BRAIN POLICE, GREENLEAF, THE GRAVIATORS, 11.10.2012, Zwölfzehn, Stuttgart

BRAIN POLICE + GREENLEAF + THE GRAVIATORS, 11.10.2012, 1210, Stuttgart

Foto: Lino

Eigentlich sollte die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg, direkt neben dem 1210 gelegen, sich auf sein selbstgesetztes Ziel beschränken, „Verbraucherinnen und Verbraucher in Fragen des privaten Konsums [zu] informier[en], ber[a]t[en] und unterstütz[en]“. Angesichts der geballten Ladung internationalen Stoner oder Desert Rocks, die am Donnerstag von der Tür des Vereines abgeladen wird, kommt es dann aber sogar zu einem Fall von Sachbeschädigung. In solchen Situationen muss dann natürlich Gig-Blog einspringen, um die Verbraucherinnen und Verbraucher zu informieren, beraten und unterstützen.

BRAIN POLICE + GREENLEAF + THE GRAVIATORS, 11.10.2012, 1210, Stuttgart

Foto: Lino

Lange bevor der Abend unerwartet weitergeht und endet, beginnt er auch so: Selbst der lokale Veranstalter war nicht darauf vorbereitet, dass dem gepflegt vor der Paulinenstraße 47 geparkten Doppeldecker-Nightliner vier statt drei Bands entsteigen. Nicht nur Gig-Blog ist deshalb für den unerwarteten Auftritt der Amerikaner Mirror Queen (Ex-Kreisor) zu spät. Die letzten paar Minuten des 70er-schwangeren Sounds der New Yorker haben sich dann aber schon gelohnt. Psychedelisch aufgeladen bauen sich die Stücke langsam auf und entladen sich dann in rockigen teils Uptempo-Passagen. Es erstaunt wenig, dass diese Band auf demselben Label untergekommen ist, wie die Wunderkinder von The Atomic Bitchwax, Ancestors und natürlich von den Berlinern Kadavar, die uns am 22. Oktober an nämlicher Stelle beehren werden.

BRAIN POLICE + GREENLEAF + THE GRAVIATORS, 11.10.2012, 1210, Stuttgart

Foto: Lino

Überraschend früh in der Running Order – aber dem ursprünglichen Plan entsprechend – geht es dann mit den Schweden The Graviators weiter, über deren „grandiosen“ Auftritt an anderer Stelle Gig-Blog die Verbraucherinnen und Verbraucher bereits informiert hat. Ein Eindruck, der sich ganz locker bestätigt, auch wenn das Publikum vor der Bühne noch eine gehörige Lücke lässt und aus sicherer Distanz mitrockt. Sänger Niklas Sjöberg wird überraschende Mittel finden, um das Problem zu lösen.

Seit ihrem Auftritt im Vorprogramm von Saint Vitus vor zwei Jahren ist die Musik der Schweden noch psychedelischer geworden, ohne dabei etwas von der sehr rhythmusorientierten Wucht zu verlieren, durch welche sich The Graviators von anderen schwedischen Bands mit Retroeinschlag abheben. Lassen die vier auch ihre Wurzeln nicht hinter sich, so spielen sie doch nur „Storm of Creation“ vom Debütalbum. Nach diesem Opener geht es direkt weiter in die Tiefen der neuen Platte: „Morning Star“ und das Titelstück „Evil Deeds“. Den unmelodischen Riffs von Gitarrist Martin Fairbanks, die von der Rhythmussektion Johan Holm und Henrik Bergman noch betont werden, setzt Niklas seinen abgedrehten Kopfstimmengesang entgegen. Die anspruchsvollen Melodien meistert er dabei ohne Schwierigkeiten, auch wenn er wie bei „Evil Deeds“ mal eine ganz tiefe Stimmlage oder einzelne, extrem hohe Töne anschlägt, wie es sie auch schon im leider vermissten „Back To The Sabbath“ gab.

Ähnliche Gegensätze werden nach „Soulstealer“ auch in „A Different Moon“ gezeigt, wo die treibenden schlagzeugunterstützten Basslinien recht notenreichen Leads der Gitarre gegenüber gestellt werden, die teilweise äußerst flink mit zweihändigem Tapping vorgetragen werden. Vor dem Abschlussstück „Häxagram“ kommt Martin dann aber noch in besonderer Weise zum Zuge: In meinem persönlichen Favoriten des Abends, dem leider nur auf der The Graviators/Brutus-Split-EP erhältlichen „Druid’s Ritual“ spaced die Band und vor allem die Gitarre dann völlig ab, wobei zugleich alle anderen gravierenden Trademarks erhalten bleiben. Während der ausgedehnten Instrumentalpassage in der Mitte des Stücks hat Niklas freilich nicht viel zu tun. Dabei gesellt er sich nicht nur erst zu mir an die Bar und stößt mit mir an, sondern unternimmt auch endlich etwas gegen den leeren Raum vor der Bühne, indem er ihn selber füllt und den geneigten Verbraucherinnen und Verbrauchern vormacht, was von ihnen erwartet wird.

BRAIN POLICE + GREENLEAF + THE GRAVIATORS, 11.10.2012, 1210, Stuttgart

Foto: Lino

Der Versuch des Dozer-Sideprojektes Greenleaf, hier noch etwas drauf zu setzen, muss – es erstaunt wenig – nach The Graviators scheitern. Das liegt auch gar nicht daran, dass wir hier schlechte oder unengagierte Musiker vor uns hätten. Das Gegenteil muss gesagt werden. Jedoch ist das Songmaterial der Schweden einfach enttäuschend: zu gewöhnlich, zu oft gehörte Versatzstücke, die neu zusammengesetzt werden, zu uninspiriert. Exemplarisch kann man das vielleicht „Alishan Mountain“ oder „Stray Bullit Woman“ sehen: straighter Rhythmus, fast klischeehafte Südstaaten-Riffs mit viel Blues und Mitsing-Hooklines ohne Kanten, die überraschenderweise trotzdem so wenig im Ohr hängen bleiben, dass ich mir nicht mal sicher bin, ob sie genau diese Songs überhaupt spielen. Wie Lino schon richtig feststellt, ist es die Intensität der Musik, die hier nun völlig fehlt und die The Graviators so sehr auszeichnete.

Auch Greenleaf spielen Stoner Rock, mehr noch als bei den anderen Bands des Abends ist es hier  S t o n e r  Rock. Sie kommen viel chilliger rüber, und auch das Publikum bleibt in einer layed-back-Haltung, selbst wenn es die eingängigere, gebrauchsfertige Musik wohlwollend aufnimmt. Diese Reaktion muss mehr mit der Musik denn mit dem – durch seine Sehbehinderung bedingten – statischen Bühnenverhalten von Bassist Bengt Bäcke zu tun haben, denn sein Bandkollege Tommi Holappa wickelt sich bei aller Körperfülle förmlich um seine Gitarre. Er taumelt und biegt sich und aalt sich in den selbstgespielten Tönen, als wären diese Sturmböen, die ihn wie Sumpfgras verbiegen. Unter all den dicken, bärtigen Männern mit Gitarre, die man mit der Zeit so zu sehen bekommt, ist dieser hier schon ein besonders unterhaltsames Exemplar.

Um unsere Unterhaltung ist auch Frontmann Oskar Cedermalm bemüht. Er ist mit seiner gepressten Stimme nicht nur eine klassische Rockröhre, sondern sogar auf dieser kleinen Bühne recht umtriebig. Und ist es auch schwierig, die anwesenden Verbraucherinnen und Verbraucher zum Mitklatschen zu bewegen, so gibt er doch nicht auf. Sogar als er keine Antwort auf die Frage „What do you wanna hear?“ bekommt, fordert er das Publikum heraus: „Nothing?“, fragt er und zieht die Konsequenz: „Okay, good bye.“ Plötzlich wollen sie aber doch „Everything“ hören. – „Everything? Okay, this is everything from the last album.“ Das ist verbraucherfreundlich!

Während der Zugabe gelingt es Oskar endlich, das Publikum ganz nach vorne zu zwingen und weniger Kopfnicken als echtes Bangen hervorzurufen. Insgesamt jedoch gibt es hier überraschend wenig Überraschungen. Immerhin ist die Band noch um längen authentischer und besser und damit unterhaltsamer, als was uns beispielsweise Duff McKagan’s Loaded vor einem Jahr aufnötigten.

BRAIN POLICE + GREENLEAF + THE GRAVIATORS, 11.10.2012, 1210, Stuttgart

Foto: Lino

Die vierte Band des Abends kommt aus Island. Und wurden die Verbraucherinnen und Verbraucher auf Gig-Blog auch an anderer Stelle auf die hohe Musikerdichte der Insel hingewiesen, so erhalten sie auf unserer Seite doch in der Regel Informationen zu Musikern, die eher folkig-poppige Platten veröffentlichen – wie kürzlich Sóley und Svavar Knútur – oder meinetwegen Post-Black Metal spielen (Sólstafir). Alles jedenfalls Musik, die man noch mit dem hohen Norden in Verbindung bringen kann. Mit Brain Police aber steht uns eine Überraschung ins Haus: Wie auf Island – weitab aller Wüsten und feucht-warmen Sümpfe – solche Musik entstehen kann, muss wohl ein Geheimnis bleiben.

Feucht warm sind in jedem Fall die Themen, um welche sich die abwechslungsreichen Songs drehen; um jetzt mal nur aufs gerade Wohl zu nehmen, was bei YouTube auftaucht: „Jacuzzi Suzi“ oder „Coed Fever“, letzterer mit den treffsicheren Textzeilen:

Coed Fever, I’m shaving a beaver
Press your face against the taste

Wenn auch nicht nach meinem persönlichen Geschmack sind Brain Police ein würdiger Headliner für den Abend. Sie fahren einen sehr an die Altväter Kyuss erinnernden, dichten Stoner Rock auf, der nicht nur die Musiker, sondern auch das Publikum so sehr in Bewegung versetzt, dass sich das Klima selbst im 1210 ein bisschen mehr nach sonnigem Kalifornien anfühlt. Klar trägt auch der Bierkonsum am späten Abend zu einer derartigen Reaktion bei; aber außer ihrem Sound fahren Brain Police eben auch noch Jens „Jenni“ Ólafsson auf, der fast alles Bewegungspotential der Band in sich vereint – und das, obwohl natürlich auch er auf der kleinen Bühne keinen Platz hat: Er springt hin und her, animiert die Leute vorne, dann geht’s hoch auf die Kiste, die vorne am Bühnenrand steht, und er animiert die Leute hinten, dann wieder runter und hoch und runter wie ein nimmermüder Step-Up-Trainer.

Ebenso wie Greenleaf kommen Brain Police gänzlich ohne Psychedelic-Elemente aus. Das ist purer Stoner Rock. Mit einer eher hohen Rock-Stimme. Getragen wird das Ganze mit einer Mischung aus treibenden und schleppend-bluesigen Rhythmen. Zugleich peitscht das dicke Riffing die kleine Meute im 1210 immer weiter an. Als die Band dann von der Bühne geht, erstaunt es wenig, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher vor Ort nicht erst den Rat vom Gig-Blog benötigen, um „One more song“ zu fordern. Jenni fragt zurück: „You want one more song? But we got two!”, was gleich mit einem lautstarken „Ten more Songs!” aufgenommen wird. Es bleibt dann doch bei zwei Nummern, die, sich langsam im Tempo steigernd, nochmal viel Druck machen und um Punkt Zwölf das Konzert sozusagen mit einem fetten Rums beschließen.

BRAIN POLICE + GREENLEAF + THE GRAVIATORS, 11.10.2012, 1210, Stuttgart

Foto: Lino

Damit hätte es zu Ende sein können, wäre da nicht die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg gewesen. Wie solche Organisationen nun einmal sind, können sie nichts einfach so stehen lassen. Und dementsprechend sind sie auch nachts um zwölf noch für eine letzte Überraschung gut.

Man weiß ja, wie das ist nach solchen Shows. Während die einen noch ihre Gläser austrinken oder gar ein letztes Mal füllen lassen, stehen die anderen redend beieinander und dritte schleppen Gepäck und Instrumente zum Bus. Und da passiert es dann: Während die hart arbeitenden Roadies vor der Paulinenstraße 47 den Bus noch etwas einladefreundlicher hinrangieren, stellt ihnen das Schild der Verbraucherschützer ein Bein respektive tritt mit einem unschönen Rums eines der oberen Fenster des Busses ein. Und dabei heißt es doch immer Schuster bleib bei deinen Verbrauchern. Man muss wirklich Mitleid mit der Busfahrerin haben, konnte sie das Schild in vier Metern Höhe doch unmöglich im Spiegel sehen.

In den Schlafkabinen wird es damit heute Nacht verdammt windig werden. Ein Glück, dass fast alle der Stoner Rocker aus dem Wikinger-Siedlungsgebiet kommen. Echte Dessert-Rocker à la Kyuss müssten da jetzt wohl kneifen.

Ein Gedanke zu „BRAIN POLICE, GREENLEAF, THE GRAVIATORS, 11.10.2012, Zwölfzehn, Stuttgart

  • 25. Oktober 2012 um 11:59 Uhr
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    Ahahaa, super! Sehr gewieft-gewitzt geschrieben, Herr Kullak!
    Es grüßt:
    Dein END-Verbraucher ;-)

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