark. Der Artikel übrigens auch, trotz der Selbstzweifel zu Beginn :)

  • 16. Februar 2016 um 08:53 Uhr
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    Auch Arte Tracks findet die Spur nach Stuttgart:

    Am 20.02.2016 um 23.00 Uhr kommt ein Beitrag, der den Titel „Stuttgart rising“ trägt:

    „Aus gut informierten Musiktopcheckerkreisen heißt es, Stuttgart sei gerade das neue Seattle. Schließlich ist um Bands wie „Die Nerven“, „Karies“ und „Human Abfall“ eine äußerst umtriebige Szene entstanden.“

    Siehe https://www.arte.tv/guide/de/064501-002-A/tracks

  • 17. Februar 2016 um 13:08 Uhr
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    Lieber B., ich danke für den Hinweis.

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