FABRIZIO CAMARATA, HELLO PIEDPIPER, 05.12.2012, Café Galao, Stuttgart

Fabrizio Camarata

Foto: Andreas Meinhardt

Winter ist gar nicht meine Jahreszeit und das lasse ich so richtig alle um mich rum spüren. Sitze ich drin, meckere ich, dass es draußen so kalt ist. Bin ich draußen, dann schimpfe ich, dass es noch kälter ist, als ich drinnen dachte, dass ich zu dünn angezogen bin und dass ich ganz schnell wieder heim ins Warme will. Mein soziales Umfeld reagiert hingegen jedes Jahr gelassen: Ganz viele schalten auf Durchzug und beten, dass es bald Frühling wird und die anderen erzählen mir irgendeinen Schmarrn von langen romantischen Spaziergängen mit dem Hund, den Kindern oder alleine im verschneiten Winterwunderwald. Bloß Mitleid hat keiner mit mir! Das führt dann dazu, dass ich so lange rumjammer, bis ich im Januar ganz allein im Schnee stehe und keiner mehr was von mir will. Dann helfen nur noch Antidepressiva oder Nougat. Das war schon immer so und ist mit facebook auch nicht besser geworden. Die Winter im Internetzeitalter sind gefühlt vielleicht sogar noch kälter als die, in denen wir uns noch handgeschriebene Briefe aus Papier mit der Schneckenpost schickten.

Wenn ich im Winter aus dem Haus gehe, dann will ich das allerdings wirklich. Konzerte und andere Veranstaltungen, die ich nur mit Schneeschuhen an den erfroren Füßen und Eiszapfen im Bart erreiche, die sind mir echt wichtig und sorgfältig ausgewählt. Im Frühling und im Sommer und im Herbst geht man einfach mal so irgendwo hin, ohne groß nachzudenken. Ich besuche in diesen Jahreszeiten Konzerte ganz spontan, ohne mich vorher über die Auftretenden zu informieren, lasse mich auf Feten mitnehmen, wo ich keine Menschenseele kenne, schlendere ziellos durch die Stadt und genieße es, mich im Wald zu verirren. Ich bin eine jahreszeitbedingt innerlich zutiefst gespaltene Jekyll-Hyde-Persönlichkeit – keine Ahnung ob’s da ein Fachwort vom Psychologen dafür gibt? Sommers ein weltoffenes, frohgemutes und für jeden Schabernack zu habendes Mitglied der Spaßgesellschaft, mutiere ich, sobald das Quecksilber unter 5 Grad steht, zu einem bähmulligen, zwiderwurzigen, stinkstiefeligen Brummbär. Is‘ halt so, kann ich auch nix für.

Letztes Jahr war’s im Winter auch kalt. Ihr Erinnert Euch sicher!? Trotzdem waren Bilderzauberer Andreas und ich für den Blog bei Susanne Sundfør im Theaterhaus. Als Vorgruppe trat der Kölner „Hello Piedpiper“ auf und hat sich damals zwei neue Fans ersungen. Da stehe ich jetzt doch gestriegelt und gebürstet vor dem Kleiderschrank und überlege mir sorgfältig, welcher Dufflecoat mich bis zum Galao warmhalten könnte. Hausschlüssel links hinten, Geld in die rechte, Telefon in die linke Hosentasche, los geht’s!

Fabrizio Camarata

Foto: Andreas Meinhardt

Das Galao war bummsvoll, aber Rainer fand noch zwei Logenplätze an der Bühne für die Blogger (Herzlichen Dank an dieser Stelle für die Rundumbetreuung!). Hello Piedpiper fing an. Der Kölner macht schöne kleine intime Songminiaturen über die großen Themen; Krieg, Mohammed Mursi, Selbstversorgung und ähnliches. Virtuos hantiert er mit seinen Aufnahmegeräten und bastelt live und in Farbe kleine Loops zusammen. Er nimmt dabei sein Gitarrenspiel, seinen Gesang und Schlagwerk auf, so dass er hervorragend ohne große Band auskommt und nach ganz viel klingt. Klingt nach richtig großem Einmannkino, bleibt aber immer ein Kerzleskonzert.

Fabrizio Camarata

Foto: Andreas Meinhardt

Nach einer kleinen Pause begann Fabrizzio Cammerata sein Set. Weniger Effekte, dafür mehr Rock’n’Roll – so könnte man es kurz zusammenfassen. Der Palermitaner macht’s genau andersrum als der Kölner: Große Songs über die kleinen Themen. Regenmelancholie, schöne Frauen auf der Straße und weggezogene Freundinnen, darum ging’s mehr oder weniger. In launigen Zwischenansagen erklärte er uns, dass er immer dann Songs schreiben müsste, wenn er mies drauf sei. Bei guter Stimmung würde er ja ausgehen. So kommt dann natürlich nur romantisches Material zusammen, das dir Tränchen in die Augenwinkel treibt. Musikalisch hört man bei ihm natürlich die italienische Cantautoretradition, da kann er noch so gut auf Englisch singen, aber auch afrikanische Highlife-Einflüsse und Ähnliches.

Beide Jungs kamen beim Publikum hervorragend an. Am meisten ungehörigen Krach machte die Kaffeemaschine. Ich hab‘ dadurch wieder was gelernt: Niemals im Galao das Barpersonal bei Konzerten in kleiner Besetzung die Milch aufschäumen lassen! Das Geschlürfe und Gezische bringt alle an den unpassendsten Stellen zum Lachen. Irgendwann ist dann was gänzlich unerwartetes passiert, mir war ganz warm ums Herz und an den Füßen. Und so wahr ich hier sitze und tippe – das hält noch immer an! Danke und Grazie dafür an Hello Piedpiper und Fabrizio Cammarata, Ihr müsst diesen Winter noch wiederkommen!

Fabrizio Camarata

Foto: Andreas Meinhardt

Fabrizio Camarata

Hello Piedpiper

2 Gedanken zu „FABRIZIO CAMARATA, HELLO PIEDPIPER, 05.12.2012, Café Galao, Stuttgart

  • 6. Dezember 2012 um 14:21 Uhr
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    Wahrhaft herzerwärmend, was der Baudisch hier so schreibt. Fein.

  • 6. Dezember 2012 um 14:42 Uhr
    Permalink

    Herzlichen Dank Holger – ’nen schönen Nikolaustag noch! (Hoffentlich waren die Stiefel heute morgen gut gefüllt!?)

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