DAGOBERT, 17.05.2015, clubCANN, Stuttgart

Dagobert

Foto: Steffen Schmid

Dass es in Sachen Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern insgesamt nur solala aussieht, Binse. Dass aber selbst in sich so progressiv einschätzenden Blogs noch perfideste Ausländerdiskriminierung herrscht, erschreckend. Fadenscheinigste Ausreden der Kollegen, warum sie nicht schreiben können, darunter Leute, die erwiesenermaßen sich in Dagobert-Bettwäsche fläzen, alles mit der klaren Intention: Lass das mal den Gastarbeiter machen, wir üben uns im süßen „deutsche far niente“. Dabei kenne ich diesen seltsamen Schweizer doch überhaupt nicht.

Überhaupt ist mir außer dem Entenhausener Fantastillardär niemand anderes bekannt, der so heißt. Immerhin, dass gerne mal der Begriff „Schlager“ fällt, wenn die Rede von Dagobert ist, das habe ich mitbekommen. Und ich hoffe nur, dass es nicht so ein Abend mit der Holzhammer-Ironie wird. Weil Musik gut finden, aber so ironisch, zwinker-zwonker, wie auf einem Schlager-Revival-Blödsinn oder einer Sportstudenten-Party, das finde ich entsetzlich. Musik muss mir gefallen, für das, was sie ist. Das Prinzip „so Scheisse, dass es wieder gut ist“ war vielleicht mal kurz für drei Wochen Mitte der 90er originell. Also im Kopf schon mal den eigenen Lackmustest für diesen Abend zusammengeschustert: Kann ich mir die Musik in irgendeinem unangenehmen Kontext a là Karnevals- oder Silvesterparty, Ballermann oder Junggesellenabschied vorstellen?

Die Zuschauer, es dürften so 150 bis 200 an der Zahl sein, sehen aber alle recht normal aus. Sehr gemischt so vom Alter und eventuellen Szenezugehörigkeiten her. Und neben drei jungen Leuten in feiner Abendgarderobe, sieht man aber auch „Front 242“-Hoodies.

Die Vorband Sind muss sehr pünktlich angefangen haben, denn wir bekommen nur noch die letzten zwei Lieder des Trios mit. Zwei Gitarristen und ein Sänger, der mehr sprechsingt als Melodien zu trällern. Was die beiden Saiteninstrumente so spielen, gefällt mir dabei gar nicht schlecht. Das klingt sehr fein nach melodischem Gitarrenpop, bzw. beim letzten Stück „Betty Ford“ oder so isses ein Bossa Nova. Nur die Art des Gesangs will mir nicht so recht gefallen. Aber Sprechgesang, Hip Hop etc. etc., alles nicht meine Welt. Dafür gefällt mir der Männerkuss der beiden Gitarristen zum Abschluss ganz gut. Ist ja schließlich auch der internationale Tag gegen Homophobie heute.

In der Umbaupause gibt es so nette Sachen wie Bodycount, Scorpions und Kreator zu hören. Mille hat ja bei einem Dagobert-Stück auch schon mal ein Solo beigesteuert, fällt mir da wieder ein. Um Viertel vor Neun gibt es die ersten, ehrlicherweise etwas befremdlich klingenden, „Dagobert, Dagobert“-Rufe. Und nach einem kurzen Meeresrauschen-Intro kommt die Band auf die Bühne, darunter auch die zwei Gitarristen der Vorband.

Dagobert

Foto: Steffen Schmid

Einen schicken, schwarzen Overall hat er an, der Dagobert, und ist eine adrette Erscheinung. Die Band sieht erfreulicherweise recht normal aus, außer Gitarrist Maxl Rose, wegen dessen langen Haaren samt Stirnband und rotem Jackett sich mein Lackmustest etwas zu verfärben droht. Aber es wird wenig, und wenn nur recht dezent geposet, die Musik ist im Grunde viel zu melancholisch, um Schlager sein zu können. „Alles ist okay mit Doris Day“, die Textzeile bleibt bei mir hängen.

Dagobert

Foto: Steffen Schmid

Das nächste Stück „Raumpilot“ ist ebenfalls sehr hübsch anzuhören, und das darauffolgende Lied könnte auch eine Ballade auf einem frühen Bon Jovi-Album sein. Schlager also, wie ich ihn verstehe, eher nö. Dieser Begriff muss wohl eher deswegen öfters fallen, weil Dagoberts Mischung aus simplen Pop mit Pathos und eindeutig-uneindeutigen Textschlichtheiten, die so schlicht dann eben auch nicht immer sind, im hiesigen Popkontext verwirrt. Dabei gefällt mir nach drei Stücken schon jetzt die Musik um Welten besser als so Sachen wie Kings Of Leon oder Two Door Cinema Club, oder was man halt als Indie bezeichnet. Und mit schrecklichem Mist der Marke Silbermond hat die Musik auch nix zu tun. Vielleicht eher mit Marc Almond.

Dagobert

Foto: Steffen Schmid

Es gibt auch schnellere Songs, die aber nie so Ramba-Zamba-mäßig sind. Die Melancholie ist ein fast durchgehendes Element, die durch Dagoberts ernsthaftem Gesang und Gesichtsausdruck noch unterstrichen wird. Besonders nett ist der Musik-Text-Kontrast bei „Hast Du auch so viel Spaß“. Ein wenig erinnert mich das Ganze etwas an Rocko Schamoni. Eleganter, gut aussehender Herr, der ebenfalls schöne, melancholische Lieder von sich gibt. Aber irgendwie stimmt dann doch irgendwas nicht in dem Bild, wie es so schön die Kollegin Regine ausdrückt.

Dagobert

Foto: Steffen Schmid

Kurzer Gedankenabschweif noch zu der Frage „was geht und was nicht?“, bzw. wo ist denn diese Grenze zwischen Pop und Schlager? Das ist natürlich schon sehr von den eigenen Erfahrungen und dem Umfeld geprägt. So ist es mir schon öfters aufgefallen, dass spanische Freunde aus dem geschmacksicheren Elefant Records Umfeld, so Sachen wie „The Les Humphries Singers“ oder ähnliches Zeug mögen. Musik, die hier eigentlich schon im Bereich „seichter Schlager-Pop“ verortet wird, aber definitiv nicht mehr als kredibler Pop. Schwierig ist das alles mit Gut und Böse.

Dagobert

Foto: Steffen Schmid

Das Publikum singt derweil die Mitsingpassagen textsicher mit. „Wir leben aneinander vorbei“ ist im Übrigen eine astreine Rock-Halbballade. Hätte Anfang der 90er, der Hochzeit der Rock-Halbballade, Furore feiern können. Als Teile des Publikums ein Gitarrensolo etwas zu frenetisch lustig feiern, gehen mal kurz die Alarmglocken bei mir wieder an. Das nachfolgende „Hochzeit“ mit seinem majestätischem Klavier, das tatsächlich so „November Rain“ mäßig nach eben einer Hochzeit klingt, ist vielleicht eines der Stücke, das sich tatsächlich am ehesten der Gefahrenzone Schlager annähert. Aber andererseits würden die Textzeilen

Ich will, dass meine Kinder aussehen wie du, genauso hübsch, genauso schön, genauso gut und wenn wir eines haben machen wir noch zwei und drei und vier. Ich will noch ein Kind von dir.

dann doch für ein wenig Befremden in der Musikredaktion beim Schlagerradio sorgen, wobei die dann auch gar nicht genau wüßten, warum denn jetzt eigentlich.

Dagobert

Foto: Steffen Schmid

Es gibt indes noch ein paar Outfit-Wechsel des Dagoberts zu bewundern. Irgendwann hat er obenrum dann nur noch ein Feinripp-Unterhemd an, und man darf konstatieren, dass er körperlich blendend in shape ist. Fürs Protokoll darf man noch festhalten, dass der Sound sehr gut ist, und ein Song mit einer fast schon Au Revoir Simone artigen Rhythmik daherkommt. Die Musik und der Mann selber sind nicht Hybriden sondern Polybriden, und sehr schwer zu fassen.

Dagobert

Foto: Steffen Schmid

Nach 55 Minuten bekommen wir noch drei Zugaben. U.a. den wieder etwas sinistren Titel „Ich bin zu jung“. Dagobert trägt mittlerweile einen Gürtel mit „Kreator“-Schnalle. Und ich darf für mich festhalten, dass es mir dann doch musikalisch zu Großteilen sehr gut gefallen hat. Schlichter aber nicht banaler, gut arrangierter Pop mit melancholischem Einschlag und sehr schönen Melodien, bei dem es mich sehr interessieren würde, wie man das als ausländischer, der deutschen Sprache nicht mächtiger Indie-Pop-Hörer so wahrnimmt. Auf jeden Fall fand ich das berührender, interessanter und schöner, als die x-te Indie-Gitarren-Band, die viel mehr die Erwartungen an den Geschmackskonsens erfüllt, als es Dagobert tut.

Zum Nachlesen hier nochmal die bisherigen drei Dagobert-Berichte:

Dagobert

Foto: Steffen Schmid

4 Gedanken zu „DAGOBERT, 17.05.2015, clubCANN, Stuttgart

  • 19. Mai 2015 um 08:26 Uhr
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    Tja, lieber Lino, da hat halt jeder schonmal geschrieben. Mir wäre zu Dagobert vermutlich nicht zweimal etwas Gescheites eingefallen. Deshalb bin ich auch zuhause geblieben. Hart sind die Kollegen, die „nur zum Spaß“ da sind und einem dann Stichworte zuraunen, die sie im Artikel gerne wiederfinden würden… Und beim fünften Mal muss unser anderer Quoten-Italiener dran glauben. (Dein Artikel ist übrigens große Klasse und über die Bilder sowieso.)

  • 19. Mai 2015 um 09:21 Uhr
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    Siehste – ich konnte es doch richtig einschätzen: dass du’s „berührender, interessanter und schöner“ fandest.
    Das gefällt mir, wirklich, nicht im facebookschen Sinne.
    Ich find ja eh, dass Dagobert-Konzerte schwer in Worte zufassen sind – entweder, s trifft einen oder nicht. Ich glaub so einfach ist das. Vielleicht schreib ich das – beim nächsten Mal.

    Schöner Bericht, schöne Fotos, tolles Konzert. Danke.

  • 22. Mai 2015 um 14:31 Uhr
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    Ja, genau… Entweder ist man fast direkt verstrahlt oder nicht. Die Lieder von Dagobert strahlen in einer gewissen Naivität eine unglaubliche Reinheit aus. Ich glaube so einfach ist das. Das kennt man so nicht. Eine Bitte noch…
    Auf einem der Photos ist das Geschenk meiner Freundin Ulrike abgebildet. Die würde sich sicher riesig freuen… quadratisch weiss mit Beschriftung und Sternen. Das wäre toll!!!!

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