REFUSED, 29.09.2012, Live Music Hall, Köln

Refused

Foto: Michael Setzer

„Can I Scream?“ – die Geschichte ist bekannt. Refused – die Band, von der viele „Legende“ sagen, aber letztendlich doch meistens nur deren „Smoke On The Water“ meinen: „New Noise“. Manchmal ist das eben das Los derer, die etwas wirklich Außerordentliches gebastelt haben. Nix, das man Refused ohne Weiteres absprechen möchte. Außerdem haben das die Schweden 1998 selbst in die Hand genommen: „Wir sind dann mal Tschüss“. Aufgelöst mit „ö“ – wie in Tschö.

Die Reunion der Hardcore-Band pünktlich zum US-Hipster Festival Coachella – so richtig hatte niemand darauf gewartet, so wie man das zum Beispiel auf einen Bus oder den Notarzt tun würde. Von A nach sonstwo oder steil bergab ging’s in den vergangenen 14 Jahre auch bestens ohne das schwedische Politpunk-Quintett. Aber Denkste, die Kölner Live Music Hall ist voll wie Dorfkirchen an Weihnachten. Szenekids, Hipster, Altpunks, Rock am Ring-Rocker, ein paar „Kauf dich Glücklich“-Mädchen und auffallend viele Herren, die wahlweise wie Chuck Ragan oder Dallas Green aussehen – alle da und nicht wenige davon: voll von Erwartungen.

„Das Brummdingens nervt“, sagt meine charmante Begleitung, während aus den Boxen die Umbaupausenbeschallung brummt: ein Ton, sonst nix. Wahrscheinlich der Tophit in der Ambient-Disco, ansonsten aber saumäßig lästig. Der Mist startete pünktlich mit dem Ende der sehr unterhaltsamen aber halt mindestens genauso egalen Vorband Heavenly Irgendwas, Moment kurz googlen: ‚zeihung Terrible Feelings.

Wir spielen so lange Quatsch Comedy Club und witzeln über die Bassdrum von Refused-Trommler David Sandström. Darauf steht sehr groß geschrieben „Free Pussy Riot“, der derzeit topste Slogan, möchte man politisches Bewusstsein symbolisieren und gleichzeitig darauf hinweisen, dass man selbst gerade echt wenig Zeit hat, die eigentlich klar formulierte Aufgabe selbst in die Hand zu nehmen.

Meine Oma hat seit Jahrzehnten ein kleines Schild, auf dem steht: „Bin im Garten“. Sie hängt das an ihre Haustür, wenn sie – genau – im Garten ist. Damit niemand unnötig klingelt, weil sie das hinter dem Haus im Garten eh nicht hören würde. Wir versuchen uns vorzustellen, dass Refused eben echt keine Zeit gehabt hätten, eine anständige Pausen-CD einzulegen, weil sie gerade noch „Pussy Riot“ befreien würden.

Dann hört das Gebrumme auf, der transparente Rockstarvorhang vor der Bühne fällt und Refused verschwenden wirklich keine Sekunde: „The Shape of Punk to Come“ – furztrocken, voll von Wucht und geradeaus, immer der Nase lang. So weit einen der Rotz tragen will.

Wo ich gerade noch klugscheissen wollte, dass hier kaum einer auch nur mit den Nasenhaaren wackeln würde, bevor die „New Noise“ spielen – Pustkuchen. In der Live Music Hall geht’s zu wie früher beim Sommerschlussverkauf oder heute in der Zalando-Werbung. Topstimmung. Auch auf der Bühne.

Fünf adrett gekleidete Herren in bester Laune für harte Rockarbeit. „The Refused Party Program“, wilder Chaospop, furios und trotz aller Sperrigkeit – sportlich und locker. Musikalisch ist das über jeden Zweifel erhaben. Da sitzt jeder Break und Bassist Magnus Flagge hält diese Lieder fast im Alleingang zusammen. Sensationell, der Typ. Auch als kurz die PA erst knackt, dann erstmal gar nix mehr macht. Refused schlagen ein Ass nach dem anderen. Großes Tennis und so.

„Liberation Frequenzy“. Auch toll. „We want The Airwaves back“, immer noch ein 1A Gassenhauer mit Schmiss und vorbildlichem Hüftschwung. Sänger Dennis Lyxzén erzählt derweil ein bisschen von früher und holt sich gleich die erste Verbalwatschen von einem Gast ab, der wie viele Hardcore-Pietisten früher halt alles geiler fand. Ich überlege mir derweil, ob ich Refused früher wirklich einmal geil fand, oder ob es eher das Prinzip von Refused war. Der Dickschädel, der Mut und diese Energie zum Beispiel. Egal. Nicht nur Samstagabends ist das ein gutes Zeichen: mit jeder Sekunde freue ich mich mehr, hier zu sein. Das macht Spaß.

Auch der leicht sturzbesoffene Kerl vor uns. In immer wieder neuen und tapferen Anläufen versucht er, mitzuwippen und mitzusingen – jedes Mal bricht er ab, streckt Faust und Bierbecher in die Luft und schreit „Yeeeaahh“. Einmal sagt er auch „Alter!“. Wahrscheinlich bringt der Mann Refused besser auf den Punkt als jemals einer zuvor. Auch das Problem, das die Pietisten mit den Schweden haben: Zumal Refused es vor 14 Jahren gewagt hatten, diese Musik in die Rockdisco zu tragen und sich dann einfach aufzulösen. Kurz: Wer richtig Hardcore ist, findet das hier natürlich völlig beschissen.

Selbst schuld. „Rather Be Dead“ kommt da wie eine kleine Ansage. „Worms of the Senses“ auch – vertrackter Kram, der eigentlich halb so wild ist, lässt man sich mal darauf ein. Sänger Dennis Lyxzén zumindest tanzt dazu wie höchstens Iggy Pop, Mick Jagger oder Michael Jackson das geiler tun könnten. Spitzen Rockgekasper. Wer diese Show auf der Tanzfläche abzieht, geht als Chef nach Hause und bekommt noch einen Strauß Blumen dazu. „Refused Are Fucking Dead“ meint der dürre Sänger. Man will das nicht mit einem geliehenen Kulli unterschreiben. Einigen wir uns auf Zombies, denn hier ist gar nix tot, im Gegenteil.

Natürlich lässt sich Lyxzén auch nicht die gute alte Hardcore-Büttenrede nehmen, man solle sich von niemandem reinreden lassen, die lokale Szene unterstützen, wild und sauer bleiben und so. Hardcoresänger gockeln sich gerne so einen raus, wenn ihnen gerade sonst nix einfällt, sie sich aber doch als Vorsteher oder zumindest Wortführer einer Bewegung sehen. Der Widerspruch alleine ist unterhaltsam. Hardcore und Punkrock propagiert ständig Selbstbestimmung und trotzdem predigt an jeder Ecke einer, wie man das bitteschön zu erledigen hätte.

Refused

Foto: Michael Setzer

Achkomm, „Summerholidays vs. Punkroutine“, „Refused Are Fucking Dead“, „Coup d’Etat“ sind allesamt ein großer Spaß. Lyxzen auch – er lässt sich sprichwörtlich auf Händen tragen, macht gleichzeitig den Bruce Lee und Udo Lindenberg – und dann natürlich: „New Noise“. Das Lied mag einem zu den Ohren heraushängen, totgedudelt und längst Saufbeschallung für Menschen sein, die lediglich die Aggressivität des Liedes zu schätzen wissen und den schönen Rest gar nicht mehr mitbekommen, weil sie zu beschäftigt damit sind, den Bierbecher mit auf die Tanzfäche zu nehmen. Aber was soll schlecht daran sein? Das ist immer die bessere Alternative, anstatt bei derartigen Festivitäten zum Beispiel eindimensionalen Mist wie Limp Bizkit hören zu müssen.

Dann kommt noch die Ehrenrunde: „Tannhäuser/Derivé“, obwohl Refused den Sack längst zugemacht haben. Und da will Lyxzén dann keiner mehr widersprechen: „Boredom won’t get me tonight“. Die Säcke haben recht. Löst euch wieder auf oder kommt einfach wieder. Egal. Das war guter und sauberer Spaß. Und irgendwie könnte kaum etwas egaler sein als die Frage, ob das denn nun noch Hardcore sei.

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