OLIVER MARIA SCHMITT, 23.10.2015, Merlin, Stuttgart

Oliver Maria Schmitt

Foto: X-tof Hoyer

Kanzlerkandidat, OB-Kandidat in Heilbronn und Frankfurt a.M., Boy-Group-Mitglied, Ex-Titanic-Chefredakteur, heutiger Titanic-Herausgeber, Ehrenvorsitzender der „Die Partei“, Punk, Schriftsteller, gebürtiger Heilbronner. Während seiner Zeit als Titanic-Regent gegen Ende der 1990er dürfte er mir als regelmäßiger Leser des Fakten-Magazins erstmalig auf Papier begegnet sein, persönlich gesehen habe ich ihn, wenn ich mich richtig erinnere, zum ersten Mal in Heilbronn(!) bei einer Lesung. Zusammen mit einem mutmaßlichen Co-Autor wurden Texte zum besten gegeben, die sich als gnadenloses Heilbronn-Bashing zusammenfassen lassen. Mir ist sogar noch eine Zeile bis heute halbwegs in Erinnerung:

Nichts beendet ein zunächst vielversprechendes Partygespräch schneller, als sich als Heilbronner zu outen.

Heilbronn. Ich weiß aus Interviews, z.B. in Hanix, dass es Schmitt, der schon lange in Frankfurt a.M. lebt, regelmäßig in die „unquirlige Unterlandmetropole“ (Schmitt) zieht. Die Stadt hat einen Ruf, der leider nicht viel mehr Wert ist als ein Kilo Pansen. Ich bin ungefähr in der Mitte zwischen Stuttgart und Heilbronn aufgewachsen. Schon früh war absolut klar, dass man sich Richtung Süden orientieren sollte. Exkursionen in die Stadt waren mehr als enttäuschend. Der damalige Skateshop verseucht mit „Chiemsee“-Produkten, die Innenstadt ein in Beton gegossener architektonischer Albtraum, ohne Charme, ohne brauchbare Clubs und Konzerte. Das Schönste an den Trips nach „Heilbronx“: Der Anblick des Bahnhofes, der die Abreise nach Hause versprach. Von der Zerstörung im 2. Weltkrieg hat sich die Stadt bis heute nicht vollständig erholt. Strategisch wichtig aufgrund des Hafens, gehört Heilbronn zu den am schlimmsten zerstörten Städten in ganz Deutschland. Ein Zeitzeugenbericht hat sich bei mir eingebrannt – man habe Heilbronn während der Bombennacht am Horizont „glühen“ sehen. Der missglückte Wiederaufbau, der teilweise zwischenzeitlich wieder beseitigt wurde, gab der am Boden liegenden Stadt den Rest. Ohne diese Ereignisse könnte die Stadt sicher auf Augenhöhe mit Tübingen liegen. Zuständige Verantwortungsträger wünschen sich die Popularität von Ludwigsburg. Denn die Lage am Neckar, die Kanäle, die Infrastruktur – eigentlich alles top. Lanzen brechen muss man auch für die starke Skateboard- und Hip-Hop-Szene, für das Mobilat, für Hanix, für die regelmäßigen Auftritte der Stadt bei „Aktenzeichen XY“ und natürlich für Oliver Maria Schmitt. Er hat nach „Hit me with your Klapperstock“ ein weiteres Reisebuch geschrieben: „Ich bin dann mal Ertugrul“. Ersteres vor Jahren, letzteres vor kurzem gelesen. Wie alle Veröffentlichungen von Schmitt sehr lustig, sehr, sehr lustig. Es ist nicht seine erste Buchvorstellung im Merlin, die Lesung zu einem seiner Romane habe ich an gleicher Stelle auch schon gesehen. „Anarchoshnitzel schrieen sie“ empfehle ich insbesondere allen Stuttgartern, die noch nicht wissen, warum die Luft auf dem Killesberg sauberer ist als am Bodensatz des Kessels.

Oliver Maria Schmitt

Foto: X-tof Hoyer

Action! Schmitt erscheint in einem seiner Trademark-Outfits, gestreiftes Sakko, die er von einem Clown-Ausstatter bezieht – schätze ich mal. Wir werden auf schwäbisch begrüßt, und schneiden im Vergleich Heilbronner / Stuttgarter im Bereich „Reisen“ erwartungsgemäß besser ab. Er stellt das erste Kapitel des neuen Buches vor „Die alten Hemmingways und das Meer“. Untermalt mit Schnappschüssen von seiner Teilnahme an einem Hemmingway-Ähnlichkeitswettbewerb in Florida. Ich bin etwas irritiert, dass ich offenbar der Einzige bin, der ein Portrait von Hemmingway in jungen Jahren erkennt, welches Schmitt zum Erraten präsentiert. Ja bin ich denn der einzige Fan? Habe nur ich das neue Buch gelesen!? Das Bild ist doch im Buch zu sehen, denke ich. Wie sich in der Nacharbeit herausstellt, stimmt das gar nicht, was meiner Leistung noch wesentlich mehr Gewicht gibt. Sein Auftritt in Florida mit dem Ziel des Ehrentitels „Papa“ wird hier jetzt nicht wiedergegeben. Buch kaufen, selber lesen, lachen. Eine Begebenheit muss im Zusammenhang mit Florida noch erwähnt werden. Schmitt präsentiert ein Selfie mit „Maximo Leader“ Darsteller Castro, der seinen Namen vorsichtshalber mit Edding auf die Taschen seiner Militärjacke geschrieben hat. In einem sozialen Netzwerk wird das Bild mit „Nee echt jetz???“ kommentiert.

Nächstes Kapitel: „Sex Dreaming mit Henry Miller“. Kalifornien bereist man per PKW von Norden nach Süden, lernen wir, damit man nicht ausschließlich den Stau auf der anderen Straßenseite sieht. Schmitt liest von Miller inspirierte, aufgesexte Tagebucheinträge vor, die er in einer Unterkunft auf dieser Route gelesen hat. Am Besten gefällt mir das „Nonstop Bonkfest“ zweier Senioren.

Oliver Maria Schmitt

Foto: X-tof Hoyer

Next Stop: Tangoland Finnland. Wer es, wie ich, auch noch nicht wusste – es gibt zwei große Tangonationen auf diesem Planeten. Argentinien und Finnland. Hätte man sich ja fast denken können. Schmitt outet sich als Tanzschuleverweigerer aus politischen Gründen. Bei mir waren es Coolheitsgründe, was ungefähr das gleiche ist. Auch dieses Kapitel wird mit skurrilen Bildern von Finnen in Tierkostümen und Finnen beim Solo-Tango unterlegt. Gefallen haben mir besonders die Schnappschüsse von finnischem Speiseeis, wie das monströse Zitronen-Lakrize-Eis in der Waffel, und einem angsteinflössenden schwarzen Eis am Stil, das an eine Waffe erinnert. Selbst Weltenbummler Schmitt hat sich nicht ran getraut an dieses krasse Teil aus gefrorener Angst.

Der Titel des aktuellen Buches wird uns noch erklärt. Eine clevere Idee, ein Manuskript bei der Frankfurter Buchmesse versilbern zu wollen, welches die Mega-Seller „Ich bin dann mal weg“ mit „Feuchtgebiete“ vermischt. Weitere Arbeitstitel: „Ich bin dann mal feucht“. Hat aber nicht geklappt. Verleger wie Kritiker waren mit der Idee nicht zu gewinnen. Denis Scheck empfahl, den Protagonisten nicht von der Türkei nach Deutschland laufen zu lassen. „Dann wäre das Buch aber doch nur sechs Seiten stark!?“ – Scheck: „Umso besser“.

Oliver Maria Schmitt

Foto: X-tof Hoyer

Nach der Zigarettenpause präsentiert er uns das Kapitel „Nahtod in Tony Sopranos Endstationszimmer“, welches uns lehrt, wie unpathetisch und praktisch veranlagt Italiener sind. Ein Artikel im Spiegel teilte mit, dass James Gandolfini seinen Infarkt zu Hause in den USA überlebt hätte. Man kann nicht alles haben. Wer es doch gerne will – es scheint einigermaßen unproblematisch zu sein, im Zimmer 449 des Boscolo Exdra in Rom, dem „Endstationszimmer“, zu nächtigen.

Das kürzlich erschienene Titanic-Boy-Group-Buch „Greatest Hits“, von Sonneborn, Schmitt, Gsella, welches Schmitt zu einem Drittel als „gelungen“ bezeichnet, wird uns vorgestellt. Genauer das von Schmitt verfasste Kapital über Vorschläge für künftige Weltkulturerbe-Stätten in Deutschland. Sieht man die potentiellen Kandidaten wundert man sich, dass die UNESCO nicht längst tätig geworden ist: Paderborn, der Winzerexpress in Rüdesheim, das Schlafzimmer Adenauers („Wer hier nicht stirbt, ist nicht zu kriegen“), der legendäre Kreisverkehr in Bad Orb. Letzterer war auch schon im „Klapperstock“ – sehr zu empfehlen auch der „Münchner Fön“.

Der letzte Trip führt nach Bordeaux, wo Schmitt in das Panschen von edlen Weinen eingeweiht wurde. Sehr überzeugend imitiert er den französischen Experten bei einer Weinprobe, „Mischen: Impossible“. Schmitt lässt in Bordeaux Weinexperten einen Albtraum am helllichten Tag durchleben, als er von beliebten deutschen Mixgetränken spricht, hergestellt aus „zur Hälfte einem sehr guten, körperreichen Rotwein und zur Hälfte aus sehr guter Cola. Es wird, je nach Gegend „Korea“ oder „Bambule“ oder auch „Kalte Muschi“ genannt.“

Zum Abschluss wird im Stil eines katholischen Pfarrers der „Triumph des Grillens“ vorgetragen – Titanic-Leser kennen das Manifest. Allen anderen sei Nacharbeit empfohlen. Macht alle mit, wählt Oliver Schmitt als euren nächsten literarischen Trip.
Oliver Maria Schmitt

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