ANNENMAYKANTEREIT, VON WEGEN LISBETH, 28.02.2015, Wagenhallen, Stuttgart

AnnenMayKantereit

Foto: X-tof Hoyer

Das Konzert ist ausverkauft. Eigentlich nicht weiter besonders. Wenn man allerdings bedenkt, dass es aus dem Keller Klub hochverlegt wurde, ist das schon eine Leistung. Wenn man dann noch weiß, dass es in nahezu allen Tourstädten ähnlich lief: Ausverkauft. Hochverlegt oder Zusatzkonzert terminiert. Wieder ausverkauft. Komplett. Dann ist es zumindest beeindruckend.

Und hier ist aber eigentlich auch der Punkt, an dem ich meckern müsste: “Größere Halle? Ich hatte mein Ticket aber doch schon vorher.” Aber nicht, wenn der neue Ort die Wagenhallen sind. Auf dem Weg begrüßen einen Lagerfeuer. Und an der Tür schon das freundliche Personal. Drinnen ist trotz, ja ich wiederhole mich, ausverkauftem Haus viel Platz. Und der Klang der Bands ist bombastisch. Wenn nicht sogar besser. Eine unmissverständliche Empfehlung also, dass die Wagenhallen für Stuttgart eigentlich unverzichtbar sind und unbedingt bleiben müssen.

Ich muss zugeben, dass ich mich schon seit recht langer Zeit nicht mehr so auf ein Konzert gefreut habe. Trotzdem schaffen die Berliner Anheizer von Von Wegen Lisbeth es auf Anhieb meine übertriebenen Erwartungen direkt zu übertreffen. Und zwar mit dem überragenden Steel Drum Intro von “14 Tage Testversion”. Dazu beschweren sich die sechs Jungs, dass “die Spasten von Youtube mein Lieblingslied” sperren. Warum soll man denn was durch die Blume sagen, wenn man es auch einfach raus lassen kann? Mit der Einstellung passt Von Wegen Lisbeth perfekt zur Hauptband, denn in Sachen Texten wird es heute nicht viel subtiler.

VonWegenLisbeth

Foto: X-tof Hoyer

Auf jeden Fall präsentiert Von Wegen Lisbeth dem Publikum sämtliche Instrumente, die sie auftreiben konnten. Darunter ein Casio-Keyboard, ein Xylophon, ein Kinder-Plastikkeyboard, zahlreiche Klein-Percussion-Instrumente und natürlich die riesige Steel Drum. Trotzdem klingt der Sound nie überladen oder nach zuviel gewollt. Von Wegen Lisbeth spielt alle Lieder ihrer aktuellen EP “Und Plötzlich Der Lachs” und noch ein paar mehr. Unter diesen paar mehr Liedern sind einige echte Ohrwürmer. Besonders mit “Kafka Luise” im Ohr hofft man auf ein baldiges Debütalbum.

Vor lauter Spielfreude auf der Bühne vergesse ich fast, dass sich, besonders auf CD, Sänger Matz ein bisschen anhört wie eine junge Version von Oliver Gottwald (Ex-Anajo). Das merke ich live dann aber erst wieder, als ich “Lang lebe die Störung im Betriebsablauf” mit alten Anajo Textzeilen (“Lang lebe die Weile”) im Kopf zu Ende singe.

AnnenMayKantereit

Foto: X-tof Hoyer

Nach einer angenehm kurzen Umbaupause, die gerade mal für das Holen eines Getränks reicht, betreten Annen, May, Kantereit und Huck die Bühne. Mit “Jeden Morgen war ich warm und wurde kalt. Und die Geräuschgewalt hat mir ins Ohr gebissen” haut Henning May uns den ersten, vor Allem im übertragenen Sinne wichtigen, Satz des Abends um die Ohren. Die Geräuschgewalt seiner kratzigen, tiefen und wuchtigen Stimme beherrscht von Anfang an den Klang der Band. Nach dem ersten Lied stellt er eben jene Band sofort vor: Sie wären Christopher Annen, Henning May und Severin Kantereit. Auch Malte Huck hätten sie als Bassist dabei. Überall. Auch wenn dieser für den Bandnamen zu spät dazu kam, fügt er sich perfekt in die Band ein. Diese kommt von der Straße, wenn man so sagen will. Und das merkt man. Die drei bzw. nun vier haben viel miteinander gespielt und verstehen sich blind. Die Rhythmusgruppe, bestehend aus Christopher Annen am Schlagzeug und eben Malte Huck, schaffte immer wieder durch Verschleppen der verschiedenen Songteile die Musik aufzulockern ohne jedoch die Struktur im Geringsten zu gefährden.

Im Laufe des Abends spielen AnnenMayKantereit drei Lieder, die es, wie sie selber sagen, noch nicht gibt. In bester Straßenmusikermasche probieren sie die Lieder erstmal live aus und ändern sie unzählige Male bevor ein Lied überhaupt grob steht. Als Wiederholungstäter kann ich bestätigen, dass sich gerade neue Lieder noch sehr stark ändern und die Band auch nicht so richtig weiß, wie die Lieder am jeweiligen Abend anhören werden und sich auch selber ein bisschen überraschen zu scheinen.

Das stärkste, neue Lied, nennen wir es mal Smartphone-Song, bemängelt, dass sich sämtliche Hobbyfilmer ihre schrottigen Videos und Fotos vom Konzert sowieso nie wieder anschauen. Brav, aber nicht ohne kurzes Zögern, verzichtet das Publikum (fast) den restlichen Abend darauf Youtube und mein Blickfeld weiter voll zu müllen.

AnnenMayKantereit

Foto: X-tof Hoyer

Auch sonst hat Henning May viel zu sagen. Ziemlich direkt singt er uns darüber vor wie sein Vater ihn “Oft gefragt” hat, aber von ihm doch recht wenige Antworten bekommen hat. Oder warum er schon wieder “Barfuß am Klavier” sitzt und jemand nackt im Bett liegt. Dass ihm nicht mehr erzählt wird “Wohin Du gehst” und warum ihm das Fragen danach schwer fällt. Auch lehrt er den Hörer, dass “Vertrauen gut [ist] aber Kontrolle für Besserwisser” und das “Pocahontas” auch ganz schön gemein sein kann. Dabei legt er eine Körperhaltung an den Tag die den meisten Anderen als pure Arroganz ausgelegt werden würde. Mit verschränkten Armen vor der Brust oder hinter dem Rücken brüllt der schlaksige Kerl ins Mikro. Dabei bewegt er sich kaum. Aber aus unerfindlichen Gründen hat er dabei eine kaum zu übertreffende Ausstrahlung. Zwischendurch lächelt er verschmitzt. Deswegen wahrscheinlich auch die hohe Frauenquote.

Wenn man ein Lied des Sets besonders hervorheben möchte, wäre es wahrscheinlich “Sunny”. Ja, ein Cover. Dem die Band aber durch die herrliche Gesangsinterpretation und das fulminante Bongo-Solo einen ganz neuen Glanz verleiht.

Als Zugabe und gleichzeitig guten Querschnitt des Abends gibt es noch die Ballade “Barfuß am Klavier” mit Henning May alleine am Klavier, den Mitsinghit “Schon Krass” und die Hymne aufs Jungsein und Altwerden “21, 22, 23”. Während Annen, May, Kantereit und Huck am Merchtisch noch in kollektiver Euphorie mit dem Publikum aufgehen, treten wir den Heimweg an. Einer meiner Begleiter meint beim Rausgehen, dass wir dann wohl bald 26, 27, 28 werden und immer noch AnnenMayKantereit hören. Vielleicht in Zukunft sogar noch ein bisschen mehr als eh‘ schon.

AnnenMayKantereit

Foto: X-tof Hoyer

AnnenMayKantereit

Von wegen Lisbeth

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

I accept that my given data and my IP address is sent to a server in the USA only for the purpose of spam prevention through the Akismet program.More information on Akismet and GDPR.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.