LITURGY, 05.06.2015, Manufaktur, Schorndorf

Liturgy

Foto: Michael Haußmann

Möchte man Black Metal – hihi – auf Teufel komm raus als Kunstform, und weniger als Genre begreifen – bitteschön. Es tut trotzdem nicht Not, Musik mit einem Regelwerk an Theorie zu erschlagen. Auch weil gute Kunst jeder Zeit laut genug für sich selbst sprechen sollte. Und zumindest laut sind LITURGY am Freitagabend in der Manufaktur vor geschätzt 120 Leuten.

Es gibt viele Gründe, mit dem Finger auf das Quartett aus Brooklyn zu zeigen und süffisant zu grinsen – dass sie „keinen richtigen Black Metal“ spielen, ist der Kleinste davon. Im Individualistenzirkus Black Metal gehört es schließlich zum guten Ton, jedem anderen abzusprechen, ebenfalls Black Metal zu sein. Es ist das schöne alte Lied von denen, die verkrustete Regeln mit einem neuen Gesetzbuch kaputtschlagen wollen. Oder wie wir hier sagen: „Szene“.

Liturgy, um’s kurz zu machen: Sie bedienen sich vieler musikalischen Mittel des Black Metal und lassen den Rest einfach weg. Bassist Tyler Dusenbury steht da in Shorts auf der Bühne – und selbst das wirkt wie ein Statement. Denn wenn an Liturgy wirklich etwas nervt, dann all die Theorie. Es ist das prätentiöse Geschwätz, mit dem Bandchef Hunt Hunter-Hendrix seine Musik erschlägt.

Liturgy

Foto: Michael Haußmann

Der Kerl verfasste ein „Manifesto“ über „Transcendental Black Metal“, ordnete sich und sein Schaffen mal eben in eine Linie mit Walt Whitman, David Foster Wallace, den Swans und Co. ein, schwadroniert vom Schmerz des kreativen Prozesses und scheint sich tatsächlich für eine Dauerausstellung im Museum Of Modern Art zu halten. König im Hochkultur-Referenz-Bullshit-Bingo.

Umso erstaunlicher: Auf der Bühne steht kein riesengroßer Vollidiot, sondern ein scheinbar schüchterner etwas unbeholfener Junge, der leise spricht aber ziemlich laut die Gitarre schreddert. Es flirrt und klirrt, Melodien oder Struktur werden in den gut gefüllten Raum geworfen – mögen sie sich dort bitte selbst finden.

Ziemlich gut: „Kel Valhaal“, weil das nervige Gebimmel und Getröte nicht wie auf der aktuellen Platte „The Ark Work“ vom eigentlich Lied ablenkt. Eher mittelspitze: Hunt Hunter-Hendrix neue Art zu singen. Schluß mit dem Gekeife und Geschrei – der Kerl singt mittlerweile oder versucht es zumindest – irgendwo zwischen Mantra, Gewimmer und der Gewissheit, dass schon wieder nicht der richtige Ton dabei war.

Liturgy

Foto: Michael Haußmann

Ein junger Mann in Shorts und mit Marienplatz-Dutt tanzt trotzdem, ein anderer wedelt mit den Armen und versucht dabei, abgründig zu schauen. Offenkundige Metal-Fans sind unter den geschätzt 150 Leuten kaum auszumachen. Und wahrscheinlich auch sonst keiner, der je gesagt hat: „Blind Guardian. Valhalla. Bockstark!“. Aber egal. Geschmacksache bleibt eben Geschmacksache oder Kriegsgrund. Dass der Feuilleton und hippe Jugendliche auf Liturgy schwören – auch das kann man der US-Band nicht ankreiden. Das Fragwürdige an Hipstern waren seit jeher die Beweggründe, nicht der Geschmack.

„Quetzalcoatl“ bumst trotzdem ordentlich nach vorne. Die durchaus beeindruckende Musikalität des Lieds verliert sich allerdings irgendwo im Raum. Als hätte irgendjemand auf halber Strecke das eigentliche Lied versaubeutelt. Ich hoffe trotzdem, dass Liturgy irgendwann ein Lied „Tlahuizcalpantecuhtli“ nennen. Nur um Deppen wie mich beim Tippen zu ärgern. Ich sag mal: klare „Copy & Paste“-Geschichte.

Die Sache mit dem „Transcendental Black Metal“ hinkt allerdings gewaltig. Wenn drei Musiker höchst angestrengt den Schlagzeuger im Auge behalten, um sicher zu gehen, dass sie auch weiterhin alle im selben Takt spielen, dann ist „Transzendenz“ ungefähr das Letzte, das einem dazu einfallen mag. Was Liturgy in der Manufaktur abliefern, ist „Kopf“ plus „Körper“ – Hüfte, Bauch, Boppes oder eben Transzendenz gibt’s allerhöchstens hinterm Schlagzeug: Greg Fox.

Liturgy

Foto: Michael Haußmann

Der dürre Mann ist der Knaller. Er arbeitet hinter seinem spärlich bestückten Schlagzeug wie einer, der auch Sonntags ins Büro geht – weil er halt „Bock“ hat. Ah, nee noch mehr: „Böcke“. Greg Fox hält nicht nur Liturgy beieinander, sondern würde auch annähernd jede andere Band besser machen. Irre. „Veins Of God“, ein vertrackter Stampfer mit astreinem Jugendzentrums-Doom-Riff ist auch ziemlich gut und groovt sogar beängstigend lange. „Returner“ zeigt abermals, dass scheinbar nur Fox nicht am Limit der eigenen Möglichkeiten spielt. Der hat Spaß. Der Rest arbeitet.

Von – Achtung – „Crescendo“ allerdings keine Spur. Liturgy steigern sich nur selten in etwas hinein, reihen eher Höhepunkt an Höhepunkt. Manchmal klingt das wie ein andauerndes Grande Finale. „Rock Am Ring“-Fans kennen das: Jeder drischt nochmal ordentlich aufs Arbeitsgerät ein, trägt ein letztes Mal die arme Eule nach Athen und dann springt Jon Bon Jovi im Spagat vom Schlagzeugpodest, Bäm, Pyros, Flatz, Feuerwerk, Thank You And Good Night – und dann wird ordentlich gebumst im Iglu-Zelt. Bei Liturgy ist das ähnlich – nur halt ohne knattern auf der Isomatte. Ah, huch. Sorry, Faden verloren.

Liturgy

Foto: Michael Haußmann

„Generation“ ist erbarmungsloser Noiserock. Ziemlich guter sogar. Ein Akkord – das ganze Lied lang, fast hypnotisch. Aber niemand hätte sich beschwert, wenn die Idee drei Minuten kürzer ausgefallen wäre. Es macht trotzdem Spaß – auch weil Hunt Hunter-Hendrix nicht wimmert, ‚zeihung, singt. Nach knapp 80 Minuten Leistungsschau ist dann Feierabend.

„Kirchentag“, brüllt einer. Und nochmal: „Kirchentaaag“, keiner lacht, keiner reagiert. Wieder scheint eine hoffnungsvolle Comedy-Karriere im Keim erstickt. Keine Ahnung, wie lange die Karriere von Liturgy anhalten wird. Ein Teil ihres Publikums wird weiter ziehen und später erzählen, dass sie früher mal „Black Metal“ gehört haben – während in Norwegen einer ungläubig den Kopf schüttelt. Hoffentlich den eigenen.

„Ungläubig“, ne. Kennste. Kennste? „Ungläubig“. Jaha, ne?

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