MAX GOLDT, 22.04.2015, Wagenhallen, Stuttgart

Max Goldt

Foto: David Oechsle

Juhu: Max Goldt in Stuttgart. Als geneigte Leserin freut man sich auf einen vergnüglichen Abend der schönen Worte und Geschichten. Die Merlin-Chefin (glücklicherweise nicht im bodenlangen Jeansrock) freut sich, dass die Wagenhallen noch stehen und über den recht regen Publikumsandrang (ca. 200 Leute?). Der Autor freut sich, mal nicht im Theaterhaus zu lesen. Die Zeichen stehen rundum gut.

Tisch, schwarze Decke drüber, Wasserflasche plus dazugehöriges Glas – mehr Accessoires braucht es nicht. Max Goldt ist eine elegante Erscheinung in Ausdrucksweise und Manieren. Diese Bühnenattitüde wirkt manchmal ein wenig anachronistisch, wahrlich: Understatement pur. Umso überraschender, ihn dann manchmal über ganz lebensweltliche Profanheiten referieren zu hören (Stichwort: Milf. Später mehr dazu).

Kann sein, dass ich bei Max Goldt zur Idealisierung neige: Schon in jungen Jahren bewunderte ich sein schriftstellerisches Können, das mir in seiner ganzen Abstrusität und Weltläufigkeit eine Flucht aus der ländlichen, auf andere Art abstrusen, Tristesse bot. Öfters kommen Bewirtungssituationen in seinen Texten vor: Eine Schar intellektueller, geschmackssicherer Leute wird auf dem Goldtschen Sofa mit Nüsschen bewirtet und ausgestopfte Tiere oder andere gesprächsanregende Gegenstände herumreicht – zu gern stellte ich mir vor, in diesen fiktiven Situationen dabei zu sein, schlaue und amüsante Sachen zu sagen, Zigaretten rauchend, hach!

Wer also Lobhudelei scheut, möge getrost weiterklicken und kucken, was grad sonst so auf den einschlägigen Seiten sozialer Netzwerke los ist, ansonsten weiter im Text.

Max Goldt

Foto: David Oechsle

Anlass der Lesung ist ein neues altes Werk, ein „Faksimile“ an älteren Texten, die von dem Drucker Martin Z. Schröder typographisch ansprechend aufbereitet worden sind. Sieht nach eigener Aussage besser aus als es klingt. Also: Recycling in seiner schönsten Form. Goldts Oeuvre ist einigermaßen unübersichtlich – ungezählte Kolumnen (insbesondere für die „Titanic“), Glossen, Comics (im Rahmen des bekannten Duos Katz & Goldt) etc. pp. Neu aufgelegt und kompiliert verliert man schon mal den Überblick, egal: im Zweifelsfall doch noch kaufen.

Mit sonorer Erzählerstimme werden Alltagsbeobachtungen, verwundenen Assoziationslinien und originelle Wortschöpfungen vorgetragen. Es geht um: Den Hauch von Jetset, den Rimowa-Koffer mit Ziehschwängel (ein versauter Schelm, wer hierbei an anderes denkt!) verbreiten und geharnischte Lesebriefe unterbeschäftigter Rentner im Text „Ein Querulant hört was knarren“.

Um Verhörer: „Einen Toast ausbringen“ klingt recht ähnlich wie „einen Toast auswringen“ oder die ungute Situation, bei einem Staatsbankett dem lybischen Botschafter mit vollem Munde auf den Schoß zu niesen (in „Chefinnen in bodenlangen Jeansröcken“).

Um „hochwohlgeformte“ Leiber und den Zustand, geil zu sein „wie eine Mühle bei Windstärke 11“ oder die Feststellung, das Ruccolasalat nach Ohrenschmalz schmecke. Der Einwand, man wisse nicht um den Geschmack von Ohrenschmalz wird schnell durch ein „was sind denn das für Leute, die nicht einmal in jungen Jahren herumexperimentiert haben…“ entkräftet.

Nach der zwanzigminütigen Pause werden wir mit einem lapidaren „Schön, dass Sie noch da sind“ begrüßt. Der Autor ist ein wenig kränklich und lutscht deshalb an einem „Bongbong“ – in Freiburg sei eine Erkältung „an ihn ran gekrochen“.

Max Goldt

Foto: David Oechsle

Es folgen die sehr schönen Texte „Mütter mit nach hinten“ (Thema: Mütter und Kinder beim Autofahren); „Das Loch“ (Thema: Blubberlutsch trinkende Jugendliche und die Apathie und Teilnahmslosigkeit gegenüber Verkäufern von Obdachlosenzeitschriften, in der sich „virtuose urbane Ignorierungskunst“ manifestiere); „Ist Zsá Zsá Inci Bürkles Mutter eine Milf?“ (Thema: ausgefallene Kindernamen und die Unmöglichkeit für deutsche Erzieherinnen „Samantha“ korrekt auszusprechen, was unweigerlich in einem unschönen „Zementa“ endet).

Im letzten, älteren Text „Die armen Hasen“ (beinahe frenetisch begrüßt durch einige der Anwesenden) geht es darum, dass ein Zauberer und ein Dirigent niemals zusammen wohnen dürfen, da eine Verwechslung der Stäbe üble Folgen hätte…

Überhaupt würde der feine Eindruck den der Beruf des Orchestermusikers mache, täuschen. So hockten die Musikanten gerne in der Theaterkantine, sogenannte Gedecke saufend. Insbesondere verbreitet sei dies bei den sogenannten „Tutti Schweinen“ – meint alle Instrumente, die lediglich in den Passagen, bei denen wirklich alle mitmachen dürfen drankommen.

Max Goldt

Foto: David Oechsle

Zur Zugabe noch ein Best-of der Kommentare deutscher Gäste in Beurteilungsforen des Hotelgewerbes. Man schwankt zischen Kichern und Kopfschütteln ob der Beanstandungsgründe der Hotelgäste: „Keine Minibar, konnte aber noch sehen wo sie war.“ „Kein Bügeleisen trotz Messenähe.“ „Angestellter konnte Weg zur nächsten Lottoannahmestelle nicht richtig erklären“ usw. usf.

An diesem Abend hat das Publikum jedenfalls nichts zu beanstanden. Gerne würde man bald mal wieder etwas Frisches von Herrn Goldt lesen. Da der Autor den inflationären Gebrauch des eingedeutschten Wörtchens „Fan“ beanstandet („Ich bin ein Fan von Steinpilzen!“) wünschen wir ihm dieselben nicht, aber durchaus weiterhin viele aufmerksame Leser und verständige Zuhörer.

2 Gedanken zu „MAX GOLDT, 22.04.2015, Wagenhallen, Stuttgart

  • 26. April 2015 um 19:02 Uhr
    Permalink

    Mit Dir auf dem Sofa sitzen und ist super, kann ich dem Max Goldt nur empfehlen.

  • 26. April 2015 um 21:27 Uhr
    Permalink

    Danke für die Weiterempfehlung! Ich hoffe, er hört davon…

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