KRAFTKLUB, WANDA, 27.02.2015, Schleyerhalle, Stuttgart

Kraftklub

Foto: Steffen Schmid

An einem grauen Abend inklusive Sprühregen, Nähe Neckarpark Stuttgart. Vorbei an der Vereinsgaststätte der Stuttgarter Polizei, Hamsterräder für Menschen zur Körperertüchtigung in einer Muckibude namens „move“, viel, viel Industrie. Wenig, was darauf schließen ließe, dass es sehr bald ganz in der Nähe um sehr viel Liebe gehen wird…
Schleyer-Halle. Nach eingehenden Überlegungen: Zuletzt betreten vor 15 Jahren zur 4:99 Tour der Fantastischen Vier. Rund 9.000 Besucher pilgern heute hier her, um Kraftklub zur Tour anlässlich ihres zweiten Albums „In Schwarz“ zu erleben. Von mir unbemerkt, hat sich diese Band scheinbar in die Herzen eines breiteren, vor allem jüngeren Publikums gespielt.

Fettes Setting, der Geruch von fettigem Essen, fetter Merchstand, an dem auch gut was umgesetzt wird – insbesondere wohl Anziehsachen, saisonbedingt auch gerne Schals für den Fan in schwarz. Fett auch die Bühne, bin geflasht (oder ist dieser Ausdruck schon wieder vollkommen überholt?! Man müsste mal jemanden aus dem Publikum fragen) ob schierer Größe und Professionalität. Zwei riesige, aufblasbare devil horns (laut Internetrecherche auch unter Pommesgabeln geläufig) rahmen die Bühne seitlich ein und verweisen emblematisch auf ein zu erwartendes Rockschauspiel.

Schlag halb acht betritt Kraftklub-Sänger Felix Kummer auf einem stelzenartigen Gestell die Bühne und macht schon mal Stimmung für die Vorband Wanda: Stuttgart ist geil, Wanda sind geil und kreisch!

Wanda

Foto: Steffen Schmid

Da rumpeln die jungen Herren aus Österreich auch schon los. Das klassisch besetzte, fünfköpfige Ensemble hat sich dem Dauerbrennerthema „Amore“ in all seinen Verrücktheiten verschrieben:  Von der ersten Verliebtheit – die ja bekanntlich aus den unterschiedlichsten Gründen aufkommen kann (z.B. „weil du weiße Zähne hast, obwohl du ständig rauchst, ist der Thomas in dich verliebt und ich auch“ – da gab es schon schlechtere Gründe!); über die sich nach erfolgreicher Eroberung über kurz oder lang einstellenden Abnutzungserscheinungen („Leidenschaft heißt Leiden und es lässt sich nicht vermeiden“); bis hin zum mal als bitter, mal als erlösend empfundenen Ende („ich glaube das sieht jeder ein, am Ende seines Lebens wird ein jeder einsam sein“). Schmerz ist eine notwendige Erfahrung und wird auch direkt im Einstiegssong „Tu mir weh, Luzia“ eingefordert. Gesungen in weicher Wiener Mundart bringen Wanda einen folkloristischen Touch Wiener Schmäh kombiniert mit poppigem Rock’n’Roll in die Halle. Und obwohl die beiden Bands des Abends nicht unbedingt auf den ersten Blick kompatibel erscheinen, funktioniert das hier auch beim Publikum erstaunlich gut – es wird mitgeklatscht und geschunkelt. Sänger Marco Michael Wanda dankts mit klassischen Rockstarposen. Bald wird das Hemd aufgerissen um eine schmächtige, behaarte Männerbrust zu entblößen (Mist! Nicht an den Feldstecher gedacht!), bald im Kreis herumgetanzt oder ekstatisch die Hüfte in die sich aufheizende Luft gepumpt. Nach acht eingängigen Songs mit gescheiten aber unprätentiösen Texten ist Schluss. Aber nur vorerst: Für ein gemeinsam intoniertes Cover des Punk-Klassiker „Blitzkrieg Bop“ von den Ramones kehren sie gemeinsam mit den sich als Wanda-Fans outenden Kraftklubs in deren Set noch einmal wieder. Und schon im Mai werden Wanda in der Manufaktur in Schorndorf zu hören sein. Amore, Drama, Rock’n’Roll: Leiwand!

Kraftklub

Foto: Steffen Schmid

Umbaupause, und da fällt auch schon der Kraftklub-Vorhang, um den Blick auf Kraftklub freizugeben. Die Band ist uniformiert gekleidet in schwarzen Harringtons, Jeans und roten Hosenträgern – der Look verstärkt den Eindruck der Marke Kraftklub. Wofür diese steht, werden wir noch erleben. Auch hier wird gestartet mit einem Song zum altbekannten Thema – bei „Für immer allein“ werden Fäuste in die Luft gereckt, es wird gesprungen und gejubelt. Ein Hauch von Testosteron liegt in der Luft. Frontmann Felix Kummer positioniert sich auf einem eigens für ihn bereitgestellten Podestchen und ist ein geübter wie begnadeter Vorturner, ein Meister der Massen. Es werden Propellerarme durchgedreht, Füße in den Boden gestampft und die beeindruckende Lichtshow orgelt hinter und über der Band herum. Diese Art von Sound nennt man wohl treibend und das Publikum ist gern bereit dazu, sich eben treiben zu lassen und ist von Beginn an voll dabei. Kraftklub-Fans stelle man sich jung und sportlich vor und dies beweisen sie auch: Immer wieder finden sich größere Teile des Publikums auf dem Boden sitzend ein, um dort gemeinschaftliches Trockenrudern zu probieren. Werde meinem Ruderverein mal zur Mitgliederanwerbung beim nächsten Gastspiel der Band in Stuttgart raten.

Kraftklub

Foto: Steffen Schmid

Die Band spielt sich quer durch die erste Platte „Mit K“ – inklusive des Berlin-Hits, der auch so manches komplexgeplagtes Stuttgarter Herz angesprochen haben dürfte – und das neue Album. Musikalisch klingt das pointiert gesungen, gut gespielt (routiniert, ohne gelangweilt zu wirken) und so ziemlich auf die zwölf. Jedoch: Die Ähnlichkeit der Songs garantiert zwar einen hohen Wiedererkennungswert, geht aber für mich schon in Richtung Monotonie und Ununterscheidbarkeit.

Ununterscheidbar ist auch ein gutes Stichwort für die Gestaltung innerdeutscher Städte und hierzu gibt es noch ein kleines Politikum, als Kummer das erste Konzert der Band in Stuttgart in der Röhre anspricht, die nun ja leider in einen „Mülleimer für Stuttgart 21“ verwandelt worden sei. Dafür widmet er den Titel „Meine Stadt ist zu laut“ passenderweise dem Untergang dieser Location.

Kraftklub

Foto: Steffen Schmid

Trotz des Szenenwechsels in die fette Halle erscheinen Kraftklub publikumsnah: Die Schleyer-Halle ist das bislang größte Haus auf dieser Tour. Man glaubt der Band, wenn sie davon sprechen, Angst gehabt zu haben vor der Veränderung in Stimmung und Erlebnis, die so eine Massenveranstaltung eben auch mit sich bringt. Eine Taschenlampe hilft Kummer dabei, jeden einzelnen Fan zumindest potentiell beleuchten zu können und Distanz abzubauen. Distanzlos auch die Art von einer zweiten Bühne in der Mitte der Halle (auf die die Band – aus Platzgründen mit Ausnahme des Schlagzeugers – für den Song „Deine Gang“ gegen Ende des Konzerts umgezogen ist), wieder zurück zur Hauptbühne zu gelangen – per Stagediving und anschließendem „Schwimmen“ auf vielen Händen, die sie dorthin tragen. Dass dabei ein Schuh vorübergehend verloren geht, ist nur kurz Thema – „wir können auch barfuß tanzen“ – und passt zur Aufforderung, „irgendetwas von dem Schrott, der uns umgibt“ in die Hand zu nehmen und kollektiv von sich zu werfen. Katharsis mit Kraftklub?!

Den immer wieder aufbrandenden Rufen, sich doch bitte auch endlich seiner Kleidung zu entledigen, gibt Sänger Felix Kummer erstmal nicht nach und weigert sich, derart sexualisiert zu werden. Liebe ist eben doch mehr. Und manchmal auch ein bisschen kollektive Ekstase inklusive Konfetti.

Kraftklub

Foto: Steffen Schmid

Kraftklub

Wanda

4 Gedanken zu „KRAFTKLUB, WANDA, 27.02.2015, Schleyerhalle, Stuttgart

  • 1. März 2015 um 20:42 Uhr
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    Großartiger Bericht! Gerne mehr :-)

  • 2. März 2015 um 20:15 Uhr
    Permalink

    Die sogenannten „devil horns“ sind eigentlich keine devil horns, sondern sollen das Gang-Zeichen von Kraftklub darstellen. Von der Seite betrachtet haben sie Ähnlichkeit mit einem K. (Siehe auch das Album Cover von „in schwarz“, da kann man es auch besser sehen) :)

  • 3. März 2015 um 11:50 Uhr
    Permalink

    Oh, danke Isa! Bin noch nicht so firm in Kraftklub-Symbolik ;-)

  • Pingback: JACCO GARDNER, TRÜMMER, WANDA, 21.08.2015, Obstwiesenfestival, Dornstadt | gig-blog.net

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