JACCO GARDNER, TRÜMMER, WANDA, 21.08.2015, Obstwiesenfestival, Dornstadt

Obstwiesenfestival

Foto: Udo Eberl

Wenn jemand fragt, wofür Du stehst, sag für Amore!

der Wiener Band Wanda ist, würde ich mal sagen, eine der besten Pop-Textzeilen der vergangenen Jahre gelungen. Zweimal habe ich dieses Jahr die Chance verpasst, Wanda live zu sehen (einmal im Februar im Vorprogramm von Kraftklub in der Schleyerhalle, einmal im Mai in der Manufaktur in Schorndorf), läuft mir also sehr rein, dass die Gruppe diesen Sommer auch noch beim Obstwiesenfestival in Dornstadt bei Ulm auftritt, diesmal bin ich definitiv dabei. Psych-Pop-Wunderboy Jacco Gardner spielt dort auch, den wollte ich mir sowieso mal anschauen, ebenso die Band Trümmer aus Hamburg, die ja irgendwie mit den viel gelobten Die Nerven (auch noch nicht live gesehen, Mist) verbandelt ist. Kostet außerdem keinen Eintritt, das Festival, super. Geh mer hin.

Mit der Gig-Blog-Mini-Reisegruppe macht das alles natürlich noch mehr Spaß, auch wenn man sie am liebsten allesamt dabei hätte, die lieben Kolleginnen und Kollegen. Nach gewohnt überpünktlicher Ankunft geht es zunächst darum, besonders aussagekräftige Selfies zu inszenieren und in den diversen sozialen Netzwerken abzusetzen (Notiz: 16.35 Uhr: Jens’ Datenvolumen ist aufgebraucht). Schließlich möchten die Friends darüber informiert werden, wie schön wir sind wie unsere interessante Konzertreise verläuft.

Obstwiesenfestival

Foto: Udo Eberl

Schön unaufgeregt das Festival auf jeden Fall. Das Gelände liegt optimal zu erreichen mehr oder weniger direkt an der Autobahn, Zelt und Bühne sind schon von weitem zu sehen, Parkplatzsituation ein Traum. Die Verpflegung dürfte jetzt wegen mir noch ein bisschen an Auswahl/Qualität zulegen, aber ist ja auch kein Street Food-Markt, sondern eine Musikveranstaltung.

Jacco Gardner

Foto: Udo Eberl

Die ersten beiden Gruppen We Destroy Disco (Vorbild: The Strokes) und Futurefox (Elektropop) hören wir uns von weitem an. Jacco Gardner, der um sieben auf der Hauptbühne auftritt, interessiert uns dann natürlich sehr. Die Alben von Jacco Gardner werden von vielen netten Menschen aus meiner Umgebung sehr gemocht. Ich muss ehrlicherweise gestehen, dass ich die Musik bisher etwas eintönig fand, schon auf jeden Fall gut mit vielen psychedelischen Sixties-Sounds, aber jetzt nicht unbedingt meine Top-Alben des Jahres. Trotzdem natürlich in vielerlei Hinsicht genau mein Ding, freu mich drauf.

Vor der Bühne ist noch nicht so wahnsinnig viel los (füllt sich während des Auftritts schon noch ein bisschen), so dass man ganz bequem vorne rumstehen kann. Jacco Gardner tritt zusammen mit einer vierköpfigen Band auf, die sich alle untereinander sehr ähnlich sehen (alle mit irgendwie Hipster Bärtle und/oder Ray Ban Sonnenbrille). Aufgebaut ist diverser Vintage-Kram an Instrumenten, sieht vielversprechend aus. Jacco Gardner selbst ist ja ziemlich jung (laut Wikipedia 1988 geboren) und sieht auch wahnsinnig jung aus mit roter Truckerkappe, verzottelten Haaren und Hochwasser-Boyfriend-Jeans. Etwas genervt bin ich von zwei rosahaarig bezopften Dorf-Girls, die ziemlich ignorant vor der Bühne herumgiggeln bzw. schon mal mit ihren „Amore“-Schildern Wanda-Fangirl-Posen einstudieren. Nichts gegen Fangirls, aber lasst mich doch bitte in Ruhe meinen Jacco Gardner genießen.

Jacco Gardner_2

Foto: Udo Eberl

Gespielt werden insgesamt zehn Stücke, die sich tatsächlich untereinander ziemlich ähnlich sind. Psychedelisches Rumgeorgel, schön klimperiger Vintagesound, spacige Synthieparts, Harmoniegesang, dezent treibendes Schlagzeug. Die Stimme von Jacco Gardner steht nicht unbedingt im Vordergrund, Text versteht man nur wenig. Der Gesang gefällt mir aber sehr, so dreamy und jungenhaft, aber gute Stimme. Erinnert mich auch an die von mir sehr verehrten Orwell um Jérôme Didelot aus Nancy. Find ich gut, ziemlich hypnotisch alles. Allerdings im bierseligen Festivalkontext nicht jedermanns Sache, so dass der Publikumszuspruch höflich, aber nicht übermäßig begeistert bleibt. Auch ok, habe eigentlich eh gerne Sachen für mich.

Weiter geht’s mit Trümmer im Zelt, wo ich dann allerdings nur kurz reinhöre. Wummert und dröhnt mir ehrlich gesagt alles zu arg, bissle unsubtiles Poser-Gerocke meiner Meinung nach, vielleicht auch einfach nur nicht mein Geschmack.

A. klärt inzwischen, was es mit der Andeutung „Haltet nach einer Erdbeere Ausschau“ im Zusammenhang mit Wanda im Programmheft auf sich hat, das lässt sie einfach nicht los. Und endlich die Lösung: Am Erdbeerstand gibt’s Schnaps. Es geht doch nichts über eine seriöse Recherche.

Obstwiesenfestival

Foto: Udo Eberl

Wanda, als glücklicherweise schon um kurz nach halb neun spielender Headliner der Herzen, sind dann tatsächlich genau so, wie erhofft. Ausladende Macho-Posen, offenes Hemd, demonstrativ breitbeiniges Rumgestehe, Parole „Amore“ – das lässt sich natürlich auch ohne Metaebene als einfach geil und sexy verstehen, warum nicht. Das ist aber eben auch sehr melancholisch und trotz – oder vielleicht gerade wegen – der offensichtlichen Inszenierung absolut authentisch. Hier geht es, würde ich jetzt mal so interpretieren, eben nicht um die Verherrlichung von Männlichkeit sondern um Verletzlichkeit, die dann halt so groß ist, dass man sie in einer noch größeren Pose verpackt, quasi Flucht nach vorne.

Wanda spielen etwa zehn Stücke, darunter natürlich die Hits „Bologna“, „Luzia“ (auch wundervoller Text: Ich bin ein einfacher Typ ohne viel Hirn aber Baby, ich brauch dich nah bei mir, unterschreibe ich sofort), „Schickt mir die Post“ oder „Ich will Schnaps!“. Die Begeisterung im Publikum ist angesichts der Bühnenpräsenz von Wanda und den niederschwellig zugänglichen Songs in klassischer Rockband-Besetzung natürlich groß, so soll das ja auch sein. Absolut zurecht werden Wanda quer durch alle Medien gehypt, bitte weiter so.

Glücklich angesichts der vielen schönen Eindrücke brechen wir dann noch vor zehn auf und sind am Ende zu einer Uhrzeit wieder zurück in Stuttgart, zu der man normalerweise erst ausgeht, voll ok. Gutes Festival, wir kommen gerne wieder!

Obstwiesenfestival

Foto: Udo Eberl

Edit: Soeben erreicht mich die Information, dass im neuen Wanda-Video „Bussi Baby“ die Schreiberin Ronja von Rönne mitwirkt, deren Texte (u.a. zum Thema Feminismus) zum herz- und gedankenlosesten Quatsch gehören, den ich je gelesen habe. Help. Was nun?

Ein Gedanke zu „JACCO GARDNER, TRÜMMER, WANDA, 21.08.2015, Obstwiesenfestival, Dornstadt

  • 23. August 2015 um 12:55 Uhr
    Permalink

    Trümmer sind für mich ein gutes Beispiel für eine ganze Menge (überwiegend neuer & junger) Bands, die mit ihren perfekt produzierten Songs und Videos unglaublich hohe Erwartungen aufbauen. Bei Trümmer muss man nur „Wo ist die Euphorie“ nennen – saustark!
    –> https://www.youtube.com/watch?v=Z–eEkY-kBc
    Leider schaffen sie es auf ihren Konzerten dann nicht, diese Erwartungen auch zu erfüllen – echt schade.

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