BALTHAZAR, 04.12.2015, Im Wizemann, Stuttgart

BALTHAZAR, 04.12.2015, Im Wizemann, Stuttgart

Foto: David Oechsle

Was in diesem November und Dezember an wunderbaren, spannenden und hochklassigen Konzerten veranstaltet werden ist beachtlich. Ein Highlight jagt das nächste und es mangelt dabei, wie bei diesen beiden Beispielen nachzulesen ist, nicht an Lobeshymnen. Einer meiner persönlichen Höhepunkte erhoffe ich mir von dem erneuten Gastspiel der belgischen Gruppe Balthazar, die ich schon dreimal live erleben durfte, was jedes Mal – vor allem die beiden Clubgigs in Berlin und Stuttgart – ein wirkliches Fest war. Und genau diese Erwartungshaltung bereitet mir etwas Magengrimmen: Wird ihr eine meiner favorisierten Bands der letzten drei Jahre auch dieses Mal wieder gerecht?

BALTHAZAR, 4.12.2015, Im Wizemann, Stuttgart

Foto: David Oechsle

Nein, stopp, so geht das nicht, alles auf Anfang. Knappe elf Zeilen sind geschrieben, alles läuft auf einen routinierten, nicht sonderlich überraschenden Bericht hinaus, man will die Leser im Adventstrubel und Besinnlichkeits-Glühwein-Lebkuchen-Rausch schließlich nicht allzu sehr verwirren, aber das muss jetzt einfach raus, an einen Teil der Konzertbesucher im kleinen Club des Im Wizemann: Ihr hättet es mit Eurem Gequatsche, mit Euren lauten Kommentaren und Rufen zu den Freunden drei Meter entfernt fast geschafft, mir, unserem Fotografen und sicherlich noch zahlreichen Anderen dieses tolle Konzert in Gänze zu vermiesen.

BALTHAZAR, 4.12.2015, Im Wizemann, Stuttgart

Foto: David Oechsle

Schon bei der Vorband Soviet Grass aus Brügge, die pünktlich Schlag 20 Uhr die Bühne betritt, hatte ich notiert: „Hoffnung, dass das Publikum nachher aufmerksamer ist“. Okay, die Musik der vier Belgier ist krachend, straighter Blues-Rock, den man sich gut im Hintergrund einer Kneipe in Texas vorstellen kann, zusammen mit einem gepflegten Bier zum Feierabend und einem kleinen Schwätzchen. Dazu noch ein etwas breiartiger, gitarrenlastiger Sound, sodass man die Ansagen kaum verstehen kann, da wird es schon mal schnell unruhig und man unterhält sich – fair enough!

BALTHAZAR, 04.12.2015, Im Wizemann, Stuttgart

Foto: David Oechsle

Doch dann kommt diese großartige Band auf die Bühne: Der Sound ist klar und druckvoll, die Musiker wirken engagiert, es ist Bewegung auf der Bühne, die Spielfreude vermittelt. Die beiden Gitarristen Maarten Devoldere und Jinte Deprez geben bei den ersten beiden Stücken „Decency“ und „Then What“ vom aktuellen Album „Thin Walls“ abwechselnd den Leadsänger (und klingen dabei erstaunlich ähnlich) und das Bühnenlicht ist eher unaufgeregt.

„Unaufgeregt“ ist auch an sich eine gute Beschreibung der Musik der fünf. Bass (Simon Casier) und Schlagzeug (seit 2014 Michiel Balcaen) haben den nach vorne gehenden Rhythmus im Griff und Patricia Vanneste unterstreicht die Melodiebögen mit Keyboard oder Geige. Und das überzeugt mich auch dieses Mal: In den Songs geht alles scheinbar mühelos und spielend einfach ineinander über – ein treibender Beat, der auch mal fast etwas hip-hop-haftes hat (live überragend: „Fifteen Floors“) oder einen eher bluesigen Ansatz wie bei „Nightclub“. Aber bei Balthazar stehen immer die Melodien im Mittelpunkt und es ist ein Faszinosum, wie viele dieser Melodien ins Ohr gehen und sich dort festsetzen, weil sie schlicht wunderbar sind!
Aber es ist eben kein Soundbrei. Nichts gegen das volle Gitarrenbrett, in keiner Weise, und auch bei solcher Musik kann es auf Nuancen ankommen. Aber kann ich auf diese Feinheiten achten, wenn ich mich während weniger zum Tanzen anregenden Songparts lautstark unterhalte? Das wäre mir auch egal, wenn diejenigen das nicht mitbekommen – aber die, die das mitbekommen wollen, haben eine geringere Chance darauf.

BALTHAZAR, 4.12.2015, Im Wizemann, Stuttgart

Foto: David Oechsle

„Wait Any Longer“ wird angespielt, Spot auf Deprez und Vaneste, ein ruhiges Intro und ein Lautstärkepegel im Publikum, dass zunächst Deprez um Ruhe bittet und als das nicht wirklich hilft, mehrere Leute ein energisches „Ssshhh“ verlauten lassen. Allein, es bringt nicht viel und mich im weiteren Verlauf kurzzeitig auf die Palme. Es ist den fantastischen Songs der Band zu verdanken, welche alle zum Tanzen animieren und dabei weiter diese grandiosen Melodien beinhalten, dass dieses Konzerterlebnis nicht komplett zerstört wird. Ich meine, ist „Blood Like Wine“ nicht vielleicht der beste Popsong dieser Dekade (oder doch „Sinking Ship“?)? Für alle, die Balthazar zum ersten Mal sahen, so kann eine Live-Version des traditionell den offiziellen Teil eines Balthazar-Konzerts beschließenden Songs auch aussehen.

BALTHAZAR, 04.12.2015, Im Wizemann, Stuttgart

Foto: David Oechsle

Und Du, der gestern meinte, in einer der wiederkehrenden Pause im choralhaften Schlussteil vernehmlich zu rülpsen – Du bemalst auch Kunstwerke in Galerien mit Edding, oder? Du gähnst lauthals während des zentralen Monologs im Theater oder wirfst im Kino mit Popcorn. Popmusik ist Kunst und die Künstlerinnen und Künstler gehören – unabhängig des Gefallens der Musik – dementsprechend respektiert. Wer das nicht einsieht oder es nach dem fünften Bier nicht mehr schafft einzusehen, sollte besser an die Bar im Foyer oder in die gegenüberliegende Kneipe. Das mag versnobt klingen und manche mögen mit den Augen rollen ob der Häufigkeit, in der dieses Thema auch hier auf dem gig-blog angesprochen wird – das ist mir dann aber genauso egal wie diesen Leuten scheinbar ein Konzert.

BALTHAZAR, 04.12.2015, Im Wizemann, Stuttgart

Foto: David Oechsle

Soviet Grass

Balthazar

Ein Gedanke zu „BALTHAZAR, 04.12.2015, Im Wizemann, Stuttgart

  • 6. Dezember 2015 um 10:28 Uhr
    Permalink

    Hast du Schüler mitgenommen, Chris???

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