HELMUT SCHLEICH, 02.11.2012, Renitenztheater, Stuttgart

Foto: Promo

Ach, wir ham’s nicht leicht. Mit der Meinungsbildung. Die ganze Abwägerei von Unwägbarkeiten, die Suche nach Mittelwegen, die Argumentiererei, die allerorten sitzen muss, wenn’s zu Diskursen kommt. Ständig wollen Hinz und Kunz und Fritz und Kuhn gewählt werden, oder Turner, oder das Roggenbrot. Umfragen gilt es zu beantworten, manchmal sogar repräsentativ. Und was uns die allwöchentliche Talkshow-Zentrifuge so an Meinungen und Ansichten entgegenschleudert, setzt uns zusätzlichen unter Druck.

Gut, dass es da jetzt Abhilfe gibt. Opinionscout-24, Lieferant einer personalisierten Meinung nach Wahl, auf hundsgeheimen Pfaden im Netz zu finden. Sagt zumindest Helmut Schleich, heute Abend aus München zu Besuch. Also fluchs die Seite angesurft und die Äpp gezogen, mal sehen, was sie für diesen Bericht bringt.

„Nicht mit mir“ heißt das Programm, das uns Helmut Schleich ins Renitenz mitgebracht hat. Was hinter dem Titel steckt, ist im wesentlichen ein Figurenkabinett verschiedenster imitierter Persönlichkeiten, eine ordentliche Sammlung zünftiger und meist zündender Gags, ein wenig Gaga und ein wenig politisches Kabarett.

Nach ein paar einleitenden, noch etwas mager pointierten Kommentaren zum Status Quo der Tagespolitik – Steinbrücks Nebenverdiensten, NPD-Verbot, Schutzschirme und -schirmchen – legt Schleich los und setzt sich an einen Historikerstammtisch. Angeleitet von einem namenlosen bayrischen Moderator in bester Bierzeltlaune diskutieren Ex-Nazi Addi und RAF-Anhänger Revo (Luzzer) um die Wette: Welcher Terrorismus war der effizientere, professionellere, nachhaltigere? Gegen den Nazi-Terror stinken die Linken natürlich ab, dafür muss sich aber auch nur Addi entschuldigen. Ein nettes erstes Aufeinandertreffen dreier Figuren aus Schleichs beachtlichem Repertoire, ein kleiner Vorgeschmack dessen, was noch kommen wird.

Oder besser: Wer noch kommen wird.

Seit den altvorderen Tagen der totalen überabsoluten Mehrheit, selbst die älteren Gigger&Blogger werden sich nicht erinnern, spukt der Geist eines rhetorischen Schlachtrosses durch die CSU. Die Rolle des Elder Statesman hat der bayrische Volkstribun Franz Josef Strauß bekanntlich leider verbarschelt, und so kehrt er hie und da eben als Gespenst wieder, um seine markigen Sprüche abzulassen. Mal auf Parteitagen, mal zu anderen feierlichen Anlässen, manchmal aber auch in Gestalt eines bayrischen Kabarettisten. Helmut Schleich ist eines jener Opfer, die regelmäßig heimgesucht werden, und das ausgerechnet auf Kleinkunstbühnen, wenn alle Welt zusieht.

Gleich der erste Auftritt des FSJ schlägt ein. In seiner Paraderolle zieht Schleich ordentlich vom Leder. Er lässt seinen Hals hinter einem Pi mal Daumen Fünf- oder Sechsfachkinn verschwinden, schnappatmet die Zoten in den Raum, wie es Strauß selbst nicht besser gekonnt hätte, und wippt dabei im klassischen Franz-Josef-Stehaufblues. Keine Frage, das ist nahe an der Brillianz, sagt Opinionscout, und wir stimmen zu.

Die zweite Hauptfigur tritt wenig später an. Heinrich von Horchen, ein überalterter, tattriger Hochadliger aus nördlichen Gefilden, ehemals Gesangslehrer von Johannes Hesters und der einzige im Bunde, der einen Hauch von Verkleidung besitzt (Zylinder und Schal). Während Strauß die Schwarte krachen lässt, ist Horchen als vornehmer Zeitgenosse eher für Spitzfindigkeiten zuständig. Natürlich spricht er über Guttenberg („den Kopierer, nicht den Drucker“), und besonders dessen kleingeistiges Strebertum nach einem Doktortitel kostet ihn einige Nerven. Von denen er nicht eben viele hat, muss dazu gesagt werden. Auch seine Auftritte sind wahre Brüller, sagt Opinionscout, und auch da stimmen wir zu.

Flankiert werden die beiden von Ihrer Allerheiligkeit Josef Ratzinger, der mit Strauß um den Platz des wichtigsten Bayern wetteifert, von Schleichs recht offensichtlichem Vorbild Ottfried Fischer, von Stoiber und Seehofer, auch von Helmut Schmidt. Allesamt kleinere oder größere Kostproben von Schleichs Verwandlungskunst, allesamt gelungene bis geniale Parodien, die weit jenseits der üblichen Bemühungen von Richling bis Appelt liegen.

Nebenschauplätze gibt es auch. Ein Emerit berichtet von seinem Dasein, ein kleines Rudel Stammtischbrüder guckt unfreiwillig wie begeistert den Bildungskanal, ein Therapeut behandelt seine Patienten, indem er Schlager rezitiert. Die kleinen Zwischenszenen sind mal mehr, mal weniger komisch, wirken stellenweise etwas unbeholfen und unpassend. Doch der Kern von Schleichs Kabarett, die Parodien, bleibt davon unberührt.

Opinionscout meldet: Bayrisches Einheizer-Kabarett zum Beginn der Heizperiode. Ein gut aufgelegter Kabarettist. Ein lustiger Abend. Wir stimmen zu.

Ein Gedanke zu „HELMUT SCHLEICH, 02.11.2012, Renitenztheater, Stuttgart

  • 5. November 2012 um 23:01 Uhr
    Permalink

    Der Jo schreibt endlich wieder! Aber: Der Gesangslehrer von Jopi Heesters? Der müsste dann ja jetzt um die 130 sein, oder?

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