THE SEE SEE, JAMHED, 18.10.2012, Goldmark’s, Stuttgart

The See See

Foto: Steffen Schmid

Der Hass wurde ja vor kurzem so schön zelebriert, dass man ja gar nicht anders kann, als sich davon inspirieren zu lassen. Man spielt ja nicht in der Jesus-Gelassenheits-Liga, und deswegen hat man auch gerne etwas in sich namens ÄRGER. Ärger über die eigene Gier, die einen kurz vor Konzertbeginn noch eine kalorienschwere Pizza samt bleischweren apulischen Rotwein hat verzehren lassen, mit dem Resultat, das ganze Konzert über das Gefühl zu haben, ein Goldfischglas über den Kopf gestülpt bekommen zu haben. Ärger über die Intelligenz beleidigende Werbekampagnen von sich bürgernah (lies: Stammtisch) herbeifantasierenden Werbemillionären, die einem auf dem Weg zum Konzert anblöken. Schließlich auch Ärger über die eigene Spießigkeit, dass man mittlerweile späte Konzertbeginne unter der Woche, zugerauchte Venues und lieblose Bühnenbeleuchtung einfach nicht mehr mit einem Schulterzucken abtun kann. Aaahhh, herrlich, Ärger, Triebfeder für ein unerfülltes Dasein!

Jamhed

Foto: Steffen Schmid

Gar kein Ärger allerdings mehr, als das Konzert im angenehm gefüllten Goldmark’s losgeht. Jamhed aus Esslingen geben die Vorband…und sind richtig gut! Man hat ja gerne mal die dumme Tendenz, den Prophet aus dem eigenem Land nicht sonderlich zu achten, weil man ja schließlich kein Provinzling sein will. Hier kommt man nicht drum herum, viele lobende Worte zu verlieren. 60ies angehauchte Psychedelica mit kurzen Spacerockanleihen. Als vager Vergleich kann man vielleicht Brian Jonestown Massacre bemühen. Ein Keyboard das schöne Akzente setzt, sehr, sehr tightes Zusammenspiel, und über allem ein gutes Gespür für die richtigen Arrangements, Melodien und abwechslungsreiche Dynamik. Extrem Musik-Connaisseur und Jamhed Bekannter Henry meint dann auch zu mir, dass die Jungs „halt auch viel üben“. Hört man, sehr überzeugend! Kann man sich schon mal auf das baldig erscheinende Debütalbum freuen.

Die zum Quartett geschrumpften The See See beginnen ihr Konzert um 22:45 Uhr mit einem psychedelischen Instrumentalstück. Anders als bei der Supportband, bei denen das psychedelische Element aus öfters verschleppten Rhythmen in Kombination mit Keyboardsounds und effektgeladener Gitarre herrührt, kommt das bei The See See eher im Uptempo-Gewand und schrammeligen Gitarren mit viel Obertönen als massivere Soundwand daher. Die ganze erste Hälfte des Sets klingt dann doch auch ziemlich anders als noch das Konzert vor anderthalb Jahren im Tonstudio. Ein Keyboard gibt es ja auch nicht mehr.

The See See

Foto: Steffen Schmid

Aber mir gefällt der neue Anzug besser als der alte. Die Band scheint auch mittlerweile viel eingespielter zu sein, und kommt sehr energiegeladen und wuchtig rüber. Das vom Ex-Mitglied komponierte und sehr tolle „Keep Your Head“ wird deutlich schneller gespielt als auf Platte. Ein noch nicht veröffentlichtes Stück namens „The Rain And The Snow“ bekommen wir auch präsentiert. Gefällt!

Der zweite Part des Konzerts ist dann insgesamt straighter, weniger psychedelisch, mehr Westcoast-Sound, aber nie langweilig. Kam mir das Konzert im letzten Jahr in manchen Phasen etwas platt vor, klingt es jetzt immer interessant, da mal eine ungewohnte Akkordfolge, dort mal eine Mundharmonika oder wilde Drumbreaks. Als erste Zugabe gibt es dann auch ein ungewöhnliches Instrumentalstück, das fast schon krautrockige Ausmaße annimmt durch seinen stoischen Bass. Nach einer zweiten Zugabe und einer knappen Stunde ist der Spaß dann vorbei, und man kann sich langsam wieder seinem Grant widmen…gegenüber der Welt…gegenüber sich selber…

The See See

Foto: Steffen Schmid

The See See

Jamhed

2 Gedanken zu „THE SEE SEE, JAMHED, 18.10.2012, Goldmark’s, Stuttgart

  • 22. Oktober 2012 um 14:02 Uhr
    Permalink

    „Aaahhh, herrlich, Ärger, Triebfeder für ein unerfülltes Dasein!“
    ==> Lino Immanuel Sloterdijk-Precht

    Sehr schöne Einleitung, mein lieber Herr Philosophenverein!

  • 22. Oktober 2012 um 23:02 Uhr
    Permalink

    Zum Thema „Ärger“ fällt mir immer dieses Lied ein, „Anger“ von Downset (wer es ganz durchhält, bekommt ein Eis: https://www.dailymotion.com/video/x7lcw_downset-anger_music).

    Und das aus mindestens drei Gründen: Erstens geht in dem Lied um Ärger, zweitens ist es ärgerlich, dass es das Lied gibt, drittens rege ich mich, wenn ich es schaffe weiterzudenken, irgendwann dann auch über die komplette Musikrichtung Crossover auf, die es mal gab, die Alteingesessenen werden sich erinnern.

    Also ein von einem einfachen Ärger induzierter dreifacher Ärger, das ist fast wie gefangen sein in einer Turner-Plakate-Ausstellung.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

I accept that my given data and my IP address is sent to a server in the USA only for the purpose of spam prevention through the Akismet program.More information on Akismet and GDPR.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.