DER ENGLISCHE GARTEN, 24.07.2015, Rakete, Stuttgart

Der Englische Garten

Foto: Özlem Yavuz

Es ist zwar gerade ein rekordheißer Juli in Mittelneckarerde, aber ich muss doch kurz auf unseren alljährlichen gig-blog Adventskalender an dieser Stelle verweisen. Dieses Endjahres-Sammelsurium geschmackssicherer Listen von geschmackssicheren Leuten machte mich vor Jahren auf Der Englische Garten aufmerksam. Seitdem bin ich ständig am Kontrollieren und Schauen, wo denn die Münchner endlich mal live spielen. Verdammt rare Ereignisse sind das. Dafür, dass sie jetzt tatsächlich in Stuttgart spielen, gehören Second Hand Records Pauki und FFUS Moritz, die das möglich gemacht haben, bis ans Lebensende gepriesen.

Super Service: Laut Moritz wartet die Band mit dem Beginn ihres Konzerts auf meine Ankunft. Peinlichst geschmeichelt geht es in den Konzertraum, und freudige Überraschung: Die Band spielt in voller Besetzung, heißt mit drei Mann an den Blasinstrumenten. Insgesamt acht Menschen, und damit knapp halb so viele wie Personen im Publikum. Nur zwanzig Leute wohnen einem der besten Konzerte des Jahres bei. Nun ja, den nicht Anwesenden sei gesagt: Ihr werdet unglücklich sterben.

Der Englische Garten

Foto: Özlem Yavuz

Ist Der Englische Garten schon auf Platte eine Hausnummer für sich, zeigen sie live, dass sie zu den herausragendsten Bands aus deutschen Landen zählen. Oder um es mit Kollege Jens zu sagen: „Ausnahmegruppe“. Und so zeigt die Ausnahmegruppe gleich mit dem ersten Song „Die Aufgeräumte Stadt“, was sie so besonders macht.

Da ist erstmal die federleichte, starke Melodiösität zu nennen. Dazu gibt es haufenweise harmonische Septakkorde, und schon haben wir zwei Zutaten aus älteren Barock- oder Soft-Popzeiten, als es cool war, soft und harmonisch zu klingen. Die Rhythmusgruppe mitsamt den Bläsern fügt dem Ganzen allerdings eine stark dynamische Northern Soul-, bzw. Mod Pop-Komponente zu. Ergibt eine unwiderstehliche Mischung aus Tanzbarkeit bei gleichzeitigem Baden im Marmeladentopf der süßen Melodien (siehe auch: gescheiterte Metaphern).

Der Englische Garten

Foto: Özlem Yavuz

Gnadenlos poppig und üppig melodiös. Damit ist in Indie-Germany, wo es entweder heulsusig bedeutungsschwanger oder aber rockig daherkommen muss, natürlich kein Blumenstrauß zu gewinnen. Die erste CD ist nicht mehr groß auffindbar, und auch ansonsten sind die Münchner nur wenigen Leuten bekannt. Diese Wenigen strahlen aber glücklich, zum Beispiel beim zweiten Song Dein Taschenmesser.

Es ist das erwartet überragende Konzerterlebnis, aber ein bisschen überraschend ist es dann doch, wie gut DEG live sind, wenn man bedenkt wie rar ihre Auftritte gesät sind. Die Energie und Sympathie der Band nimmt einen gefangen. Es mag nicht jeder Ton immer sitzen, aber das wird durch die Dynamik und die Hingabe mehr als wettgemacht. Und was ein Bläser-Terzett live für ein Gewinn ist, kann man hier am eigenen Leib erfahren. Unglaublich wie viel besser so etwas einen Auftritt macht. Der Schweiß fließt in Strömen. Was hier los wäre bei mehr Publikum, möchte man sich gar nicht ausmalen.

Der Englische Garten

Foto: Özlem Yavuz

Zwischendurch gibt es auch Songs, von denen ich nie gehört habe und auch nichts im Netz finde („Mach mal einen Punkt“, „München 70“). Echte Perlen, kann doch gar nicht sein, dass die nicht veröffentlicht worden sind. Das großartige „Ein bisschen Streiten“, mit seinem wunderbaren Refrain, oder fast noch besser das zackige „Wissen ist Macht“, mit so famosen Zeilen wie

Wir schießen Meteore ab
Mit Kühlschränken voll Kopfsalat

sind mir hingegen gut vom letzten Album „Die aufgeräumte Stadt“ bekannt.

Trompeter Christian erlebt heute wohl sein Debüt. Nicht nur live, sondern überhaupt mit der Band, wenn ich das richtig verstanden habe. Auch daran erkennt man, dass das hier keine Anfänger sondern richtige Musiker sind. Aber das ist einem eh klar, wenn man sich die Songs genauer anschaut, was da in Sachen Harmonien und Arrangements alles passiert. Da steckt nicht nur viel Liebe, sondern auch ordentlich musikalischer Background drin.

Der Englische Garten

Foto: Özlem Yavuz

Das flotte „Heizdecke am Strand“, und das so neue wie unveröffentlichte „Schlafen gehen“ sind die letzten beiden Stücken vor der Hitzepause. Von Axel Koch vorab angekündigt, denn ohne Unterbrechung und Luft schnappen würde man das nicht durchhalten können. Während er das sagt, macht sich ein Schweißtropfen von meinem unteren Rücken auf, um mit einem Höllentempo in den rechten Socken zu schießen.

Das ungewöhnlich straighte, fast schon krautige „Eine Woche und ein halber Tag“ beginnt die zweite Konzerthälfte. Die stramme, leicht disharmonische Gitarre, der straighte Beat, der monotone Bass, das Auf- und Abschwellen der Musik sorgen für zuckende Körper, und die Schweißproduktion nimmt ihre Funktion wieder voll auf. Großartig wie die Band mit dem Stück und damit mit uns spielt. Untypisch vom Sound für den DEG, aber trotzdem ein Highlight.

„Gespenster“ ist dann wieder ein Gitarren-Pop Song mit Hitqualitäten, keine Ahnung allerdings, auf welcher Platte das gute Stück zu finden ist. „Der Geist der Straße“ ist hingegen vom Vorgängeralbum, und könnte mit seinem Upbeat fast ein Song von Die Liga Der Gewöhnlichen Gentlemen sein, wenn dann nicht doch wieder die ein oder andere Major7-Harmonie mehr zu hören wäre. Das letzte Stück, irgendwas mit „Kapitän“ glaube ich, hat sogar einen dominierenden Synthie, und, ich könnte weinen vor Glück, ein leichtes „Love Is In The Air“ Feeling. Famos! Glücklich machende Musik in großen Dosen.

Der Englische Garten

Foto: Özlem Yavuz

Wir sind nicht viele Leute, aber DEG geben uns zu verstehen, dass es bei ihnen angekommen ist, wie wir von ihrem Tun begeistert sind. So erscheinen die Zugaben auch nicht wie Pflichtaufgaben, sondern etwas was Freunde für andere Freunde gerne tun. Und das abschließende Ska-Stück „Peter Handke“, samt ausuferndem Dub-Reggae Mittelteil, ist noch mal so grandios, dass das Urteil klar ausfällt. Der Gig findet sich in den Jahresendlisten unseres Adventskalenders wieder. Und das zum Schluss ausgesprochene „Auf Wiedersehen“ der Band nehmen wir ernst, denn wir wollen die womöglich beste deutschsprachige Pop-Band sobald wie möglich wieder live sehen.

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