BOY OMEGA, 28.10.2014, Wohnzimmer, Stuttgart

BoyOmega

Foto: X-tof Hoyer

Innerhalb kürzester Zeit bin ich Wohnzimmerkonzertfan geworden. Es ist eine ganz andere Art und Weise Live-Musik zu erleben als man das sonst so gewohnt ist. Ganz heimelig und familiär und ganz nah dran. Man wird von den Gastgebern wunderbar versorgt, trifft Freunde, Bekannte und natürlich auch neue Leute und kann beim Pausenbierchen auch mit den Künstlern ins Gespräch kommen. Ja, ich weiß, viele werden sagen: Kennt man doch schon, gibt’s in anderen Ländern auch schon gaaanz lang, ist nix Neues. Doch für mich ist es das und ich denke, es geht wahrscheinlich jedem so, der Musik mag und sie auf diese Weise erleben darf.

Dieses Mal wohne ich dem Können des genialen schwedischen Sängers und Multiinstrumentalisten (Gitarre, Bass, Keyboards, Mellotron, Glockenspiel, Marimba, Zither usw.) Martin Hasselgren alias Boy Omega bei, der beim Wohnzimmerkonzert in Stuttgart-Mitte von seinem Musikerfreund Per-Ola Eriksson an den Tasten unterstützt wurde.

Die beiden liefern ein eher ruhigeres Wohnzimmerset ab: „We want to keep it a bit down for the sake of the surrounding…“ erklärt Hasselgren, nachdem er vom Gastgeber begrüßt wurde. Und so starten die beiden, als sich alle Gäste noch mit Getränk und Snak und Zigarette auf der Terrasse gestärkt und schließlich ihre Plätze im großzügigen Wohnzimmer gefunden haben mit einem wundervollen, traumhaften, ruhigen und ganz neuem Stück.

Der ganze Raum ist ausgefüllt mit dem genau richtig abgestimmten Klang von Martins Gitarre und Per-Olas Sounds, die aus den elektronischen Tasteninstrumenten klingen. Und bereits beim zweiten Song „Pocket Knife“ sehe ich die ersten, leicht entrückten Blicke im Publikum. Das Lied handelt davon, dass Martin als Junge einmal halsüberkopf in eine „old Lady“ verliebt war, die aber damals wahrscheinlich auch höchstens 20 gewesen sein konnte.

„Night Visions“ beginnt ähnlich ruhig, bekommt aber im Verlauf einen angenehmen 80er Jahre-Synthesizerbeat, der wohltemperiert ist und so manchen an Human League erinnert, wobei der Song nach eigener Aussage wohl auch von Depeche Mode gespielt werden könnte. Es folgen weitere dieser melancholisch-verträumten Lieder, teilweise mit gefühlvollem Einsatz von Beat- und Elektrosound und immer mit dem unglaublich schönen Gesang von Martin. Er spielt mit seiner relativ hohen Stimme, als gäbe es nichts leichteres, benutzt sein technisches Pedal-Equipment, um sie auch mehrstimmig in den Raum schweben zu lassen, nur um sie dann – auf Zehenspitzen hochgeschraubt oder im Einbein-Kranichstand – in noch höhere Gefilde zu bringen.

Nun sind endgültig alle Anwesenden in einer anderen Welt, in Gedanken abgeschweift, weggeflogen, geben sich Tagträumen hin – das ist der Soundtrack von Boy Omega heute Abend. Die gedämpfte Lichtstimmung und Kerzenlicht tun ihr Übriges. Der erste Teil endet, ja man könnte sagen, fast meditativ.

In der Pause unterhält man sich angeregt, nimmt den einen oder anderen Happen zu sich und trinkt etwas, doch alles in einer sehr ruhigen, entspannten Stimmungslage. Ein Besucher, der im Space-Outfit draußen am Feuer steht, ist vom Boy Omega Auftritt sogar flubbergasted.

BoyOmega

Foto: X-tof Hoyer

Zu den musikalischen Einflüssen von Hasselgren, der mit Schulfreunden seine erste Band „The Boys“ gründete, gehören Rod Stewart, Dire Straits, Elvis ebenso wie Kiss, Twisted Sister und Mötley Crüe und später werden es New Order, The Cure, Dinosaur Jr., Lemonheads, Fugazi oder Quicksand. Wobei er selbst sich stets auf The Cure, seine Familie und die Natur bezieht, wird er nach Einflüssen gefragt.

Nach der Pause beginnt der zweite Teil ebenfalls zunächst sehr ruhig und verträumt und das Wohnzimmer wird wieder in den Boy Omega Sound eingetaucht, der jeden einzelnen umhüllt. Doch es werden auch Up-tempo-Stücke eingefordert und so lassen die Schweden beim nächsten Lied die Gitarre verzerrt klingen, die Beats aus den diversen Keyboards und Steuerungsgeräten werden laut und intensiv. So auch bei der sehr gelungen und beeindruckenden Version von Kraftwerks „Radio-Activity“.

Wir lernen heute Abend so einiges: Der Vorteil von Wohnzimmerkonzerten ist natürlich, dass der Protagonist einfach zur Toilette gehen kann, ohne dass es jemand mitbekommt;  im Gegensatz zu diesen großen Bühnen mit ihren Backstage-Bereichen und als Martin diesen Vorteil nutzt, werden wir Teil einer Meditation durch Guru Eriksson, der es schafft unser aller Innerstes (das im Übrigen winzig klein ist) total von jeglicher Last zu befreien und schließlich erfahren wir, dass wir alle heute Abend und in diesem Moment „The Time Of Our Lifes“ erleben und dass Patrick Swayze in Wahrheit Finne war.

Zum Ende hin wird es wieder ruhiger im Wohnzimmer und nachdem Per-Ole relativ eindringlich deutlich gemacht hat, dass er nun auch das WC (unbemerkt) aufsuchen muss, liefert Martin noch zwei Zugaben, die man durchaus mit der Klassifikation besinnlich (nicht jedoch kitschig) versehen kann. Und hat es ja selbst gesagt: Viele Menschen wünschen sich seine Lieder zu Hochzeiten oder Beerdigungen.

Zwei sehr sympathische junge Schweden, die Katzen mögen, die Bier, Wasser (oder war’s doch Gin?) und Kaffee durcheinander trinken (obwohl das ja nicht so gut sein soll für die Stimme), die wollen, dass ihr Publikum nicht „Zugabe“ ruft, sondern ein trauriges „Oooooooooh“ – diese beiden bereiten uns einen erfüllten, schönen Musikabend. Und so gehe ich wohlgemut mit einer signierten Schallplatte nach Hause und freue mich bereits auf weitere Wohnzimmerkonzerte.

BoyOmega

Foto: X-tof Hoyer

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