CODY CHESNUTT, 15.07.2014, Bix, Stuttgart

Cody ChestnuTT

Foto: Michael Haußmann

Die gig-blog interne Wette, dass ich es schaffen werde, den Cody ChesnuTT Bericht ohne Marvin Gaye oder Earth, Wind & Fire Vergleiche zu schreiben, muss ich dann doch relativ früh und zähneknirschend als verloren betrachten. Zu limitiert mein Wissen über die Soulmusik, aber auch Cody ChesnuTT himself trägt seinen guten Teil dazu bei mit seinem herausragendem Konzert. Ein Highlight dieses Jahres, gleich zu Beginn der Jazzopen Stuttgart, und das im passendsten Ambiente.

Cody ChestnuTT

Foto: Michael Haußmann

Das erste Mal für mich im Bix. Schön warme braun-goldige Farbtöne, die besseren Plätze vorne sind Sitzplätze mit Tischen, an denen man bedient wird. USA-Style, passt! Gerade noch die Zeit festzustellen, dass endlich mal eine ausgewogene Männchen-Weibchen Aufteilung im Publikum herrscht, und ziemlich genau um Punkt 21 Uhr geht es los. Gitarrist, Bassist, Keyboarder und Schlagzeuger grooven sich schon mal instrumental ein, während Cody unter frenetischem Jubel durchs Publikum zur Bühne geleitet wird. „That’s Still Mama“ ist die erste Retrosoul-Nummer mit leichtem Funkeinschlag, bei der ich gleich mal die Vergleiche Marvin Gaye und Curtis Mayfield verbraten kann.

Der tolle, perfekt ausgesteuerte Sound lässt einen die warme, ungemein wohlklingende Stimme Codys genießen. Tolles Timbre. Und was mir besonders gut gefällt, er singt typisch soulig, aber nicht in dieser modernen R’n’B Art und Weise mit tausend Schnörkeln und Verzierungen, wie sie gerne in Castingshows gebraucht wird, in der fälschlichen Annahme jedes zusätzliche Gewimmere und Gejauchze hätte etwas mit gefühlvollem Gesang zu tun. So wie es Cody hier macht, so muss das. Soulig, aber noch straight genug, man könnte ihm stundenlang beim Singen zuhören.

Cody ChestnuTT

Foto: Michael Haußmann

Die Band folgt seinem Beispiel, ist supertight und spielt songorientiert, verzichtet auf Virtuosismen jeglicher Art. Aber klar ist, so atomuhrengenau wie die Breaks gespielt werden, dass das hier große Könner an ihren Instrumenten sind. Wenn die Band jetzt noch ein paar Bläser dabei hätte, dann wüsste ich nicht mehr wo hin vor lauter Glück.

Das Set ist sehr abwechslungsreich. Von sehr simplen gehalten Songs mit zwei Akkorden, bis zu Songs mit diversen Breaks und fast schon jazzig anmutenden Parts, wird einem nie langweilig. Besonders gut gefällt mir das swingende, fast schon northernsoulige „Up In The Treehouse“, das in der hier dargebotenen Liveversion sich ordentlich vom Lo-Fi Original auf Platte unterscheidet.

Was das Konzert aber wirklich zu etwas ganz Besonderem macht ist die Interaktion Codys mit dem Publikum. Dabei langweilt er nicht etwa mit viel zu langen Ansagen, er kommuniziert lieber innerhalb der Songs mit den Leuten. Mal darf das, im Übrigen sehr intonierte, Publikum mitsingen, mal mitschnippen. Bei „Everybody’s Brother“ zögert er nach den Breaks die Pause so lange raus, bis man es vor lauter Spannung kaum aushält, um uns dann mit der Liedzeile „I used to smoke crack…“ zu erlösen.

Cody ChestnuTT

Foto: Michael Haußmann

Erlösung ist überhaupt ein gutes Stichwort, da das Ganze ja schon etwas von einer Soul-Messe hat. Dabei fällt nicht einmal das Wort „God“ oder „Jesus“, es geht Cody eher um das Konzept „music heals“. Am eindruckvollsten und packendsten zu beobachten an dem eh schon tollen Song „Love is more than a wedding day“. Da nimmt uns Cody mit auf eine Reise durch eine Ehekrise, allerdings ohne Schwere mit einer großen Leichtigkeit. Da wird einerseits mit dem Publikum gescherzt und geredet, dann wieder ernsthaft weiter über das Thema geredet. Aber man hört ihm einfach gerne zu, er redet keinen pathetischen Bullshit, und dann singen eben auch alle gerne mit. Und natürlich ist love more than a wedding day.

Einen Part für eine Gastsängerin, besser -rapperin, gibt es auch. Wenn ich es richtig verstanden habe wohl seine Schwester, aber „sister“ muss ja im black soul Kontext jetzt ja nicht unbedingt Blutsverwandschaft bedeuten. Man darf mich gerne aufklären was es mit der Dame genau auf sich hat. Auf jeden Fall darf sie ein wenig improvisiert rappen… sehr, sehr schnell rappen. Danach singen wir alle wieder gemeinsam bei bester Stimme „They are going downtown“.

Cody ChestnuTT

Foto: Michael Haußmann

Letzter Song des Hauptsets ist ein schneller Blues-Shuffle, zu dem sich dann Cody dankend ins Publikum zurückzieht. Man klatscht sich ab, Leute werden umarmt, und viele Zuschauer demonstrieren ihm gegenüber ihre große Dankbarkeit für die gute Zeit. Der Rest ruft laut Zugabe, und die gibt es dann auch. „Where’s All The Money Going“ erinnert schon vom Titel her an gute, alte sozialkritische Soulzeiten, während der letzte Song hingegen ein fettes Funkmonster ist, in dem das Keyboard Bläsersätze spielt, und hier kann ich dann endlich auch meinen Earth, Wind & Fire Vergleich verbraten. Das Sitzpublikum steht und tanzt mittlerweile. Auch dieses Stück einfach nur großartig! Ein hundertminütiges Highlight. So hätte mein Musikunterricht in der Schule sein sollen, dann könnte ich heute singen.

Cody ChestnuTT

Foto: Michael Haußmann

3 Gedanken zu „CODY CHESNUTT, 15.07.2014, Bix, Stuttgart

  • 16. Juli 2014 um 13:22 Uhr
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    Klasse Artikel. Da hätte ich wohl auch hinsollen. Besonders schön ist der Seitenhieb auf das aktuelle R&B-Geseiere.

  • 16. Juli 2014 um 13:42 Uhr
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    schöne Szene auch, als Cody das Publikum auffordert, den Text aus vollem Herzen mitzusingen: „sing it from the heart, Stuttgart – uh I love that rhyme!“

  • 20. Juli 2014 um 12:00 Uhr
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    Bei der „Sister-Dame“ handelt es sich um US Rapperin AKURA NARU. „…bringt den schon verloren geglaubten weiblichen Conscious-Rap zurück.“

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