ST. VINCENT, COVES, 10.11.2014, Wagenhallen, Stuttgart

St. Vincent

Foto: Steffen Schmid

Stuttgart, leicht machst Du es deiner subkulturellen Szene nicht. Jüngster Streich: Während einer Veranstaltung in den Wagenhallen, müssen die Künstler und Musiker ihre Räume nebenan verlassen. Subkultur als eminent wichtiger Bestandteil einer modernen Großstadt, dieses Konzept muss wohl erst noch durch alle Verwaltungsebenen durchsickern. Stand jetzt, wir stehen in der so mittel gefüllten Wagenhalle, um einem herausragenden Konzertabend beizuwohnen, und haben trotzdem ein schlechtes Gewissen.

Coves

Foto: Steffen Schmid

Versuchen wir das mal auszuklammern. Interessanterweise bin ich ja eigentlich wegen Coves hier. Deren Debütalbum „Soft Friday“ hat vor wenigen Monaten meinen Weg gekreuzt und mein Gefallen gefunden. St. Vincent hingegen ist mir bisher nur des Namens wegen bekannt, traten doch die von mir verehrten The Heavy Blinkers vor einigen Monaten mit St. Vincent zusammen in Kanada auf.

Eigentlich ein Duo, betreten Coves um 20 Uhr dann aber doch mit vier Personen die Bühne. Der Drummer steht in guter, alter Mo Tucker Manier genauso in vorderster Front wie der Rest der Band. Positiv ist schon mal der gute Sound zu erwähnen. Gitarrist John Ridgard hat meist ordentlich Effekte und Hall auf seiner fuzzigen Gitarre, und auch Sängerin Rebekah Wood hat, trotz deutlich hörbar toller Stimme, Hall satt am Start. Das zu einem guten Sound zu mischen, nicht so einfach, gelingt aber sehr gut.

Coves

Foto: Steffen Schmid

Die Engländer haben das Rad jetzt bestimmt nicht neu erfunden, aber ihre Mischung aus melodiösem Indie meets Dream Pop meets The Raveonettes, ist schon mal stilistisch sehr ansprechend. Hilft natürlich alles nichts, wenn man keine guten Songs schreiben kann. Coves schreiben aber richtig gute Songs. Trotz aller Melancholie und psychedelischen Gitarren haben die meisten Songs einen hymnischen, erhebenden Charakter, der einen mitreißt. Die Band spielt tight und mit Energie, und dass Rebekah Wood laut Fotograf ein „steiler Zahn“ ist (wer, wenn nicht ein Fotograf kann das beurteilen) schadet ja auch nix. Eine halbe Stunde lang dauert das Vergnügen, das neugierig macht auf noch zu kommende Veröffentlichungen.

St. Vincent

Foto: Steffen Schmid

Die Umbaupause dauert ein halbes Stündchen, Zeit um von den befreundeten Konzertbegleitern ein wenig in Sachen Annie Clark aka St. Vincent gebrieft zu werden. Wird aber letztendlich doch umsonst gewesen sein, denn was dann ab 21:05 Uhr auf der Bühne passieren wird, trifft mich dann doch unvorbereitet. Ein wohltuender Schock, der einem den Glauben an spannende, zeitgenössische Popmusik wiedergeben wird.

Monotone Synthiepattern ertönen, als die unglaublich zart und schön aussehende Annie Clark die Bühne betritt. Ungewöhnliche, einstudierte Bewegungen, angenehme Gesangsstimme, das fällt erst mal auf. Sie bekommt dann auch noch eine Gitarre umgehängt, die sie vortrefflich zu bespielen weiß. Wie ich das Ganze schubladenmäßig einordnen soll, weiß ich zuerst noch nicht. Elektropop?

St. Vincent

Foto: Steffen Schmid

Im weiteren Verlauf wird es nicht klarer, wie man das benennen soll: Da gibt es wunderbare, teils sehr ungewöhnliche Melodiebögen, geprägt von Annies großartiger Stimme. Das Schlagzeug hämmert mechanisch, ein wenig im Kontrast dazu. Die beiden Keyboards spielen dazu allerlei an Sounds, u.a. auch den Bass. Allein das würde die Musik von St. Vincent schon als interessante und sehr hörbar dastehen lassen. Genug für einen großen Konzertabend. Aber Annies Gitarrenspiel ist es letztendlich, was die Musik in einen ganz anderen Orbit schießt. Resultat: Pop der Zukunft, oder wie ich mir vorstelle, dass er klingen könnte.

Atonale Muster spielt sie auf der E-Gitarre, die den Popmelodien eine sperrige Konnotation verleihen. Es gibt Parts, da spielt sie Sachen, die mich an die New-Wave beeinflusste, neurotisch klingende „Discipline“-Phase von King Crimson erinnern. Harte Riffs und fast schon Stonerrock-artige Läufe gibt es aber auch. Man ist mitgerissen vor lauter Energie und Ideenreichtum. Wie Annie so dasteht und schräge Soli von sich gibt, erinnert sie mich vom ganzen Ding her etwas an Prince. Irgendwie arty, aber nicht als Selbstzweck, sondern als höchste Unterhaltungsform. Eine Aura von Genialität umgibt sie. Dass sie Teil der Tourband dieses anderen Genies namens Sufjan Stevens war, passt natürlich bestens ins Bild.

St. Vincent

Foto: Steffen Schmid

Es passiert so viel interessantes, dass man gar nicht alles erzählen kann. Ganz kurz wird „Shout“ von „Tears For Fears“ in einen Song eingeflochten, aber nur so flüchtig, dass es einem fast nicht auffällt. Nicht ein Song ist irgendwie ein Ausfall, man lauscht gebannt jeder kommenden Sekunde zu, der Aufmerksamkeitslevel ist am Anschlag. Die choreographischen, geishahaften Tänze mit der Keyboarderin/Gitarristin unterstreichen die Eigenart der Musik. Es gibt auch zwei längere Ansagen von ihr, deren Wortlaut ich jetzt nicht mehr nacherzählt bekomme, aber auch diese sind Kunst auf ihre Art und Weise.

Zeit zum Luft holen gibt es während eines ruhigeren Stücks Mitte des Sets. Sphärische, flächige Synthies, eine ruhige Melodie, und Annie fläzt sich auf der Bühnentreppe herum, was für einige Schweissausbrüche bei Heteromännchen und Homoweibchen sorgen dürfte. Nachdem ich mein Hemd wieder trockengewrungen habe, geht es zum Finale des Sets. Mittlerweile hat mich Steffen F. darauf aufmerksam gemacht, dass man auf einem vom Gitarrenroadie bedienten Effektgerät neben der Bühne die Songtitel ablesen kann. Aber diese jetzt aufzuzählen, fangen wir erst gar nicht an.

St. Vincent

Foto: Steffen Schmid

Ohne einzelne Songtitel genauer benennen zu wollen, gibt es noch Triphopiges, Stücke mit Hardrock-Gitarren, eine Art Industrial-Blues des Jahres 3000, und ein Lied mit zwei Gitarren, die abwechselnd Läufe spielen, währenddessen sich Annie und die Keyboarderin dazu abwechselnd nach vorne und nach hinten, wie auf Laufbändern bewegen. Ebenso wartet das Set mit einem noisigem Gethrashe auf, zu welchem sich Annie eine Mütze schnappt und sich zuckend dazu am Boden wälzt.

75 Minuten dauert das reguläre Set, das so gar nichts von regulär hat, außer dem trotz aller Exzentrizität vorhandenen Popappeals und den recht kurzen Songlängen. Aber selbst diese, den Zugang erleichternde Normalität der Musik, ist in dem Gesamtkontext schon wieder nicht normal. Die Zugabe beschließt nach 90 Minuten mit einem bombastischen Stück fast schon pink-floydscher Qualität einen Konzertabend, der etwas ganz besonderes war. Ein Konzert einer 360°-Künstlerin, die größte Angst davor zu haben scheint, auch nur eine Sekunde langweilen zu können. Wir knien nieder vor dir, Annie!

St. Vincent

Foto: Steffen Schmid

St. Vincent

Coves

3 Gedanken zu „ST. VINCENT, COVES, 10.11.2014, Wagenhallen, Stuttgart

  • 13. November 2014 um 13:05 Uhr
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    Jetzt weiß ich zumindest, wer mit seiner Kamera ständig in meinem Rücken rumfuchtelte. Aber gute Bilder!
    Ich bin extra aus München gekommen, um St. Vincent zu sehen. Beim Betreten der Halle dachte ich mir: Kleine Halle, kaum Publikum, das kann ja heiter werden. Gibts in Stuttgart keine Radiostation, die St Vincent spielt? Der Mann am Ton machte Hoffnung: „Die Show wird ganz normal ablaufen, Enjoy…“
    Steffen hats sehr gut gefallen, obwohl er St Vincent bis dato nicht kannte. Es war schon eine beeindruckende Show mit exzellenter Musik und Gitarrenspiel.
    Ich habe mich schon etwas länger mit St Vincents Musik und ihren (ziemlich sperrigen) Texten beschäftigt und auch einiges auf Youtube gesehen. So war ich am Ende aber doch etwas enttäuscht. Mir schien kein „Funke“ während der schon recht artifziellen Show übergesprungen zu sein. Weder in die eine noch in die andere Richtung. Oft fragte ich mich, ob den Musikern der Auftritt Spaß machte. Lag es am spärlichen Publikum? Zumindest spielte St Vincent den Song Krokodil nicht, der in der Mehrzahl der Sets präsentiert wird, allerdings auch stets mit Stage Dive garniert, der bei den wenigen Leuten wohl auf den Boden geendet hätte.
    Oder ist es letztlich so, wie ein Kommentar von FM4 schreibt, dass man stets eine dünne Glaswand zwischen Bühne und Publikum verspürt.
    Vielleicht braucht man auch einige echt erlebte Gigs, um hinter St Vincents Geheimnis zu kommen.

  • 13. November 2014 um 13:21 Uhr
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    Sehr interessant zu lesen wie Du als Fan das Konzert erlebt hast, für mich war das einfach eine einzige, große, positive Überraschung. Ob St. Vincent hier in Stuttgart im Radio gespielt wird kann ich dir nicht sagen, weil ich kein Radio höre.
    Mich hat die Musik total gepackt, und das obwohl ich gar nichts kannte. Möchte gar nicht wissen wie Live-Konzerte von ihr sein mögen, die dann richtig herausragend sind:-)

  • 26. November 2014 um 00:04 Uhr
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    Hey, super Fotos! Hast mich und mein Bruder mit Annie gut getroffen im ersten Foto ;)
    Wäre es möglich, dass du mir das Foto in besserer Auflösung schicken könntest? Will es für mich und den Geburtstag meines Bruder ausdrucken lassen. Und deine Arbeit „vergüten“ würd ich auch gerne :)
    LG

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