SOPHIE HUNGER, 16.11.2015, Im Wizemann, Stuttgart

SOPHIE HUNGER, 16.11.2015, Im Wizemann, Stuttgart

Foto: Steffen Schmid

Das Bühnenlicht wird gedämmt, einer der fünf Scheinwerfer, die alle jeweils auf eine Person auf der Bühne gerichtet sind, hüllt Sophie Hunger am Flügel in warmes Licht und „Queen Drifter“ erklingt, breitet sich im großen Saal des Wizemann aus und zieht spürbar alle Konzertbesucher in den Bann. Diese Stimme! Kraftvoll, gefühlvoll, zerbrechlich, energetisch – alles hintereinander oder sogar zugleich. Ich staune, genieße und bin berührt von diesen knapp drei Minuten Musik. Und diese Vielfältigkeit ist ein Teil der Künstlerin Sophie Hunger. Schöne Stimmen gibt es sicherlich viele auf den Konzertbühnen der Welt, aber hinzu kommt Sophie Hungers eigene Art der Bühnenpräsenz. Ich denke, es ist ihre Mimik und Gestik, die ihrem Auftreten das besondere Etwas verleihen. Sie wirkt auf mich so, als sei sie ganz bei sich, ganz in dem Moment, ganz bei dem gespielten Song. Bestimmte Wörter und Verse erfahren dabei oft eine besondere Betonung, die vielen Songs eine eigene Lebendigkeit gibt. Wörter werden leicht abgehackt, fast ausgespuckt, andere Passagen werden langgezogen und dadurch entsteht ein Ausdruck, der bis in hintere Reihen des Publikums zu sehen, wenn nicht sogar zu spüren ist. Sophie Hunger ist irgendwie nicht richtig zu fassen, lässt sich nicht in eine Schublade einordnen. Im einen Moment möchte man mit ihr in einer verrauchten Kneipe am Tresen lehnen, im anderen wirkt sie fast schon unnahbar. Und so ist dieses Konzert wunderbar kurzweilig und facettenreich.

SOPHIE HUNGER, 16.11.2015, Im Wizemann, Stuttgart

Foto: Steffen Schmid

Aber kurz zurückgespult an den Anfang dieses Konzertabends. Der beginnt mit zwei Jungs auf der Bühne, ebenfalls aus der Schweiz, der eine davon Julian Pollina und sein Projekt „Faber“, das eigentlich ein Soloprojekt ist. Nach den ersten Takten empfinde ich einen starken Drang den beiden nicht weiter zuhören zu wollen, da der Gesang eher ein seltsames Nuscheln irgendwo zwischen Philipp Poisel und James Blunt ist – beides normalerweise Gründe für mich, hektisch nach einem anderen Radiosender zu suchen. Ich erinnere mich meiner Chronistenpflicht an diesem Abend und erlebe in den nächsten Minuten eine deutliche Steigerung: Er bringt irgendwann doch seine Zähne auseinander, was seine Stimme weitaus hörbarer macht, und die Off-Beat-Nummern, die gekonnt von seinem Compagnon auf der Basedrum, Posaune und Tamburin begleitet werden, beinhalten teils gewitzte, teils ernste Texte.

SOPHIE HUNGER, 16.11.2015, Im Wizemann, Stuttgart

Foto: Steffen Schmid

Sophie Hunger (eigentlich Emilie Jeanne-Sophie Welti) eröffnet ihren Auftritt alleine, à cappella und auf schweizerdeutsch mit dem Song „Dia Fahrenda“ und ich denke schon jetzt, angelehnt an „Asterix bei den Ägyptern“: Diese Stimme! Und wie bei Kleopatra, könnte Hunger sehr viel Unsinn auf der Bühne veranstalten und ich wäre immer noch von ihrer Stimme begeistert. Sie schafft es schon in diesem ersten Stück, das Publikum in den oben beschriebenen Bann zu ziehen. Aber sie veranstaltet keinen Blödsinn, sondern bietet großartige Lieder, die ab dem zweiten („Supermoon“, dem Titelstück des aktuellen Albums) noch zusätzlichen Glanz von ihrer überzeugenden Band erhalten. Dabei kann sie sich auch Beinahe-Schlager-Plattitüden als Refrain leisten, wie bei „Die ganze Welt“ – der restliche Text sowie die komplexe Instrumentierung gleichen das mehr als aus. Spielend und überzeugend gleitet Hunger zusammen mit den vier Musikern zwischen verschiedenen Genres hin und her. Hier etwas Blues und Rock, da etwas Soul und Jazz, auf den Punkt genaue Akzente. Und genau diese Vielfalt ist eine der Stärken dieses Konzerts, denn es wirkt an keiner Stelle beliebig und aufgesetzt.

SOPHIE HUNGER, 16.11.2015, Im Wizemann, Stuttgart

Foto: Steffen Schmid

Sogar meinem einzigen, winzigen Kritikpunkt nimmt Sophie Hunger selber den Wind aus den Segeln, indem sie nach „Spaghetti mit Spinat“ anmerkt, dass sie vom Instrumentalteil am Schluss des Songs immer von der Band begeistert sei, und dass sie mehr „solcher Teile“ machen sollte. Ja, das sollte sie! Und dabei braucht sie ihre eigenen musikalischen Fähigkeiten nicht in den Schatten stellen. Denn neben den wunderbaren Musikern wie z.B. Alexis Anérilles, der ein tolles Piano-Solo hinlegt und vielen Songs durch sein Flügelhorn eine eigene Note verleiht, wechselt Sophie Hunger so mühelos zwischen Piano, E- und Akustikgitarre wie zwischen den Sprachen in ihren Liedern. Englisch, Deutsch, Schweizerdeutsch und Französisch (wunderbar ihre Version von „Le vent“!) sind zu hören und egal in welcher Sprache, bis zum Ende dieses wunderbaren Konzerts denke ich: diese Stimme!

SOPHIE HUNGER, 16.11.2015, Im Wizemann, Stuttgart

Foto: Steffen Schmid

Sophie Hunger

Faber

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