MICHAEL ROTHER , 02.02.2015, Karlstorbahnhof, Heidelberg

Michael Rother

Foto: Tox

Michael Rother dürfte durch seinen Beitrag zu den Bands Kraftwerk, Neu!, Harmonia und Cluster einer der erfolgreichsten Musiker aus Deutschland sein. Nicht gemessen an Verkaufszahlen und lukrativen Verträgen, sondern an Innovation, Einfluss und Fans unter anderen Musikern. Man könnte einen längeren Beitrag nur mit Namedropping füllen.

Grob und in ungefährer chronologischer Reihenfolge: John Peel spielt in den sehr frühen 70ern das Neu!-Stück „Hallogallo“ in seiner weltberühmten Radiosendung, David Bowie wird nach dem Kauf von „Neu! 2“ zum Fan und will Rother für sein Album „Low“ (1977) als Gitarristen anheuern, was aus unglücklichen Umständen leider scheitert. Es wird vermutet, dass das Stück „Heros“ von Bowie inspiriert wurde durch Neu!’s „Hero“ (1975), welches auch noch als Anwärter als erstes Punk-Stück überhaupt gehandelt wird. Brian Eno wird ebenfalls zum Fan und spielt diverse Sessions mit Harmonia.

In den 80er Jahren sind diese Bands Vergangenheit und Rother veröffentlicht Solo-Material, was sich tatsächlich gut verkauft, im Gegensatz zu den Veröffentlichungen seiner anderen Bands. In den späten 80ern/frühen 90ern wird insbesondere Neu! von US/UK-Bands wie Sonic Youth und Stereolab wiederentdeckt, was zur damaligen Zeit nicht einfach war, denn die Alben waren praktisch nicht zu bekommen, da es schon seit längerer Zeit keine Nachpressungen mehr gab. Ich vermute jetzt einfach mal, dass es diesen Leuten ähnlich ging wie mir, als ich zum ersten mal die Neu!-Alben (Neu! – 1972, Neu! 2 – 1973, Neu! 75 – 1975) hörte. Unglaube, dass die Veröffentlichungsjahre stimmen können.

Bedenkt man, dass zu dieser Zeit Rock noch total vom Blues durchtränkt war, sind die Neu!-Alben an Innovationskraft und Zeitlosigkeit nicht zu schlagen. Auf Neu! „Hallogallo“, ein hypnotisches Stück mit tanzbarem Beat ohne Gesang, mit „Negativland“, einem Proto-Industrial-Stück, nach dem sich die US-Band gleichen Namens benannt hat, auf „Neu! 2“ mit „Für Immer“ die noch bessere Version von „Hallogallo“, „Lila Engel“ das heute noch an Wildheit kaum zu überbieten ist. Die zweite Hälfte der Platte besteht aus anderen Versionen der Stücke der ersten Hälfte – die Erfindung der Remixe. Dazu kommt noch das minimalistische Artwork der Alben mit dem genialen Band-Namen mit Pop-Art Schriftzug, und nicht zu vergessen, der kongeniale wesentliche Beitrag von Produzent Conny Plank. Das Gesamtpaket bekommt 10 von möglichen 10 Punkten. Problematisch war stets, dass Rother und sein Partner Klaus Dinger (2008 verstorben) sehr unterschiedliche Charaktere hatten. Rother der ruhige Teil, Dinger der Wilde, ständig auf LSD-Trip, was zwangsläufig zu Spannungen führen musste. Urheberstreitigkeiten folgten lange nach dem Ende der Band. Herbert Grönemeyer schaffte schließlich um das Jahr 2000 die beiden an einen Tisch zu bringen, und er übernahm auch die Reissues der Alben auf seinem Label Grönland. Zu einer Tour der beiden kam es aber leider trotzdem nicht mehr. Es wäre die erste überhaupt gewesen.

Die Popularität von Rother’s Musik nimmt nicht ab. „Krautrock“ ist besonders in England eine echte Macht geworden, und Bands wie Death in Vegas („Sons Of Rother“), Beak>, Fuck Buttons, Eine Kleine Nachtmusik, Primal Scream und James Holden huldigen offen ihrem Helden, Tarantino verbaut in „Kill Bill“ Neu!-Soundschnipsel.

Michael Rother

Foto: Tox

In der jüngeren Vergangenheit nahm Rother noch mit Steve Shelley (Sonic Youth) am Schlagzeug unter dem Namen „Hallogallo2010“ eine Single auf und spielt Konzerte mit der Musik von Neu!, Harmonia und Solo-Sachen. Auf ein solches dürfen wir uns heute freuen, sehr freuen. 2010 habe ich „Hallogallo2010“ live in Köln gesehen, wo allerdings fast ausschließlich Neu!-Sachen gespielt wurden. Heute bekommen wir ein breiteres Programm bei günstigeren Konditionen. Der Karlstorbahnhof ist nur mäßig gefüllt mit überwiegend altem bis sehr altem Publikum. In einem Interview war zu lesen, dass die Shows im Ausland stets besser besucht sind als in der Heimat. Auch dürfte dort mehr junges oder zumindest Publikum mittleren Alters erscheinen. Näher an ein Neu!-Konzert wird man kaum kommen können. Es spielt neben Rother Franz Bargmann von Camera Gitarre, und Hans Lampe, der auch schon auf der Neu! 75 am Schlagzeug zu hören war.

Das Intro ist ein rockiges Stück, von dem ich zunächst glaube, es handle sich um eine knallendere Version von „Hallogallo“, aber das kommt erst später noch. Ein Filmchen mit Autobahn-Szenen ist zu sehen. Wir scherzen, dass Rother als Ex-Mitglied von Kraftwerk offenbar den Tanz auf dem Vulkan liebt. Es ist doch allseits bekannt, dass Ralf Hütter von Kraftwerk es seinen Ex-Kollegen gerichtlich verbietet als „Ex-Kraftwerk“ aufzutreten. In Düsseldorf dürfen noch nicht mal neue Kraftwerke diesen Namen tragen, wird kolportiert. Es würde also nicht wundern, wenn die Kombination von Ex-Kraftwerk und Autobahn eine einstweilige Verfügung nach sich ziehen wird. Die Filmchen werden aus meiner Sicht die einzige Schwachstelle der Show bleiben.

Als jemand der elektronische Musik geprägt hat, müsste er doch Leute kennen, die das besser können. Vorteil allerdings: Zu Beginn eines jeden Stückes wird ein neues Filmchen unter kurzer Erscheinung des Titels eingespielt. Sehr praktisch für Rezensenten. „Neuschnee“ von Neu! – was mir in Köln schon sehr gefallen hat, live knallen die Stücke deutlich mehr als auf Platte, und Rother spielt sie auch nicht 1:1, die Gitarre wird mit Effekten verarbeitet und überhaupt wird modifiziert. Eine normal klingende Gitarre bekommen wir heute nicht zu hören. Beeindruckend ist wie der vermutlich noch ältere Hans Lampe (Rother ist 64) für steten Rhythmus im Motorik-Stil sorgt. Die Kraft von Steve Shelley hat er natürlich nicht mehr, und das Schlagzeug war bei der Kölner Show ziemlich im Mittelpunkt, aber trotzdem, wir sind ziemlich begeistert. Der zweite Hans sorgt mit der zweiten Gitarre für ordentliche Klangwände. Keinerlei Beschwerden über den Sound. Da es ja familiär zugeht, fragt uns der sehr sympathische Rother, ob denn die Lautstärke genehm ist – alles ok.

„Veteranissimo“ ist ein Harmonia-Stück – keine Gitarre. Hier zeigt sich, warum Rother auch im Bereich elektronische Musik ein Großer ist – voll nach vorne, Publikum großteils zu alt für solche Beats, fast ein Jungle-Stück. Es würde mich ja nicht wundern, wenn er Jungle und Drum & Bass auch noch erfunden hätte. Gefällt mir am besten bis jetzt. „Seeland“ ein sehr schönes ruhigeres Lied von Neu! klingt auch unglaublich gut.

„Holta-Polta“ wieder Harmonia, wieder elektronisch, frickelig mit sauberem Motorik-Beat. „Sonnenrad“, ein Rother-Solo-Stück. Mir weniger geläufig. Die Solo-Sachen atmen schwer die 80er Jahre – das lässt sich trotz fettem Live-Sound nicht verbergen. „Deluxe“ von Harmonia klingt ziemlich genau wie auf Platte nur eben ohne Gesang – das bleibt auch die komplette Show durch. Vermisse ich aber überhaupt nicht. So viele irre Klänge, reicht völlig aus. Bei „Hallogallo“ kann fast niemand mehr still stehen. Was soll man sagen – zentrales Neu!-Stück, live noch besser als auf Platte.

Höhepunkt wird dann aber überraschenderweise „Negativland“, das von Rother als Stück vorgestellt wird, das maßgeblich von Klaus Dinger geprägt ist. Wie oben schon erwähnt, ein Industrial-Knaller, der sich in immer fiesere Klänge schraubt, und beim Publikum am besten ankommt. Den frenetischen Applaus kommentiert Rother mit „Der gute alte Rock n‘ Roll“. Das war alles außer Rock n‘ Roll. Den Abschluss bilden Krautrock Klassiker „Dino“ von Harmonia, und E-Musik von Neu!. Wir bekommen eine Zugabe und sind um ein unvergessliches Konzert reicher.

2 Gedanken zu „MICHAEL ROTHER , 02.02.2015, Karlstorbahnhof, Heidelberg

  • 6. Februar 2015 um 23:25 Uhr
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    Nach langem Durchhören diverser Rother-Veröffentlichungen und mithilfe eines Konzertmitschnitts hat sich der 1. Song als Instrumentalversion von „Lila Engel“ entpuppt.

  • 9. Februar 2015 um 09:05 Uhr
    Permalink

    Danke für den Hinweis.

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