ROCKO SCHAMONI, 29.01.2015, Wagenhallen, Stuttgart

Rocko Schamoni

Foto: X-tof Hoyer

Diesen Januar lassen wir uns in Sachen Pop Freaks mal so gar nicht lumpen. Fast jede Veranstaltung dieser geschmackvollen Reihe haben wir mitgenommen. Dass wir nach Gereon Klug auch die zweite Hamburg-Lesung, diesmal mit Blog-Liebling Rocko Schamoni, besuchen, versteht sich von selbst. Ca. 400 Fans Jünger sind wir in der vollen Wagenhalle, die Heizung bringt einem Wüstenwind gleich meinen Körper auf angenehme Betriebstemperatur, die lädierten Bandscheiben zwischen fünftem und siebtem Rückenwirbel danken es.

Im Gegensatz zu meinem letzen Mal bei King Rocko, habe ich dieses Mal sein aktuelles Buch noch nicht gelesen. Ernsthafter, melancholischer sei es, liest man. Wobei dies ja nur ein konsequenter Trend der letzten Bücher von ihm wäre. Viel lachen musste man beim letzten Mal dann trotzdem, was natürlich an den großartigen Entertainerqualitäten Rockos und seinem Humor liegt. Diese bekommen wir um 20:10 Uhr auch gleich präsentiert, als der, sich immer besser anziehende, Schamoni (als ARD-Star kann man sich das ja wohl leisten) die Bühne betritt, das neue Buch in groben Zügen erklärt, und wie immer die Veranstaltung als Handy-Lesung deklariert. Denn er wolle ja nicht zwischen uns und eventuellen wichtigen Gesprächen stehen, die im Laufe des Abends anstehen könnten.

Rocko Schamoni

Foto: X-tof Hoyer

Die Ochsenbräu© Flaschen aufgestellt und die erste schon angesoffen, Zigarette angezündet („Ich muss rauchen, das haben mir die Bullen gesagt.“), und los geht es mit dem ersten Satz von „Fünf Löcher im Himmel“. Und gleich sein erster Kommentar, dass dieser erste Satz schon mal ganz schwach sei. Er hätte ihn als Lektoren-Test geplant, aber er wurde unverändert durchgewunken, und da bleibt ihm auch nix anderes übrig als sich an den Lektor zu halten.

Bis auf den Einstieg bekommen wir nur Auszüge des jungen Protagonisten Paul Zech zu hören. Seine Tagebucheinträge als siebzehnjähriger Teen im Jahre 1966. Paul, ein melancholisch-grüblerischer Mensch auf der Suche nach seinem richtigen Platz im Leben („also ganz anders als in meinen Büchern zuvor“ wie Rocko ironisch bemerkt), bekommt eine neue Mitschülerin, Katharina Himmelfahrt, die ihm zuerst nicht zusagt („ich vermute, dass sie Spießerin ist“). Wie so gerne in diesen Lebensjahren sieht auch Paul sich in seiner Idealvorstellung als unnahbarer Einzelgänger, cool wie die Hölle, der überhaupt keine Anstalten machen will auf sexuell-erotische Reize einzugehen, ja sogar demonstrativ einen Popel verspeist, wenn Mädchen vorbeilaufen. Dieses letzte Bild hat Rocko extra für uns Metropolen-Typen als „door opener“ hinzugedichtet. In ländlicheren Gegenden sei das nicht nötig.

Ebenfalls komisch die Gedankenspiele zu Pauls Feststellung, dass gute Kunst nur von Scheiß Typen kommen könne. Schamonis Mimik und Stimme, wie er Kafka und Chagall als im Privatleben wirklich miese, die Kollegen mobbende Typen darstellt, sorgt für große Lacher. So ziehen einen Pauls Unsicherheiten, verstärkt durch amouröse Verstrickungen mit Katharina Himmelfahrt und Lehrerin Frau Zucker, sowie seine pubertären Suizidgedanken nie runter, trotz aller Ernsthaftigkeit. Klar, kennt man ja selber. Wer hat sie nicht schon selber durchlebt die großen Dramen und Emotionen des Lebens. Momente, die einen verzweifeln ließen, und doch kann man über dieselben Momente unter anderen Bedingungen, anderen Vorzeichen lachen. Was man zu einem Zeitpunkt für existenzbedrohend hielt, lässt einen heute nur den Kopf schütteln über so viel pathetisches Dramaqueen-Getue. Aber bei Schamoni merkt man eben auch den Respekt vor diesen Zuständen. Das Alberne, Absurde und Komische daran ist genau so richtig wie das Drama, die Verzweiflung, die Selbstzweifel.

Rocko Schamoni

Foto: X-tof Hoyer

An Unterhaltungselementen der Lesung gibt es noch so sagenhafte Sachen wie, dass das Bühnenlicht ausgeht, als im Buch auch das Licht ausgeschaltet wird. Danach kann Rocko natürlich nicht mehr weiterlesen, aber laut Eigenkritik, ein stundenlang geprobter Moment, der auch derbe geflasht hat, wie er zufrieden anmerkt. Kurz danach gibt es eine Pause („weil im Publikum viele Junkies und Crystal Methies sitzen“), in der ich mich mit dem neuen Buch und einem Golden Pudel Poloshirt bei Gereon Klug am Merch versorge.

Der zweite Teil der Lesung bietet einen weiteren Showhöhepunkt. Rocko hat eine neue Jacke und ein neues Hemd an. Todschick! Und schließlich sei ja in Stuttgart heute Abend Sex-Night, während in anderen Städten eben Penis-Night sei (ein Wortspiel, das man sacken lassen muss). Im Übrigen funktionieren Balzrituale in Süddeutschland ja so, dass sich die Männer den Nacken mit Margarine einreiben, und die Frauen je nach Margarinequalität die Chancen auf ein sexuelles Gelingen des Abends bestimmen.

Mit der Schleusenszene zwischen Paul und Katharina gibt es noch ein gleichermaßen poetisches wie absurd komisches Kapitel vom neuen Buch. Und da die Stuttgarter ja „gerne schmunzeln“, gibt es noch Auszüge aus Schamonis vorletzten Buch „Tag der geschlossenen Tür“. Genauer gesagt ein paar der umwerfend komischen, sauschlechten Buchvorschläge, die bei den Lektoren diverser Verlage landen. Furchtbar konstruierte, schlecht geschriebene Geschichten wie „E-Mail für Emil“, „Europa Mon Amour“, und mein Favorit „Immer Ärger mit Herr Berger“. Es werden Tränen gelacht. Mit dem zur Tradition gewordenen Aufruf zur Polonaise der Gewalt findet der Abend um 22:15 Uhr sein Ende. Der King hat uns mal wieder gezeigt, wie es geht.

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