HUMAN ABFALL, 18.12.2012, Second Hand Records, Stuttgart

Human Abfall

Foto: Steffen Schmid

Warum habe ich eigentlich all meine Platten eingemottet? Jetzt stehe ich hier seit vielen Jahren mal wieder bei Second Hand Records und bewundere die ausgestellten Cover-Kunstwerke wie bei einem Museumsbesuch. Irgendwie ist mir wohl mit MP3 und Spotify doch ein wenig Musik-Kultur verloren gegangen. Der Grund für unseren Besuch beim Plattenladen ist allerdings – wie kann es auch anders sein – nicht der Plattenkauf, sondern ein Gig.

Die Begrüßung der Band reißt mich jäh aus der Betrachtung der kleinen Ausstellung von Sechziger-Jahre-Cover-Girls mit Nancy Sinatra und Co. „Guten Abend. Wir sind Human Abfall“. Autsch, krasser kann der Gegensatz nicht sein. Was für ein fieser Name. Eben noch im Kunstgenuss schwelgend, drängen sich mir plötzlich äußerst unangenehme Fragen auf: versteht sich diese Band als ein Haufen überflüssiger Menschen, die umgehend zu entsorgen sind? Ist vielleicht ganz allgemein der Niedergang alles Menschlichen gemeint? Oder doch nur die große Tonne im Krankenhaus, in die man abgetrennte Gliedmaßen und herausoperierte Geschwüre wirft?

Eigentlich sehen sie auch noch ganz intakt aus, die vier Herren, die sich hier zwischen den Plattenregalen aufgebaut haben. Und sie legen auch höchst lebendig los. Heftig scheppert es aus der improvisierten Anlage. Knarzig-böse Bassläufe lassen mich sofort an Joy Division denken, darüber elektronisch aufgemöbelte Gitarrenriffs und dazu ein knochentrockenes Schlagzeug.

Human Abfall

Foto: Steffen Schmid

An vorderster Front: Sänger – ähm, sagen wir lieber Agitator – Messi, der seine Botschaften mit finsterer Miene und krampfartigen Bewegungen dem Publikum ins Gesicht schreit. Stark verzerrt und schwierig zu verstehen, aber irgendwie bedrohlich. Erstaunlich, wie sich der eben noch freundlich mit den Fans parlierende Kerl auf der (nicht vorhandenen) Bühne zu einem geradezu furchteinflößenden Berserker verwandelt.

Angenehm retro ist der Sound, Punk-Rock und eine Portion Wave. Sogar ein wenig Surf-Gitarre höre ich hier raus. Gitarrist, Bassist und Schlagzeuger wechseln von Titel zu Titel die Instrumente. Und der Frontmann haut uns seine kryptischen Botschaften um die Ohren. Irgendwo zwischen Peter Hein, Eddie Argos und Rocket Freudental. Aus dem Krach erreichen uns – immer in geradezu manischer Wiederholung – rätselhafte Wortfetzen:

„Deutschland, nein danke, kein Urlaub in Absurdistan“
„Psychohygiene Fünf Minus… der Therapiehund hat Tollwut“
„Fünf nach Zwölf – aber auf wessen Uhr?
„Auf drei Inkarnationen das Karma völlig versaut“
„Die Zeit ist abgelaufen. Alles explodiert. Dialektik und Verstand völlig ruiniert.“
„Sicherheitsdienst! Verlassen Sie sofort mein Büro!“

Ist das Dada, Nonsense oder einfach genial? Egal, es macht Spaß. Im Gegensatz zu Messis irrem Blick haben die meisten Zuschauer nämlich ein Grinsen im Gesicht. Ganz klar: das ist wohl nicht so ernst gemeint, wie es scheint. Und was wie der Soundtrack zum anstehenden Weltuntergang klingt, geht jedenfalls ordentlich in Bauch und Beine. Wären wir hier nicht – ohne jegliches Warm-Up und quasi after Work – in einem Plattenladen, es würde garantiert getanzt.

Human Abfall

Foto: Steffen Schmid

Nach einer Dreiviertelstunde hat der Spaß dann ein Ende, das nüchterne Neonlicht geht an und der Sänger setzt seine unterbrochene Konversation fort. Irgendwie schon ein bisschen Dr. Jekyll und Mr. Hide.

Tonträger gibt’s natürlich auch zu kaufen. Ganz konsequent retro als Musik-Cassetten (stillose Medien-Pragmatiker wie ich können sich das aktuelle Werk aber auch auf Bandcamp anhören und herunterladen) Und es muss mal gesagt sein: Konzerte wie dieses sind meine liebsten. Eine ungewöhnliche Location, ein Haufen echter Fans und Kenner. Und eine Band, die ohne viel Trara einen soliden Gig abliefert. (Notiz an mich: unbedingt mal einen Club-Gig mit Human Abfall besuchen. Aber jetzt erstmal in den Keller und die Plattenkisten hoch holen…)

3 Gedanken zu „HUMAN ABFALL, 18.12.2012, Second Hand Records, Stuttgart

  • 20. Dezember 2012 um 14:06 Uhr
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    ha ha ha, die texte scheint er nicht verstanden zu haben. schade, daß rezeption heutzutage so oberflächlich ist. aber im zeitalter permanter reizüberflutung scheint inne halten und mal drüber nachdenken, irgendwie, ähm, hoffnungslos retro zu sein… schade eigentlich. na ja, geschichte wird gemacht, schnell schnell, in 1:30 minuten muß alles vorbei sein….auf zum nächsten gefecht….

  • 20. Dezember 2012 um 14:27 Uhr
    Permalink

    @akoe Der Rezensent hat mit den Interpretationsversuchen des Bandnamens leider schon die maximale Aufmerksamkeitsspanne erreicht. Damit war dann leider keine Kapazität mehr frei für die gründliche Rezeption der Texte. ;) (Die ohnehin im wahrsten Wortsinn leider kaum zu verstehen waren…)

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