LIV, 26.08.2015, Merlin, Stuttgart

LIV, 26.08.2015, Merlin, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Immer, wenn das Klinke-Festival im Merlin in die letzte Woche geht, ärgere ich mich, dass ich nicht doch bei mehr Konzerten war und stelle aber im selben Moment fest, dass dies einfach an so grandiosen Dingen wie Urlaub oder der wiederbegonnenen Bundesliga liegt (wobei das grandios in diesem Fall bisher gestrichen werden kann!). Dass Stuttgart an sich auch noch mitten in der Urlaubszeit steckt, kann man tagsüber an der Vielzahl der Straßenbaustellen erkennen, abends an freien Parkplätzen auf dem Weg durch den Westen zum Merlin. Immerhin hatte ich es zum tollen Konzert von Jamhed geschafft, über das Kollegin Madame Psychosis einen schönen und treffenden Bericht geschrieben hat.

An diesem Abend bespielt als Auftakt der letzten Woche Liv die Bühne. Um ehrlich zu sein, ist mir Liv Solveig Wagner, die in Stuttgart aufgewachsen ist, dann in Karlsruhe Geige und in New York Jazzgesang studierte, das erste Mal aufgrund eines ungewöhnlichen Konzert-Orts aufgefallen, nämlich dem Hospitalhof, in dem sie im Juli dieses Jahres ein sehr besonderes Konzert mit Streichquartett und visuellen Effekten gab.
Das Video, das es zu ihrem Lied Liv’s Song gibt (bei der youtube-Suche bitte nicht vor pinken Disney-Channel-Videos des Teenie-Duetts Liv and Maddie erschrecken… man braucht etwas, um sich davon zu erholen!), hat mich auf jeden Fall neugierig gemacht, und so stehe ich im gut gefüllten Merlin und bin gespannt, was der Konzertabend so bringt. Und er bringt, um es direkt zu sagen ein wunderbar stimmungsvolles, musikalisch herausragendes Konzert!

Der Aufbau der beiden Sets ist gut abgestimmt: Liv eröffnet zunächst alleine und somit werden ganz deutlich sie und ihre Stimme in den Mittelpunkt gestellt. Nun könnte man meinen, wer Jazz-Gesang studiert hat, deren Stimme kann nicht so schlecht sein. In Ordnung, aber diese muss auch gut eingesetzt werden – und das wird sie. Der Raum wird schon nach den ersten Takten von einer vollen, präsenten Stimme eingenommen, die im Laufe des Abends ein großes Spektrum aufweist: oft verträumt, genauso oft bestimmt und mit einem breiten Klangspektrum. Da ist es still im Saal – bei jedem Song bis zum Verklingen des letzten Tons.

LIV, 26.08.2015, Merlin, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Zu diesem wunderbaren Konzert tragen aber auch noch andere Aspekte bei, z.B. Livs großartiges Spiel mit der Geige (die hier bei ihren akzentuierten Einsätzen mehr ist als nur folkloristisches Accessoire) und der Akustik-Gitarre, unterstützt von einem nicht übertriebenen genutzten Loopmaschine. Und auch die Band trägt einen entscheidenden Anteil: Zum zweiten Mal hätten sie gestern in dieser Konstellation zusammengespielt, erfahre ich nach dem Konzert, und das lässt meine Hochachtung noch weiter wachsen. Auch hier könnte man einwenden, dass das ja alles Profis seien, die sollten ihr Instrument schon beherrschen. Das wird auch schnell ersichtlich, aber nie deshalb, weil sich irgendjemand in den Vordergrund spielt, sondern, weil die vier Herren es verstehen, die Songs und Livs Stimme im Mittelpunkt zu lassen und einen sowohl warmen als auch oft groovenden Klangteppich zu weben. Und sie setzen in den verschiedenen Stücken immer wieder musikalische Schmankerl: Da sind ganz vereinzelte blue notes zu vernehmen, überraschende und präzise Tempiwechsel und ein großartiges Klaviersolo.

Es sind wunderbare Songs, die in dieser Konstellation gespielt werden. Das melancholisch, fast schon düstere Eröffnungsstück Words – sofort assoziiere ich sehr klischeehaft die wolkenverhangene Inselgruppe Lofoten und werde durch den Titel des zweiten Songs („Nordic Coastline“) bestätigt. Und weiter wird die Intensität gesteigert, wenn beim Song „And me. Inbetween“ zum ersten Mal die Band zum Tragen kommt und das Verträumte einen dezent treibenden Beat verpasst bekommt und das Ganze sich immer mehr aufbaut und alle eine sichtbare Spiellust entfalten. Diese Steigerungen, in denen schließlich die Geige und Loops das Ganze noch veredeln, werden zum Glück noch bei weiteren Songs als Stilmittel eingesetzt und das ist einfach richtig gut!

LIV, 26.08.2015, Merlin, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Die Pause unterbricht etwas den Fluss des Konzerts und die Aufmerksamkeit einiger weniger Gäste, aber auch im zweiten Set gelingen all diese schon beschriebenen Dinge. Etwas jazziger geht es zu Beginn des zweiten Sets zu, wenigstens ist das mein Eindruck. Es folgen das komplexe, aber doch eingängige Stück „Heartbeat of Shibuya“, das norwegische Volkslied „Danse mi vise“ und ein Stück vom kommenden Album, „Slowly Travels“, das einen etwas indie-folk-mäßigeren Einschlag aufweist und bei dessen letztem Decrescendo ich leider vergeblich hoffe, dass es nur ein Zwischenteil sein möge.

Schließlich steht Liv wieder alleine auf der Bühne, wie schon das ganze Konzert über glücklich lächelnd, mit Gitarre, Geige und Loop-Maschine, mit deren Hilfe sie dem begeisterten Publikum einen dreistimmigen Gesang im ¾-Takt mit auf den Weg in die laue Augustnacht gibt, mit dem es sich wunderbar zurück durch den Westen spazieren lässt.

LIV, 26.08.2015, Merlin, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Ein Gedanke zu „LIV, 26.08.2015, Merlin, Stuttgart

  • 29. August 2015 um 11:00 Uhr
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    Ich mag die Musikerin und die Musik auch sehr. Vielen Dank für den schönen Bericht!

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