HUMAN ABFALL, 22.03.2014, Rakete, Stuttgart

Human Abfall

Foto: Steffen Schmid

Flavio Bacon, der finstere dreinblickende Frontmann von Human Abfall, geriert sich als Pedant und Rechthaber. Sei es ein zu flapsig geführtes Interview oder ein dümmlicher Blog-Fragebogen, Bacon fährt dem Fragesteller über den Mund, maßregelt und verweigert die Antworten, droht gar mit rechtlichen Konsequenzen. Er besteht darauf, per Sie und als Herr Bacon angesprochen zu werden (der Name sei gefälligst französisch auszusprechen, es handele sich ja nicht um Knusperspeck). Was muss es einen verbissenen Zeitgenossen wie ihn wurmen, wenn ausgerechnet sein großer und vermutlich penibelst vorbereiteter Tag, nämlich die Präsentation des lang ersehnten Albums, an unerwarteten Widrigkeiten scheitert? Kurz vor dem Veröffentlichungstermin geht das Presswerk in Insolvenz und nun steht er mit seiner Band auf einer absurden Release-Party ohne Release. Und schaut noch finsterer aus der Wäsche als sonst.

Human Abfall

Foto: Steffen Schmid

Dabei gäbe es genug Grund sich zu freuen. Die Rakete und das Foyer des Theaters Rampe sind rappelvoll. Es hat sich herumgesprochen: neben den Nerven hat Stuttgart noch weit mehr an Punk und Noise zu bieten. Und Human Abfall sind mit ihrem markanten Sound, ihren intelligenten Texten und ihrem bärbeißigen Frontmann der nächste Act, der den Weg von den Fanzines und Blogs in die Musikgazetten und Feuilletons schaffen wird.

Human Abfall

Foto: Steffen Schmid

Schau mir in die Augen, schau mir ins Gesicht,
deine angestrebte Umsatzsteigerung findest du dort nicht.

Mit „Frühling“ von der EP „SNG“ eröffnen Human Abfall furios. Mangels Bühne steht man sich auf Augenhöhe gegenüber und die direkte Aufforderung an die Leute in der ersten Reihe hat eine beängstigende Unmittelbarkeit. Es ist brachial laut, die Anlage wie immer hart an der Grenze zur Übersteuerung. Schummerig gelb funzelt eine Leuchte in der Ecke. Ein nüchterner Rahmen für Bacons lakonische Statements. Die Band kämpft mit den Tücken der fehlenden Monitorbeschallung, der Gitarrist kniet meist vor dem Verstärker um zu hören, was er eigentlich produziert. Es ist der typische Human-Abfall-Sound: hart gespielte Bassläufe, ein vehement treibendes Schlagzeug und darauf scharfe Gitarrenriffs, verzerrt und mächtig verhallt, trotz ihrer Einfachheit erstaunlich vielschichtig. Und dazu Bacon, der uns seine Botschaften ins Gesicht schreit. (Und ich werde einfach den Flashback nicht los: genau so haben mich Fehlfarben vor gut dreißig Jahren umgehauen. Den Vergleich mit dem jungen Peter Hein muss sich Herr Bacon einfach gefallen lassen.)

Human Abfall

Foto: Steffen Schmid

Katzen mit ihren kleinen Tatzen schlendern an die Bluttöpfe der Bourgeoisie.
Da vermuten wir sie nie. Nein!

Es folgt „Überkatze“, der potentielle Hit vom hoffentlich bald erscheinenden Album „Tanztee von unten“. Auch dies ein textliches Kleinod, rätselhaft, absurd und vielfältig interpretierbar. Und vor allem: tanzbar. Während der Großteil des Publikums eher verhalten mitwippt, genehmigen sich einige eine derbe Pogo-Einlage. „Dieser Kahn“ ist vermutlich das härteste Stück, dabei bietet es doch im sinistren Human-Abfall-Kosmos eine der wenigen hoffnungsvollen Zeilen

Dieser Kahn geht nicht unter.

um dann allerdings nach vielen Wiederholungen in eine wilde Kakophonie und das vernichtende Fazit zu fallen

Er brennt ab!

Human Abfall

Foto: Steffen Schmid

Das Set wird nahezu ohne Unterbrechungen gespielt, die Musiker wechseln in bekannter Manier die Plätze und Bacon beendet jeden Song mit seinem Markenzeichen, dem gebrüllten „Danke!“

Mit dem Titeltrack „Tanztee von unten“ endet nach knapp 45 Minuten der ebenso kurze wie heftige Gig. Und es ist schon verdammt ärgerlich, dass das Album nun nicht am Merchandise liegt, denn eines ist sicher: Es wird verdammt gut. Ob jetzt, wie die Plattenfirma schreibt, Human Abfall für die Musik das sind, was Dürrenmatt für die Literatur, das sei mal dahingestellt. Aber eines ist sicher richtig: Es erinnert tatsächlich an seinen sarkastischen Humor, mit dem sie ihre Zustandsbeschreibungen unserer absurden Beton-Republik unters Volk bringen. Und dass dies verstanden wird, sieht man am breiten Grinsen, das sich auf vielen Gesichtern im Publikum breitmacht.

Insofern ein genialer Schachzug des Herrn Bacon, sich beim Betreten der Bühne vom (so hört man) netten Kerl in den fiesen Schreihals zu verwandeln. Um dann genau den Typus des Spießbürgers zu mimen, der in Amtsstuben oder auf Abgeordnetenbänken der Urheber all dieser Abstrusitäten ist.

Human Abfall

Foto: Steffen Schmid

Die Setliste:

Frühling
Überkatze
Tagediebe
Jetzt bleib ich alt
Dieser Kahn
Psychohygiene Fünf Minus
All you can eat
Nicht Stoppen
14 Tage Urlaub
Tanztee von unten

2 Gedanken zu „HUMAN ABFALL, 22.03.2014, Rakete, Stuttgart

  • 24. März 2014 um 12:02 Uhr
    Permalink

    Übrigens unglaublich, dass bei diesen Lichtverhältnissen überhaupt noch Bilder möglich waren. Wir sollten über die Anschaffung von Nachtsichtgeräten nachdenken…

  • 25. März 2014 um 15:05 Uhr
    Permalink

    Steffen Schmid bester Fotograf wo gibt!

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