KESTON COBBLERS CLUB, 30.01.2015, InDieWohnzimmer, Stuttgart
Die erste Lautäußerung ihres kleinen Bruders Matthew in der Babykrippe seien sieben wohlklingende Laute in exakter G-Moll-Stimmung gewesen. So berichtet Julia Lowes in der Band-Biografie des Keston Cobblers Club. Von da an sei ihr klar gewesen, dass sie eine Band gründen würden. Ein wenig ausgeschmückt habe sie die Geschichte zwar schon, gibt sie zu, denn die lustigen Episoden über den Sandkastenfreund und das Bandmitglied Tom Sweet, die gemeinsame Zeit an der Keston Primary School und die Entstehung der Band klingen allzu märchenhaft. Und dennoch ist (fast) alles daran wahr.
Es ist schon ein Riesenglücksfall, dass diese Band das einzige Wohnzimmerkonzert ihrer Deutschland-Tour ausgerechnet im Stuttgarter InDieWohnzimmer spielt. In England sind die fünf mit ihrem „Indie, Foot-tapping, Tuba-oom-pah, Folk Pop“ – auch dank der euphorischen Unterstützung von BBC-Legende Steve Lamacq und anderer Größen – ein großes Ding. Sogar eine Session in den berühmten Maid Vale Studios haben sie bereits eingespielt – ja, genau dort, wo von 1967 bis 2004 die legendären John-Peel-Sessions entstanden sind. Und auch in Deutschland haben sie sich im letzten Jahr mit Auftritten auf den Auskenner-Festivals Orange Blossom Special, Haldern Pop und dem Mannheimer Maifeld Derby einen Namen gemacht.
Die aktuelle Deutschland-Tour (mit kleinen Ausflügen nach Frankreich und in die Schweiz) führt den Cobblers Club in mittelgroße Clubs wie das franz.K, und – dank eines guten Kontakts zum Booking des Maifeld Derby – eben auch in das wohlbekannte Wohnzimmer.
Es ist wahrscheinlich einer der schönsten Abende dieses Winters, vor den Fenstern dichtes Schneetreiben, malerisch eingeschneite Vorgärten, die ganz besondere Stille eines ohnehin schon ruhigen Vororts unter einer dicken Schneedecke. Schnee in diesen Mengen scheint es übrigens in Keston nicht zu geben, Tom Sweet lässt sich jedenfalls immer wieder vom Winter-Panorama ablenken. Drinnen gemütliche Beleuchtung, ein – trotz aller technischen Beschränkungen – opulenter Bühnenaufbau. Ein halbes Dutzend Saiteninstrumente, Banjo und Ukulele darunter, ein Akkordeon, ein Schlagzeug, zwei Trompeten, das Klavier der Hausherrin und eine Tuba.
Schon mit den ersten Titeln packen die fünf Engländer ihr Publikum. Es ist eine ganz eigene Mischung aus Country und Folk-Pop, die sie produzieren. Besonders beeindruckend: die Gesangsstimmen von Julia und Matthew. Matthew kann nicht nur wunderbar altmodisch im Country-Stile knödeln, er braucht auch – trotz der üppigen Begleitung – eigentlich kein Mikro. Nicht nur, dass beide sehr markante und vor allem kräftige Stimmen haben, sie harmonieren auch wunderbar. Und wenn dann noch Tom Sweet und Tubistin Bethan Ecclestone einstimmen, dann ist das schon fast unerträglich schön. Und es lässt meine bisherigen Favoriten in der Disziplin „mehrstimmiger Harmoniegesang“ – die Schotten Admiral Fallow – ein wenig wackeln.
Einzige Störfaktoren in dieser Musik-Idylle: tratschende Zuschauer, wie wir sie bisher auf Wohnzimmerkonzerten noch nicht erlebt haben, und ein ebenso engagierter wie taktmäßig desorientierter Dauerklatscher.
Ein großer Teil des Programms stammt vom Album „One, For Words“ und ist eine wunderbare Mischung aus tanzbaren Folkpop-Nummern wie „Your Mother“, mitreißenden Titeln wie „The Heights of Lola“, das mit lautstarken Singalongs aus dem Publikum untermalt wird, und Dreiviertel-Schunklern wie „For Words“. Vergleiche mit Zach Condons „Beirut“ sind durchaus erlaubt, wenn aber die gesamte Bläser-Sektion einsetzt, dann werden sogar Assoziationen an die große britische Blasmusik-Tradition wach, wie man sie aus Brassed Off oder Monty-Python-Soundtracks kennt. Das ganze ist aber niemals albern, sondern einfach fröhlich und energiegeladen. Und ein wenig verschroben. Eben „dead british“.
Jules zaubert zu jedem Titel neue Rhythmus-Instrumente aus einer große Tasche hervor und bringt bei „Giraffe Junkie“, das von Tom mit einer skurrilen Erzählung von einer Giraffe auf dem Pferdeplaneten eingeleitet wird, gleich eine ganz Kollektion davon zur lautmalerischen Untermalung zum Einsatz. Und, immer wieder beeindruckend: scheinbar kann hier jeder jedes Instrument spielen. Immer wieder wird getauscht und die Plätze gewechselt.
Zwei Cover-Songs gibt es im Laufe des Abends. „Graceland“ von Paul Simon, an dem man auch grandios scheitern könnte, das aber wie gemacht ist für den mehrstimmigen Gesang des Cobblers Club. Und als Zugabe und absoluter Höhepunkt des Abends, „The Chain“ von Fleetwood Mac, das mitten im tanzenden Publikum zum rollenden Trommelsound von Harry Stasinopoulos, und mit Bethans Tuba-Rhythmus den perfekten Schlusspunkt setzt.
Die Wohnzimmer-Saison 2015 hätte nicht spektakulärer eröffnet werden können. Und die nächsten Highlights sind schon in Sicht.
Ein wunderbarer Bericht, der auch genau die Stimmung beschreibt, die ich beim Konzert am 23. Januar im „Franz Mehlhose“ in Erfurt erlebt habe.
Ein paar Fotos davon findet ihr unter:
https://flic.kr/s/aHsk7YstF4