HOWLING, 16.07.2015, clubCANN, Stuttgart

Howling

Foto: Özlem Yavuz

In Stuttgart wird sich gern darüber beschwert, dass die Stadt bei der Tourplanung von vielen interessanten Bands regelmäßig übergangen wird. Nun ist diese Planung bei international ausgerichteten Acts kein Wunschkonzert und unterliegt pragmatischeren Aspekten als dem hehren Wunsch, möglichst allen Musikbegeisterten überall ein Live-Erlebnis zu ermöglichen. Hamburg, Berlin, Köln – das muss dann oft reichen, schließlich sind auch noch andere Länder zu bespielen. Daher ist ein Blick auf den Verlauf der „Sacred Ground Album Tour“ von Howling lohnenswert für den notorisch sich etwas benachteiligt fühlenden Kesselbewohner: Glasgow, Amsterdam, Hamburg, Berlin, Mailand, Bad Cannstatt, London, Melt Festival, New York. Das kann man den Veranstaltern von ES IST LIEBE schon einmal hoch anrechnen!

Und so sonnt sich die versammelte Stuttgarter Elektro-Gemeinde plus dutzender Turnbeutel-Vollbart-Dutt-Tattoo-TrägerInnen bei einem After-Work-Wulle vor dem Jugendhaus clubCANN, so dass ich mich bei der Ankunft kurz mit einem Blick auf dessen Schriftzug vergewissern muss, durch mysteriöse Umstände nicht doch in Neukölln oder Friedrichshain gelandet zu sein. Meine Bewunderung dieser vielen schönen Menschen wird jäh durch wabernde Basslaute unterbrochen und ein Blick auf die Uhr vertreibt letzte Zweifel – Konzertbeginn um halb neun? Definitiv nicht Berlin.
Auf der Bühne wabert schon der Nebel, vereinzelte Lichtpunkte versuchen ihn zu durchbrechen, überhaupt das Bühnenlicht: Vier lange Leuchtstoffröhren laufen in die Tiefe der Bühne auf einen Fluchtpunkt zu und werden ergänzt durch sich meist drehende Lichtpunkte und einem großen Scheinwerfer hinten in der Mitte. Schwer mit Worten zu beschreiben, denn diese Komposition ergibt eine richtig gute Bühnenatmosphäre, schon lange kein solch überzeugendes Bühnenlicht erlebt.

Howling

Foto: Özlem Yavuz

Das Konzert besteht aus zwei Teilen: Im ersten ist der Ablauf wie ein klassisches Pop-Konzert, in dem die einzelnen Songs für sich gespielt werden. Da kommt vor allem der Kontrast zwischen den elektronischen Beats Frank Wiedemanns (seines Zeichens Teil des Duos ÂME) und der hohen, fast schon zerbrechlich wirkenden Stimme Ry Cumings (bekannt durch den Song BERLIN) wunderbar zum Ausdruck. Das Prinzip der Songs ist erst einmal einfach: Ruhige, melancholische Synthieklänge plus Singer-Songwriter-Stimme plus elektronische Beats. Klingt simpel, so haben sie 2012 einen veritablen Hit mit „Howling“ gelandet und so haben in den letzten Jahren auch Andere Hits produziert (z.B. Klangkarussel). Doch bei näherem Hinhören ist es gar nicht so simpel. Die Rhythmen sind komplex aufgebaut und was bemerkenswert ist, sie werden größtenteils auf Drumpads gespielt, weswegen das Duo bei den Konzerten von dem Drummer Jens Kuross verstärkt wird.

Howling

Foto: Özlem Yavuz

Das sind Voraussetzungen, bei denen ich mich gerne auf die Atmosphäre, die Rhythmen und die Stimme konzentriert und eingelassen hätte. Doch das wollten schein- bzw. hörbar nicht alle. Man rechnet ja bei manchen Konzerten mit teils unaufmerksamem Publikum, allerdings hätte ich es gerade hier nicht erwartet. Es war kurz gesagt unglaublich, wie hoch der Lautstärkepegel durch Gespräche im Raum war. Vielleicht etwas übertrieben gesagt, unterhielt sich das hintere Drittel angeregt und sogar weiter vorne wurde munter getratscht. Das hätte man nicht gehört, wenn die Lautstärke und Intensität der Songs konstant gewesen wäre. Waren sie aber nicht, und so war bei jeder Herausnahme der Beats inmitten oder spätestens am Ende der Songs eine unüberhörbare Geräuschkulisse zu vernehmen – für mich wird das immer unverständlich und ärgerlich bleiben, da es mir und anderen die Konzentration und Freude an der Musik raubt – ja, auch bei teils lauter elektronischer Musik!

Howling

Foto: Özlem Yavuz

Das Ende des ersten Teils wird mit dem Song „Sign“ eingeleitet, der dann in ein veritables 25-minütiges DJ-Set übergeht, welches dann doch mehr zum Tanzen animiert und die anderen übertönt. Und hier wird das Zusammenspiel der musikalischen Elemente und des Lichts sowie die Abstimmung unter den drei Musikern noch deutlicher. Nun haben sie das Publikum da, wo sie es haben wollen: tanzend, schwitzend und an den richtigen Stellen pfeifend und johlend. Und so hören dann auch vermutlich alle, wie Ry Cumings Stimme noch klingen kann, nämlich rauer und ein Stück weit verzerrter, was die Intensität um ein Vielfaches steigert – und das bei dem eingebauten „Cover“ von Nirvanas „Smells Like Teen Spirit“. Als ich noch über diese musikalische Vereinigung staune und mich gleichzeitig einfach nur über die Schwerelosigkeit von elektronischer Musik freue, erklingt schließlich „Howling“ als Zugabe und nach einer Stunde gehen die Türen auf und das Abendlicht durchströmt den erhitzten Raum. Fast wie morgens um 8 im Berghain. Ist aber abends halb 10 Bad Cannstatt.

Howling

Foto: Özlem Yavuz

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