RANKOS ABSCHIEDSPARTY, 25.03.2013, Café Weiß, Stuttgart

Foto: Carsten Weirich

Ein bisschen wehmütig bin ich schon, als ich mich an diesem arschkalten Montag auf den Weg ins Café Weiß mache. Wirre Tagträume schwirren durch meinen Kopf, während mir der Schneeregen ins Gesicht weht (Anm.d.Red.: Wo bleibt nur der scheiß Frühling?).

Ich sehe mich in einem vollverglasten und mit Lounge-Music beschallten Aquarium sitzen und der oberflächlich-freundliche Kellner serviert mir  einen Aperol-Spritz. Um mich herum tragen die Männer vor der Brust pfiffig verknotete Schals obwohl es angenehm warm ist. Sie unterhalten sich über irgendwelchen Bankenscheiß und ihre Autos und so. Die schick aufgebrezelten Damen werden charmant umgarnt und genießen das auch sichtlich…

Jesses, schnell wieder auf andere Gedanken kommen! Ist aber gar nicht so leicht, schließlich bin ich auf dem Weg zum letzten Abend mit Ranko. Seit dem Tod des ehemaligen Besitzers und Namensgebers Heinz Weiß war die Zukunft meiner Lieblingskneipe (Dave und Björn nannten sie schon liebevoll Casi Weiß) ungewiss. Immer mal wieder machten von mir und meinen Freunden belächelte Schreckensmeldungen die Runde, dass es nicht mehr arg lang weitergeht. Schockierend, dass es nun wirklich so weit ist. Eine Ära geht zu Ende. 40 Jahre Ranko, 15 davon mit mir.

Umso klarer war dann aber auch, dass wir uns diesen einen letzten Abend nicht entgehen lassen wollten. Ein paar SMS, Emails und Facebook-Nachrichten später wusste ich, dass eine richtig große Truppe zusammenkommen würde, um das Weiß mit einem Knall zu verabschieden. Ja gut, so dachten bestimmt auch viele andere, aber die würden sicher nicht wie ich schon um 17.45 Uhr (also 15 Minuten vor Öffnung) vor der Tür stehen. Wie sich nun, als ich um die Ecke der Geißstraße komme, herausstellt, hatte ich da aber falsch gedacht. Gut und gerne 80 Leute stehen vor der Eingangstür und warten auf den Einlass. Dass ich sowas noch erleben darf. Eine Schlange vorm Weiß. Abgefahren.

Als Ranko Curin, von dem ich lange nicht mal wusste, ob er überhaupt einen Nachnamen hat, die Tür öffnet, strömt die Meute nach innen. Scheiße, schon alles besetzt, denke ich als ich mich hinter so vielen anderen durch die Tür quetsche. Ein „Hinde isch no frei Carschde“ später sitze ich dann aber doch im Séparée. Bissle abseits, aber immerhin. Zwei meiner Freunde folgen einige Minuten später und berichten, dass draußen mittlerweile ein stattlicher Haufen Leute darauf wartet, dass Ranko die mittlerweile verschlossenen Türen noch einmal öffnet. Unter ihnen auch zwei Freundinnen von uns. Immerhin, für die Wartenden gibt es Freibier. Ja gut, kann man ja mal den Ranko nett fragen, ob wir die beiden jetzt reinholen können. Nö, doch nicht. „Isch mir doch scheißegal“ war nicht die erhoffte Antwort. Also paar Minuten warten und dann nochmal im unterwürfigen Säuselton nachgehakt. Man kennt den Ranko ja. Juchhe! Ich darf die beiden tatsächlich noch reinholen. Wäre ja auch eine Frechheit gewesen, wo Diana ihm sogar Kuchen mitgebracht hat. Als Ranko mir die Seitentür öffnet und ich die beiden hereinwinke, schlägt mir der Unmut einiger Wartenden entgegen. „Was soll denn das? Warum dürfen die denn rein?“ und so. Ich komme mir auch gleich voll wichtig vor. So VIP-Türsteher-mäßig mit Leute raussuchen und finster gucken. Ich hätte eigentlich gleich ein paar Turnschuhträger des Platzes verweisen sollen oder Jungs-Gruppen oder so. Aber nicht gleich übermütig werden. Denn wie sich später herausstellen wird, habe ich meinen Stammgast-Bonus jetzt auch schon aufgebraucht. Die härteste Tür der Welt ist ab jetzt verriegelt. Viele Freunde werden in den folgenden Stunden vor verschlossenen Türen stehen und enttäuscht wieder den Heimweg antreten. Oder sie kommen erst gar nicht, weil vorgewarnt.

Wir aber sind drin! Komisch ist allerdings, dass es nicht mal ansatzweise so voll ist, wie an einem normalen Samstag beispielsweise. Auch wenn Ranko draußen erzählt, dass drinnen aber auch wirklich keiner mehr reinpasst. Allein an unserem Tisch ist noch Platz für drei. Hilft nichts, er bleibt eisern. Immerhin, Getränke gibt’s aufs Haus und zwar alles: Whisky-Cola, Wodka-Lemon, Gin-Tonic, Bier… wir trinken uns quer durch die imaginäre Getränkekarte. Wir lachen viel, auch weil unser Lieblingskellner sich scheinbar vorgenommen hat nochmal ganz großes Kino zu veranstalten. Die Diva ist launisch, sogar noch launischer als jemals zuvor. Bettelversuche wegen draußen wartender Freunde werden aggressiv weggebügelt, seine Getränke muss man sich selbst holen („Ja glaubsch etwa i hol die?“) und selbst das Personal versteckt sich bei uns um mal ein paar Minuten durchschnaufen zu können. Sogar die Schokoladenspiele mit den Damen fallen flach.

Aber so war unser Ranko halt immer und so wird er bestimmt auch bleiben. Ein guter Freund meinte einmal, dass man sich vom Kellner nirgends auch nur ansatzweise so viel gefallen lassen würde wie im Café Weiß. Und auch ich habe Freunden, die zum ersten Mal hier waren, immer zuerst die goldenen Regeln aufgezählt, die man einhalten muss. um nicht in Ungnade zu fallen oder gar sofort des Lokals verwiesen zu werden:

1.)  Nichts von der Serviette abreißen.

2.)  Nie nach neuen Chips fragen.

3.)  Nie ohne Sitzplatz Getränke bestellen.

4.)  Nie die Bücher anfassen, die auf dem Fenstersims stehen.

5.)  Keine Drachenchips ankokeln.

6.)  Nie weniger als einen Euro Trinkgeld geben.

7.)  Auf gar keinen Fall Rankos in Sekundenbruchteilen im Kopf zusammengezimmerte Rechnung anzweifeln!

Ernsthaft, ich hab selbst erlebt wie Ranko wegen jedem dieser Verstöße Leute vor die Tür gesetzt hat. Und was habe ich geschwitzt, als Shia wegen einer Wette mit dem Dave auf die Bar klettern wollte, um ein Bild von Marcel Proust gerade zu hängen.

Aber mag Ranko auch noch so launisch sein. Er hat eben auch immer dafür gesorgt, dass seine Stammgäste ein Plätzchen bekommen haben, war immer für ein Schwätzchen über Gott und die Welt zu haben und war nie nachtragend. Spätestens beim nächsten Besuch hatte er unsere kleinen Fehltritte wieder vergessen. Irgendwie war er wie eine Mischung aus Mutter Theresa und einem grimmigen südamerikanischen Diktator. Grund genug also, um ihn heute gebührend zu feiern. Wir bestellen noch eine Runde.

Auch Stammgast Wolfgang ist überrascht, als er es endlich ins Weiß schafft und sich zu uns setzt. „Ich kenne hier ja gar keinen“, entfährt es ihm. Eine Frechheit sei das, dass hier so viele unbekannte Gesichter zu sehen sind, während Stammgäste wie er vor der Tür warten müssten. Ranko hatte ihm für alle Fälle eine Notfallnummer gegeben, für den Fall, dass er nicht mehr reinkommt. Dumm nur, dass sein Anruf zwar entgegengenommen wurde, er dann aber nur noch ein Klacken hörte. Aufgelegt. Sauber.

Ranko genießt das Aufsehen um seine Person sichtlich. Ein Freund leiser Töne war er nie. Lässig mimt er den nachdenklichen Bonvivant mit einem Glas Rotwein in der einen Hand und einer Kippe in der anderen, während ein Fotograf vor ihm kniet und ihn in bester Pose ablichten will. Sogar Kamerateams sind unterwegs, um Rankos letzten Abend in Bild und Ton festzuhalten. Auch uns will man interviewen, was wir aber dankend und energisch ablehnen. Fernsehtauglich sind wir nämlich beileibe nicht mehr.

Es folgen ein paar kurze Reden und ein wenig Live-Musik. Mark Bosco lässt uns schaudern. Selten habe ich gehört wie große Bands wie Pink Floyd und Nirvana so vergewaltigt wurden. Stammgast Wolfgang hatte mich vorgewarnt, dabei aber völlig untertrieben. „Des isch echt net gut, was der macht“, hatte er gesagt, während er sich durchs wallende schneeweiße Haar gestrichen hat. Und echt jetzt, das ist gruselig. Klingt wie Kermit auf Speed. Aber wir sind bestens gelaunt. Wir halten uns die Nase zu und singen mit. Klingt original. Auch Michael Gaedt von der Kleinen Tierschau schwingt nochmal die Gitarre. Ist zwar auch nicht so mein Ding, aber schon um Welten besser. Das Weiß grölt jedenfalls „Lieber doof sein als Gaby heißen“ mit.

Aber egal, wegen der Musik sind wir ja auch nicht da. Die Stimmung ist ausgelassen und das Publikum bunt gemischt wie eh und je. Wie wird mir das hier fehlen. Das Weiß soll zwar nur ein wenig saniert werden (und bei Gott, bei den Toiletten haben sie echt meinen Segen!), aber irgendwie bezweifel ich, dass der Charme wirklich erhalten bleibt. Ohne Ranko? Wie soll das gehen?

Früher als erwartet streichen wir die Segel. Ja was soll man machen? Die Getränke waren für umme, das Tempo dementsprechend hoch und arbeiten muss ich am nächsten Tag auch noch. Gegen Mitternacht kämpfen wir uns durch die Meute um Ranko ein letztes Mal die Hand zu geben und ihm alles Gute zu wünschen. Draußen ignorieren die Wartenden immer noch die Kälte. Ich reibe mir die vom Rauch brennenden Augen und genieße die frische Luft.

Servus Ranko. Danke für 15 tolle Jahre!

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