THEES UHLMANN, 19.11.2015, Franz K., Reutlingen

Thees Uhlmann

Foto: Christian Nuglisch

Mon Dieu, was für eine Show! Dieser THEES UHLMANN gibt alles am Donnerstagabend in der restlos ausverkauften Franz K Arena zu Reutlingen. Alleine das Bühnenbild ist ein fulminantes Statement: zwei chromblitzende Laufstege ragen direkt ins Publikum, Traversen und Videoleinwände suggerieren eine fremde und bedrohliche Welt. Alleine diese Lichtshow könnte eine Kleinstadt in Mecklenburg-Vorpommern vollständig erleuchten. Doch es ist die Welt der Grandezza, des unnahbaren Glamours – die Welt des Thees Uhlmann. Wahnsinn.

Uhlmann schwebt im gleißend roten Licht langsam von der Hallendecke hinab, während Nebelschwaden die Bühne fast vollkommen verhüllen, plötzlich schießen Feuersäulen aus den stilisierten Totenköpfen an den Rändern der monströsen Bühne, sie zucken förmlich. Es ist ein surrealeas Schauspiel. “Are you ready, Reutlingen?“, schreit Uhlmann in das weite Rund der Arena.

I said, are you fuckin‘ readyyyyy Reutlingen!

ruft Uhlmann nochmal den Unmengen an gezückten Smartphones entgegen. Es mutet an wie der Aufruf zu etwas Großen. Noch bevor der Abend richtig in Fahrt kommt, haben die Sanitäter bereits alle Hände voll zu tun. „Ulle! Ulle! Ulle!“ skandieren völlig entrückte Teenager und Anlageberater – Sie recken ihre Fäuste dabei der Hallendecke entgegen. Mehreren fällt das Smartphone runter. Dann ohrenbetäubender Lärm und alle Dämme brechen: Uhlmann steigt gleich mit seinem größten Hit ….

Ah, Mist. Schuldigung. Lügenpresse. Falscher Text. Alles gelogen…. Das hier ist eine Lesung. Was soll da schon groß passieren? Da ist ein Vorhang, da ist ein Tisch, ein Stuhl und ein Mikrophon. Da sind auch ungefähr 200 Leute. Im Hintergrund läuft „Junk Bond Trader“ von Elliott Smith, eines der tollsten Lieder von einem, der nicht mehr unter uns weilt.

Thees Uhlmann

Foto: Christian Nuglisch

Thees Uhlmann ist zum Glück da, läuft auf die Bühne, winkt, setzt sich, plaudert und liest aus seinem ersten Roman „Sophia, der Tod und Ich“, im Oktober erschienen beim Kuschelverlag Kiepenheuer & Witsch. Abgekürzt: KiWi, so wie der Uhlmann manchmal „Facie“ statt Facebook sagt. Das nimmt der Sache die unnötige Schwere.

Sagen wir wie es ist: Manchmal fühle ich mich wie ein Idiot, beim gig-blog Adventskalender beispielsweise: „Top 10 Bücher 2015“. Mit Sicherheit gibt es Schränke voll mit Büchern, die auf solche Listen gehören. Mein Lesepensum beläuft sich aber allenfalls auf „so viele, wie es Monate gibt im Jahr. Manchmal auch weniger oder mehr.“ Ist halt so. Man braucht ja auch noch genügend Zeit für Platten, Serien, Filme, Sudoku, Nasebohren, Weltprobleme lösen, Hund verarschen und Küssen. Küssen und Hundverarschen sind sehr wichtig.

Manche Bücher sind ja auch nicht automatisch toll, nur weil sie Bücher sind – das kennen wir ja von „Ich liebe Vinyl“. Da brauche ich manchmal nur eine halbe Stunde, um empirisch zu belegen, dass Wanda mein Leben nicht mehr bereichern werden. Bei Büchern dauert das oft unangenehm länger.

„Sophia, der Tod und Ich“ von Thees Uhlmann ist ein gutes Buch. Nee, ein sehr gutes Buch. Hau’ ich sofort auf meine Liste. Der Plot: Eines Tages klingelt der Tod an der Tür und will die Hauptfigur mitnehmen. Zum Sterben. Dann klingelt die Ex-Freundin und der schöne Schlamassel geht erst richtig los.

Die Geschichte bekommt eine ganz neue Dynamik, wenn Uhlmann die Kapitel selbst vorliest. Der 41-Jährige zieht den Ton an, bis sich die Worte fast überschlagen, mal haut er die Bremse rein und manchmal muss er selbst lachen.

Oder erklären: „Man muss sich wundern!“ liest Uhlmann aus seinem Buch, klappt es unvermittelt zu und erzählt die Geschichte dieses Ausspruchs. Von einem Kind, das seinen verkaterten Papa, am Dienstagmorgen mit mehrmaligem Pieken ins Auge aufweckt und sagt: „Man muss sich wundern!“

Der Papa ist Kettcar-Bassist Reimer Bustorff. Verkatert ist der Mann, weil er die Nacht zuvor mit Uhlmann bei St. Pauli im Stadion war, sie sich gegenseitig „sozial upgedated“ und eben zu viel Bier getrunken haben. Am Schluss wirkt es, als hätte Thees Uhlmann das Kapitel seines Buches für ein Kind geschrieben.

Wenn Uhlmann Sätze aus seinem Buch vorliest, die er besonders gelungen findet, hält er auch mal inne und schmunzelt – nicht, als würde er auf eine spontane „LaOla“ warten. Sondern eher so: „Stark! Das hab ja ich getippt. Geil.“

Im zweiten Teil der Lesung ist auch die Tischdecke weg und man sieht, wie Uhlmann mit dem ganzen Körper vorliest. Er rutscht auf dem Stuhl herum, verdreht die Beine wie ein schüchterner Teenager, zuckt und gestikuliert mit der rechten Hand. Fast hätte er sein Weinglas umgeboxt.

Mitten in der Lesung steht Uhlmann plötzlich auf, um dem Vater seines Freundes Sebastian einen Autoschlüssel zu übergeben. Mittags hatte er noch die Familie in Stuttgart besucht und bekam ein Auto ausgeliehen, um rechtzeitig zur Lesung zu kommen. Jetzt holen Sohn und Vater das Auto wieder ab. Uhlmann umreißt die Geschichte ihrer langjährigen Freundschaft und erzählt von ehrlicher Liebe und Wertschätzung, die über Jahrzehnte hält.

Thees Uhlmann

Foto: Christian Nuglisch

In Zeiten, in denen „Fail!“-brüllen als kritischer Beitrag zu einer Diskussion gilt, ist das natürlich hoffnungslos romantisch oder wahlweise auch hoffnungslos naiv, derartige Gefühle öffentlich zu äußern. Aber an Hoffnung ist überhaupt nix auszusetzen. Und genau das macht diesen Uhlmann eben aus – musikalisch, wie auch jetzt als frischgebratener Bestsellerautor. Der feiert das Leben und das Gute, selbst wenn er vom Tod erzählt, der – um nur so viel zu verraten – zumindest in seinem Roman ein Spitzentyp ist.

In einer Welt voller Uhlmänner wären wir jeden Tag ein bisschen angeschwippst, würden uns von den Momenten und Dingen erzählen, die wir lieben, uns freundlich auf den Arm boxen oder feuchte Küsse auf die Backe schmatzen. Wir würden erst „Bitte“ und später „Danke“ zur Barfrau sagen und uns abklatschen, weil es sich lustig anhört und wir eh gerade nix wichtigeres vorhätten.

Keiner würde die Kassiererin im Supermarkt oder den Schaffner im ICE anmotzen. Nichts, das uns betrifft, war je deren Schuld. In dieser Welt umarmt man die Guten, anstatt in jedem ein dummes Arschloch zu befürchten. Sollte doch eines dabei sein, weiß man das eben beim nächsten Mal.

Geil, oder? Hättehättemofakette, mir egal. Es klingt allemal besser als die Alternative.

Würde Uhlmann sich je von der Hallendecke abseilen. Es ist zu befürchten, dass er sein Publikum mitnehmen würde. Nur um jedem einzelnen zu zeigen, wie geil das ist, dass das überhaupt funktioniert. Dann klappt er ein letztes Mal das Buch zu, nur um später im Foyer, jeden Highfive-, Autogramm- und Foto-Wünsche zu erfüllen.

Uhlmann wirkt dabei wie der, der sich am meisten über das alles hier freut.

Thees Uhlmann

Foto: Christian Nuglisch

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