THE AGGROLITES, 30.10.2014, Schocken, Stuttgart

THE AGGROLITES, 30.10.2014, Schocken, Stuttgart

Foto: Steffen Schmid

Unübersehbar: Unser Blog hat gewisse thematische Schwerpunkte. Wohnzimmerkonzerte en masse, ganze Armeen von Singer-Songwritern, ein kollektives Faible für Island, wöchentliche Berichte aus Schorndorf, Noise Punk aus der Region, hippe Indie-Bands, italienisch-norwegischer Easy-Listening-Pop und obskures Metal-Zeugs – um nur einige zu nennen. Reggae ist da schon eher eine Randerscheinung.

Zu groß ist offensichtlich die Angst vor ganja-seligem Love-Peace-und-Eierkuchen-Geseiere, vor schwäbelnden Dreadlock-Bübchen, die sich in “Jah” und “Rastafari”-Rufen ergehen. Da brauchte es schonmal eine ausnehmend fotogene Sängerin, um einen unserer Fotografen zum Konzertbesuch zu bewegen. Oder aber: das meines Wissens erste Reggae-Konzert in der Indie-Bastion Schocken. Und die Versicherung, dass die Aggrolites ganz am anderen Ende der Reggae-Skala angesiedelt sind. Vielen Dank jedenfalls an Steffen, dass er sich auf den Gig eingelassen hat.

THE AGGROLITES, 30.10.2014, Schocken, Stuttgart

Foto: Steffen Schmid

(Und dafür wurde er – und natürlich wir alle – mit einer Beleuchtung gestraft, wie sie liebloser nicht mehr denkbar ist. Sorry, auf diesem Thema muss ich mal wieder rumhacken. Warum nur werden in den meisten Clubs nicht einmal fünf Minuten darauf verwendet, die Musiker ins rechte, vielleicht sogar stimmungsvolle Licht zu setzen? Vor allem, da die Ausstattung ja durchaus vorhanden ist. Klar, bewegtes Licht oder gar Lichtwechsel, gesteuert durch einen Lichtmischer, sind vermutlich aus Kostengründen nicht drin. Aber eine Grundausleuchtung der Bühne und ein paar Akzente auf die Hauptdarsteller müssten drin sein.)

Trotzdem: Stuttgart ist ein gutes Pflaster für die Reggae-Stars aus Los Angeles. Die Kombo um Frontmann Jesse Wagner und Keyboarder Roger Rivas hat fast schon jeden Club in Stuttgart bespielt und ist vom Schocken sichtlich angetan. Auch wenn der letzte Gig im Universum nicht ihr bester war, ihre treue Fan-Gemeinde ist vollzählig angerückt. Der Laden ist gut gefüllt, die Galerie geöffnet und das Dirty-Reggae-Fest kann beginnen.

THE AGGROLITES, 30.10.2014, Schocken, Stuttgart

Foto: Steffen Schmid

Mit “A.G.G.R.O” wird das Set eröffnet und die Meute ist schon mit den ersten Singalongs zur Stelle. Funky Gitarren, Wagners schmutzige Soul-Stimme, Rivas’ unverkennbares Keyboard-Spiel, das knüppelharte Schlagzeug: gleich der Opener hat alle Zutaten, die den Sound der Aggrolites so unwiderstehlich machen. Und der die Grundlage für das Early-Reggae-Revival gelegt hat, das inzwischen weltweit unzählige Bands dieses Sub-Genres hat entstehen lassen. Eine davon, nämlich The Beatdown aus Montreal (vor zwei Jahren gefeierter Support-Act der Aggrolites), war übrigens letzte Woche in Ludwigsburg und hat dort vor sage und schreibe fünf Zuschauern gespielt. Ein Jammer, dass nicht ein größerer Teil des heutigen Publikums den Weg dorthin gefunden hat.

Anders als vor zwei Jahren ist bei den Aggrolites diesmal nicht ein Hauch von Tour-Müdigkeit zu erkennen. Im Gegenteil: die Band ist topfit, bestens gelaunt und scherzt mit dem Publikum. Ob das lokale Bier etwas tauge? “Wulle Hell” liest Wagner vom Etikett ab. “Oh, yes, straight from hell!”

THE AGGROLITES, 30.10.2014, Schocken, Stuttgart

Foto: Steffen Schmid

Und die Band nimmt nicht den einfachen Weg, keiner der Crowd-Pleaser wird am Anfang gespielt, und trotzdem entwickelt sich die Stimmung prächtig. Beim Instrumental “The Volcano” kann man staunend Roger Rivas’ gnadenloses Orgelspiel bewundern. (Glücklicherweise hat er wenigstens einen Spot spendiert bekommen.) Begeisternd, wie virtuos dieser stämmige Kollege mit seinen Pranken das Keyboard bearbeitet. Von rasend schnellen, hauchzart auf die Klaviatur gesetzten Melodieläufen bis hin zu Handkanten-Schlägen, sein Repertoire ist riesig. Unbestritten: er ist der Nachfolger der Reggae-Orgel-Legende Jackie Mittoo. Und wenn wir schon bei Superstars sind: wenn einer in die Fußstapfen von Toots Hibbert treten kann, dann Jesse Wagner.

Die Aggrolites wissen ganz genau, in welcher Tradition sie stehen, und dass sie ein fachkundiges Publikum vor sich haben, das die Referenzen versteht. Und so streuen sie nicht nur die Skinhead-Hymne “Reggae Fever” ein, sondern gönnen sich auch zwei Sets mit Rocksteady-Klassikern. Aus Ihrem Rocksteady-Titel “Complicated Girl” machen Sie augenzwinkernd ein Mashup mit “Skinhead Moonstomp”, beide Titel mit wunderbaren Singalongs ausgestattet, die vom Publikum frenetisch gefeiert werden.

THE AGGROLITES, 30.10.2014, Schocken, Stuttgart

Foto: Steffen Schmid

Nachdem Bassist Jeff Roffredo einen anwesenden Psychobilly persönlich begrüßt hat und damit überrascht, dass er selbst auch mal ein Psycho gewesen sei, wird die zweite Hälfte des Abend eingeleitet. Und nun werden in gnadenloser Intensität und fast unterbrechungslos die Publikumslieblinge “Countryman Fiddle”, “Free Time”, “Mr. Misery” und das programmatische “Dirty Reggae” rausgehauen. Der Laden tobt, die Brühe läuft an den Scheiben runter. Das ist Reggae der derben Art.

In der Zugabe gibt es außer dem Tony-Tribe-Klassiker „Red Red Wine“ den Publikums-Liebling „Banana“, im Original ein leicht schlüpfriger Skinhead-Song von E.K. Bunch, den die Aggrolites kurioserweiser in der amerikanischen Kinder-Sendung „Gabba Gabba Yo“ gespielt haben, was durchaus zu ihrer Bekanntheit beigetragen hat.

Krönender Abschluss und kollektiver Chorgesang, wie bei fast allen Aggrolites-Gigs: „Don’t Let Me Down“, quasi indirekt gecovert von Marcia Griffith’s Version des Beatles-Klassikers.

THE AGGROLITES, 30.10.2014, Schocken, Stuttgart

Foto: Steffen Schmid

2 Gedanken zu „THE AGGROLITES, 30.10.2014, Schocken, Stuttgart

  • 1. November 2014 um 15:32 Uhr
    Permalink

    Servus Holger,

    ich (bzw. meine Freundin) war einer der glücklichen Gewinner eurer Verlosung, hab mir den Chris von Hawelka als absolut gleichwertigen Ersatz geschnappt (sie war verhindert) und ab gings. Und was für ein Abend: Sound absolut klasse, Publikum super und die Band galaktisch. Hab die Aggrolites davor immer irgendwie verpasst, aber ab jetzt gehören sie zu den Pflichtterminen.

    Grüße

    Sebastian

  • 2. November 2014 um 15:13 Uhr
    Permalink

    Ein schöner Bericht,
    ich kann Holger aus eigener Erfahrung nur beipflichten und es jeder Band/Veranstalter nur nahe legen, eine gewisse Grundausleuchtung der Künstler ist wirklich wichtig und auch in jeder Location ohne großen Aufwand umsetzbar. Was nützt der beste Sound, wenn die Combo im Dunkeln steht…sehr schade sowas und doch, leider oft zu sehen.

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