THE AGGROLITES, THE BEATDOWN, 06.11.2012, Universum, Stuttgart

Aggrolites

Foto: X-tof Hoyer

Mit Reggae ist ist das ja so eine Sache. Viele, ansonsten tolerante Musikfreunde, kann man mit dem jamaikanischen Offbeat jagen. Zu tief hat sich das Klischee von dauerbekifften Rastas, Dreadlocks und süßlich-blöder Sommermusik eingeprägt. Dabei geht Reggae auch ganz anders: die Aggrolites aus Los Angeles beweisen dies seit Jahren.

Sie haben nämlich den frühen Reggae wiederentdeckt, wie er sich Ende der 1960er Jahre aus Ska und Rocksteady entwickelt hat. „Early Reggae“ nennt sich das, ist rau, relativ flott und stark soul-orientiert. Absolut zwingende Tanzmusik mit einfachen Melodien, die 1969 in Europa zuerst von den englischen Skinheads entdeckt wurde. (Vielleicht einer der Gründe dafür, warum diese Ur-Form des Reggae dann kein größeres Publikum fand.)

Jedenfalls gibt es nach diversen Re-Inkarnationen des Ska seit einigen Jahren auch ein Revival des Early oder Skinhead Reggae. Und die Aggrolites sind hier absolut stilprägend.

Genug der Musiktheorie! Dienstagabend im leider nur zu einem Drittel gefüllten Universum sollten die fünf Kalifornier also einmal mehr eines ihrer ekstatischen und schweißtreibenden Konzerte abliefern. Leider gelang dies nicht ganz so gut wie bei ihren Stuttgart-Gigs der letzten Jahre. Doch davon später mehr, wenden wir uns erstmal dem Support Act zu.

Beatdown

Foto: X-tof Hoyer

The Beatdown aus Montreal eröffnen den Abend nämlich mit einem fulminanten Gig – ihrem allerersten in Europa. Eine ganz junge Band, gerade mal seit zwei Jahren auf der Bühne, legt hier mal kurz einen Auftritt hin, dass der geneigte Aggrolites-Fan sich Sorgen machen muss, ob die Alt-Stars dies überhaupt noch werden toppen können. Die Band um den Sänger Alex Giguere spielt einen derart trockenen, treibenden Beat, dass schon nach wenigen Titeln der Laden in Bewegung ist. Das ist präzis und knackig, super-sympathisch und mit echter Begeisterung gespielt. „Northern Reggae“ nennen sie ihre Spielart. Mag von der geografischen Lage hergeleitet sein, könnte allerdings auch ein Hinweis auf deutlich zu erkennende Spuren von „Northern Soul“ sein. Vergleiche mit den Slackers (stimmlich erinnert Giguere ziemlich an Vic Ruggiero), Chris Murray (bei den Rocksteady-Titeln) oder auch dem Aggrolites-Entdecker Tim Armstrong sind erlaubt. Absolutes Highlight: „Reggae Dance“, das mühelos vom Shuffle in erdenschweren Dub wechselt und wunderschöne Singalongs anbietet.

Allein für diese Band-Neuentdeckung hat sich der Abend bereits gelohnt! Aber schon mit ihrem ersten Titel machen dann die Aggrolites klar, wer hier der Herr im Haus ist. Ein Instrumental-Medley deutet an, welche Menge an Hits sie heute zum besten geben werden. Der arglose Fan ahnt nicht, dass der Spannungsbogen heute abend besonders lang ist.

Markante Typen sind sie jedenfalls. Zu allererst natürlich Jesse Wagner, der charismatische Frontmann mit der unverkennbaren Soul-Röhre. Keyboarder Roger Rivas ist ebenfalls noch aus der Ur-Besetzung der Aggrolites und ein echter Star unter allen Fans der Reggae-Orgel. Wie er – mit der Statur eines Fleischers und beeindruckenden Unterarmen – sein Keyboard behandelt ist sehenswert: hier wird hart gearbeitet, gehämmert, gestrichen und geschraubt. Nicht umsonst steht er gut sichtbar direkt am Bühnenrand.

Die Aggrolites sind mit ihrem „Dirty Reggae“ seit Jahren pausenlos auf Tour, Last.fm verzeichnet sage und schreibe 538 Gigs. Und das macht sich natürlich durch ein extrem routiniertes und präzises Zusammenspiel bemerkbar. Leider ist aber auch eine gewisse Tour-Müdigkeit zu spüren, und das Konzert nimmt zuerst mal nicht den erwartet heftigen Verlauf. Vielmehr bringen die Aggrolites eher ruhigere Titel ihres aktuellen Albums und einige Instrumental-Klassiker der 1960er Jahre zu Gehör. Darunter Jackie Mittoos Version des Upsetters-Klassikers „Night Doctor“, Titel von Delroy Wilson und Ernest Ranglin. Musik für Kenner des Genres, aber halt eher etwas verhalten. Erst in zweiten Hälfte des Gigs drehen die Aggros auf: Mitsing-Hits wie das herrlich infantile „Banana„, „Funky Fire“, „Countryman Fiddle“ oder „Pop The Trunk“ sorgen für die erwartete Party-Stimmung. Und erst jetzt lässt Wagner erstmals sein Lausbuben-Evercheese sehen. Und als sie in der Zugabe dann noch Ihre Version des von Marcia Griffith reggaefizierten Evergreens „Don’t Let Me Down“ anstimmen ist auch der kritische Fans versöhnt. Denn diesen Titel hatten sie seit Jahren in Stuttgart nicht mehr im Programm und ist ein wahrhaft perfekter Schlusspunkt.

Nicht das beste Aggrolites-Konzert ever, aber wie bringt es mein Nachbar auf den Punkt: „Schon hart, wenn eine Band an einem schlechten Abend immer noch viel besser ist als die meisten anderen an einem guten.“

Aggrolites

The Beatdown

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