PATRICK RICHARDT, 14.02.2013, Zwölfzehn, Stuttgart

Patrick Richardt

Foto: Steffen Schmid

Mist, ich komme zu spät, weil ich für meinen Lieblings-Musikbusiness-Besuch unbedingt noch das Klappsofa beziehen wollte. Und vorher hab ich ganz ordentlich gebummelt. So dass ich beinahe Jan Büttner von den Fog Joggers verpasse. Der macht den Vormusiker, ist gefühlte 22, hat eine von diesen Frisuren und steht ganz alleine auf der Bühne. Und wenn er singt, zwingt er einen, kurz die Augen zu schließen und, schlimmes Klischee!, drüber nachzudenken, ob er klingt wie ein alter schwarzer Musiker oder wie ein alter weißer. Jedenfalls füllt er den ganzen Raum mit seiner Gitarre und diesem Gesang, und im 1210 wird es ganz still an diesem eisig verschneiten Valentinstag. Und der junge Mann stellt Fragen, weltbewegende und herzschmerzende „Is this real life?“ zum Beispiel. Und „Have you ever fell in love?“. Und irgendwann besingt das gesamte 1210 die vermeintliche Liebe. Ganz leise. Ein bisschen kitschig ist das, an diesem Valentinstag, aber schön.

Und dann kommt Patrick Richardt.

Auch er ist ganz schön jung und auch er hat eine dieser Frisuren. Eine in Perfektion. Er spricht schnell, und hebt öfter mal den rechten Arm, flapsig, wie zum freundlichen Gruß. Der andere hält ja die Gitarre. Und dann spielt er. Ganz leise. Auf der Akkustikgitarre, ohne Mikro. Und wieder wird es ganz still im 1210. Pärchen pussieren, Single-Mädchen singen mit. Könnte man auch kitschig finden, wird’s aber nicht. Zumindest nicht, wenn man auf die Texte hört. Die sind mitunter ganz schön groß. Spielen mit banalem Alltag, trotziger Poesie und schmerzenden Knoten im Kopf. Vom Leben und Reißaus nehmen.

Nimm die Beine in die Hand / Ham sich wieder verrannt.

Beim Zuhören will man sich unbedingt eine dieser Zeilen merken und dann kommt schon die nächste gute. Schwere. Leichte. Auf einfache Art fast geniale.

Bitte frag nicht / Was mich angefressen hat / Die Blicke schweifen / Und Worte fallen / Aus offenen Mündern / Deren Klänge nie verhallen.

Patrick Richardt

Foto: Steffen Schmid

Und dabei kann man ganz wehmütig werden, noch mal ein bisschen jünger sein wollen oder sich wünschen, dass es viel mehr so junge alte Seelen wie den Krefeld-Patrick gibt. Der ist jetzt übrigens mit seiner Band auf der Bühne im 1210, was das Ganze umso großartiger, erst komplett macht. Die sind jetzt nämlich nicht mehr leise, sondern ganz gut laut, und singen quasi im Kollektiv (selbst der Schlagzeuger intoniert hier inbrünstig mit). Rufen Zeilen in die Luft, die von scheinbar banalem Teenagerärger über Anti-Depri-Ansagen bis hin zu durchdachter Selbstreflektion und hart formulierter Ansage reifen. Alles ist ein bisschen rauer und roher als auf der Platte. Mehr Leben.

Patrick Richardt

Foto: Steffen Schmid

Ich frage mich inzwischen, was mit diesen jungen Musikern los ist. Die bummeln nicht, sondern fangen kurz nach Neun zu spielen an. Steht ja 21 Uhr auf dem Plakat. Soll die Journaille sich mal dran halten. Tragen geknöpfte Hemden und schwarze Hosen und wirken so eigenartig unaufgeregt, dass man es gar nicht glauben mag. Sie schrammeln nicht nur irgendwelche Dylan-Coversongs vor sich hin, sondern denken sich selbst was aus, das scheinbar geradezu aus ihren klugen, vielbehaarten Köpfen purzelt. Der junge Clueso hat das schon mal vorgemacht, vor einem knappen Jahrzehnt, mit großer Band und feinen Zeilen. Aber irgendwie war da zu viel Pizzaschachtel und kalter Kaffee im Text, zu viel Hip Hop in der Melodie. Das hier ist mehr, eigen und persönlich. Manches kann man zu herzschmerzig finden oder „ schon mal so ähnlich gehört“ sagen. Und „Schrammeln war ja schon auch irgendwie schön“. Hier wird eben emotional geschrammelt – und revolutioniert.

Reiß die Mauern ein / Jetzt oder nie!

Foto: Steffen Schmid

Irgendwie muss ich an meine Eltern denken. Und ja, verdammt, auch an Rio Reiser. Aber eben auch an meine Eltern, als sie Teenager waren. Obwohl ich meine Eltern ja gar nicht kannte, als sie Teenager waren. Aber heute tun sie so, als hätten sie damals so gebrannt wie der Patrick und seine Jungs. Die haben sich damals noch so richtig Sorgen gemacht um die Welt und die Menschen.

Lichterloh / Brennt es / Wir müssen ein Leben lang immer nur vorwärts kommen.
Zu viele Seelen schon verbannt / Zu viele Seelen schon verbrannt / Lichterloh.

Alt-68er-Lagerfeuerromantik gibt´s hier allerdings nicht, abgesehen von Patricks Unplugged-Einlagen. Und meine Eltern wären zusätzlich enttäuscht, wenn die Jugend die alten Helden vermeintlich verkennt: „Da gab´s eine Platte von Reinhard Mey. Der Name sagte mir was.“ Immerhin hat der Ruhrpott-Bub (das würde meine Gelsenkirchener Mama wiederum freuen) das Juwel entdeckt und das einzige Cover, das er heute singt, ist ein Mey´sches.

Patrick Richardt

Foto: Steffen Schmid

Und irgendwann ist das Konzert fast schon vorbei. Die Band brennt immer noch. Lichterloh. Und spielt noch einige Zugaben, die kann man nicht zählen. Und am Ende noch mal die Single. – „Wie in den 80ern.“ Am Morgen danach ist alles vorbei. Kopfschmerz und Kater. Und ein wildes Meadley in den verwirrten Zellen. Kleine, bemerkenswerte Zeilen kann ich noch behalten. Immerhin.

Ich hab das Lachen verloren / Ich hab das Weinen vergessen / In dieser kranken Welt will ich bloß verstehen. / Viele wollen fliegen / Im Gleichstrom der Welt / Inmitten von Milliarden / Im Wahnsinn verbannt / Doch es ist viel zu früh / Um durchzudrehen / Ich bin so weit nicht weg / Von mir.

Patrick Richardt

Foto: Steffen Schmid

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