FERMÍN MUGURUZA & KONTRAKANTXA, 08.07.2013, Franz K., Reutlingen

Fermin Muguruza & Kontrakantxa

Foto: Andreas Meinhardt

Nach drei Tagen Marienplatzfest, wo es ja wirklich genug feine Musik gab, zieht’s selbst mich notorischen Konzert-Junkie nicht unbedingt zum nächsten Gig. Vor allem nicht, wenn der Montagabends und dann auch noch in Reutlingen stattfindet. Und das Wetter so fein ist, dass man das Wochenende auch ganz gemütlich im nächsten Biergarten nachbereiten könnte. Aber jetzt gibt’s halt eine der ganz raren Gelegenheiten (und für mich die erste überhaupt), den baskischen Kult-Star Fermín Muguruza zu sehen. Schließlich habe ich die Platten seiner ersten Band Kortatu bereits seit fünfundzwanzig Jahren im Schrank und zähle sie immer noch mit zu meinen liebsten. Da muss ich die kleine Landpartie schon mal auf mich nehmen.

Die Vorzeichen sind allerdings eher ungünstig: bei unserem Eintreffen gegen dreiviertelneun hockt ein sehr überschaubares Häuflein von Fans in der Abendsonne vor dem Franz K., der Saal ist aber noch gähnend leer. Da ist zu befürchten, dass der Baske – vor allem, nachdem er noch eine Woche zuvor im Camp Nou vor 70.000 Leuten gespielt hat – sich jetzt vor einem knappen Tausendstel dieser Zuschauermenge wohl kaum ein Bein ausreißen wird. Und so haben wir es auch nicht eilig, lassen’s uns im lauschigen Franz K.-Biergarten noch ein wenig gut gehen und kommen prompt ein wenig zu spät (etwa zur Mitte des ersten Titels) in den Saal. Und was sehen wir dort? Der Laden tanzt! Wie? Nach einem halben Titel? Das, was in Stuttgart stimmungsmäßig bestenfalls kurz vor der Zugabe passiert, findet hier schon zu Beginn statt? Was hat der in den drei Minuten angestellt? Oder sind die Reutlinger einfach solche Party Animals?

Fermin Muguruza & Kontrakantxa

Foto: Andreas Meinhardt

Fermín Muguruza ist – für all diejenigen, denen die baskische Rockmusik gerade nicht ganz so präsent ist – Gründer der Ska-Punk-Bands Kortatu und Negu Gorriak, engagiert sich seit mehr als dreißig Jahren gegen Globalisierung und für ein unabhängiges Baskenland und setzt sich intensiv für die Rechte ethnischer und politischer Minderheiten ein. Während er dies in seiner Punk-Rock-Phase mit relativ aggressiven Songs und Texten tat, hat er sich im Laufe der Jahre musikalisch vielfältig entwickelt. Baskische Folkore, Reggae, Dub und Hiphop finden sich in seinem musikalischen Spektrum, die Songs sind melodiöser, die Texte poetischer geworden (soweit man das aus den Übersetzungen aus dem Baskischen erkennen kann). Hier hat er übrigens musikalisch einen ganz ähnlichen Weg wie sein Vorbild Joe Strummer eingeschlagen. Mit dem Genre Mestizo-Musik kann ich nicht viel anfangen, es wird aber gerne verwendet, um ihn einzuordnen. Mit wechselnden Soundsystems und Bands tourt er seit Jahren um die Welt – spielte auch in Kurdistan und Palästina – und ist aktuell mit seiner Band Kontrakantxa unterwegs.

Fermin Muguruza & Kontrakantxa

Foto: Andreas Meinhardt

Mit neun Mann bringen die auch ordentlich etwas auf die Bühne: eine dreiköpfige Bläser-Sektion, ein Akkordeon und ein DJ ergänzen die klassische Rockbesetzung. Und die Band rockt wirklich mächtig. Ob pumpender Reggae, heftig treibender Ska oder schlichter Punk-Rock, die Herren haben sichtlich Spaß dran. Pausen zwischen Titel gibt’s kaum, Muguruza treibt sie – wenn er sich nicht gerade in exaltierten Tanzschritten übt – mit wuchtigen Armbewegungen voran. Überhaupt: die Bühnenpräsenz des stämmigen Basken ist beeindruckend. Weder besonders attraktiv noch mit einer besonderen Gesangsstimme versehen, reißt er allein durch seine Energie und Sympathie mit. Und das führt zu einer schönen Kettenreaktion: das Publikum mag ihn, ihm gefällt’s – trotz oder gerade wegen – des kleinen Rahmens und so schaukelt sich der Gig zu einer kollektiven Begeisterung auf. Was für ein Glück, dass wir im Franz K. sind. Auch bei geringem Besuch fühlt sich der Saal nicht leer an und die Sound- und Lichtanlage sind ohnehin über jeden Zweifel erhaben. (Auch wenn sich der Fotograf etwas mehr Frontlicht gewünscht hätte)

Fermin Muguruza & Kontrakantxa

Foto: Andreas Meinhardt

Die Setlist ist lang und die Band lässt sich nicht lumpen. Besondere Highlights neben Toots Hibberts‘ Knast-Song „54-46“ sind natürlich die Kortatu-Songs „Etxerat!“, „En La Linea del Frente“ und – in der Zugabe der Ska-Hit „Sarri Sarri„. Inzwischen hat Muguruza das ganze Publikum ganz eng um sich geschart, holt sich etwa ein Viertel davon auf die Bühne – und legt nochmal eine Schippe drauf. Nach vier Titeln Zugabe und knapp zwei Stunden Spielzeit gibt’s im ganzen Laden keinen mehr mit trockenen Klamotten am Leib. Die Damen werden mit Küsschen verabschiedet, die Herren mit einem kernigen Handschlag. Viel intensiver kann ein Konzert kaum sein.

Fermin Muguruza & Kontrakantxa

Foto: Andreas Meinhardt

Die Setliste

Maputxe
Asthmatic Lion
Berlin
Solano – Internazionala
Mongolian Barbecue
Balazalak
La Fille
Police
In-Komunikazioa
Armagideon Tenoreka Aztarnak
Plastic Turkey
Urrun
Newroz
Azoka Eguna
Euskal Herria Jamaika Clash
Shoot The Singer
Big Beñat
Fandangoa
54-46
Etxerat!
La Linea Del Frente

Kolore Bizia
Nik Baditut Sei
Dub Manifest
Sarri Sarri
Zuloak Riot

4 Gedanken zu „FERMÍN MUGURUZA & KONTRAKANTXA, 08.07.2013, Franz K., Reutlingen

  • 10. Juli 2013 um 10:01 Uhr
    Permalink

    An Frontlicht mangelts im Franz k. leider immer…

  • 10. Juli 2013 um 10:27 Uhr
    Permalink

    Chris, das ist aber auch das einzige, wo es noch Verbesserungsbedarf gibt. (An der Hardware dürft’s ja nicht mangeln ;) ) Ansonsten finde ich Location und Sound wirklich großartig. Ein Laden dieser Art fehlt in Stuttgart definitiv.

  • 10. Juli 2013 um 11:52 Uhr
    Permalink

    …Deswegen fotografiere ich auch so oft dort ;)

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