TURNER, MONET, TWOMBLY. Later Paintings, 11.02.–28.05.2012, Staatsgalerie, Stuttgart

TURNER, MONET, TWOMBLY. Later Paintings, 11.02.–28.05.2011, Staatsgalerie Stuttgart

Cy Twombly: „Quattro Stagioni (A Painting in Four Parts). Part I: Primavera“,
1993–1995, Acryl, Malerlack (Farbroller), Wachskreide, Buntstift und Bleistift auf Leinwand
Tate Gallery © Cy Twombly Foundation

In der vergangenen Woche äußerte eine Kollegin Missfallen an den Arbeiten meiner Schüler zu deren selbstgewähltem Thema „Albtraum/Traum“. „Zu düster, zu gruftig“, fand sie es, „zu perspektivlos“, so als könnte es Licht ohne Dunkel geben, als würde das Positive nicht gerade durch einen Gegenpol zu dem, was es ist. Der Kontrast macht erst das Ganze aus. Klar ist die Auseinandersetzung mit den dunklen Seiten des Lebens nicht jedermanns Sache. Aber es gibt die Lebensalter, in welchem sich einem die Extreme aufdrängen und – je nach Veranlagung – auch nach künstlerischer Verarbeitung schreien. Beides ist sicherlich bei meinen Schülern der Fall.

Es findet sich beides aber auch im Werk alternder Künstlergrößen. Die andersartige Auseinandersetzung alternder Menschen mit den hellen und dunklen Seiten des Lebens bedingen den Titel, welchen der britische Kurator Jeremy Lewison der am vergangenen Samstag in der Staatsgalerie Stuttgart eröffneten Ausstellung mit Werken von Turner, Monet und Twombly gab: Later Paintings. Es sind die „späteren Gemälde“, nicht das Spätwerk in inhaltlicher oder gar stilistischer Hinsicht, wie Lewison und Sean Rainbird, der scheidende Direktor der Staatsgalerie, diesen nur schwerlich treffend zu übersetzenden englischsprachigen Titel erläutern. Es geht nicht um eine düstere Sicht auf das Lebensalter. Es geht um die gesamte Breite der künstlerischen Auseinandersetzung mit „Zeit und Verlust, Erinnerung und Verlangen“ (Katalog, S. 8). Und es geht um die Kontraste, die sich daraus ergeben: das dunkle Chaos und der spiegelglatte Seerosenteich, der Tod auf See und die Sonne, die durch den Nebel bricht.

TURNER, MONET, TWOMBLY. Later Paintings, 11.02.–28.05.2011, Staatsgalerie Stuttgart

William Turner: „Strandräuber – Die Küste von Northumberland“,
ausgestellt 1834, Öl auf Leinwand
© Yale Center for British Art, New Haven, Paul Mellon Collection

Freilich stehen Kontraste noch in einer anderen Hinsicht im Vordergrund einer Ausstellung wie dieser. Mit William Turner (1775–1851), Claude Monet (1840–1926) und Cy Twombly (1928–2011) hat man drei Künstler vor sich, deren Schaffensperioden sich auf zwei Jahrhunderte verteilen. Und das in einem Zeitraum, da die Kunstentwicklung nicht extremer sein könnte. Das riecht schon nach Kontrast und bringt auch eine Menge solchen mit sich. Aber nicht nur.

Es macht keinen Unterschied, ob man in die Ausstellung geht, um Turner, Monet oder Twombly zu sehen. Die Gegenüberstellung mit den Werken der anderen beiden konfrontiert den Besucher mit einer Herausforderung. Und das ist auch nicht wesentlich anders, wenn einem alle drei Künstler geläufig sind. Da ist der Romantiker Turner, in dessen für seine Zeit untypischen Gemälden sich das Gegenständliche wie bei einem überbelichteten Photo in Undeutlichkeit und Atmosphäre auflöst – oder aus der Sicht eines postmodernen Betrachters sich vielleicht auch aus den abstrakten Farbflächen immer wieder etwas Gegenständliches heraushebt. Daneben stehen Monets impressionistische Landschaften, deren tupfender und aus kurzen Pinselstrichen bestehender Farbauftrag schon fast grob wirkt. Und schließlich steht dazwischen der auch in der Hochphase des Abstrakten Expressionismus umstrittene Twombly. Seine übergroßen Gemälde mit ihren sich auf der Leinwand mischenden gegenstandslosen Farbstrukturen, die gelegentlich auch mehr oder weniger dominant mit krakeliger Handschrift beschrieben sind, zwingen sich dem Besucher auf.

Die Bilder sind gegeneinander gehängt, da sie nach Themengruppen wie „Süßeste Lust Melancholie“ oder „Feuer und Wasser“ angeordnet wurden. Es ist keine gefällige Zusammenstellung, an der man einfach entlang spazieren kann. Am deutlichsten wird das wohl in dem mit „Eine schwebende Welt“ überschriebenen Raum. Hier hängt als dominantestes Werk Twomblys auch auf den Ausstellungsplakaten verwendetes „Untitled / Blooming: A Scattering of Blossoms and Other Things“, riesig, knallgelb und knallrot, brutal neben den zarten Turner-Studien „Der See, Petworth, Sonnenaufgang“ und „Der See, Petworth, Sonnenuntergang“. Dazu mehrere sehr große „Seerosen“-Stücke von Monet. Die etwas mehr als zweieinhalb auf fünfeinhalb Meter Twombly verdrängen auf den ersten Blick optisch alles andere. Der Besucher wird mit ihnen konfrontiert und sicherlich auch provoziert. Beides hebt aber die Ruhe hervor, welche in den anderen Gemälden des Raumes steckt. Deren meditativer Charakter wird durch den Gegenpol des abstrakten Expressionisten hervorgehoben und verstärkt. Dabei geschieht dann das Besondere: Das – für mich eigentlich abstoßende – „Untitled / Blooming …“ entfaltet, wenn man gewissermaßen daran vorbei schaut in den Tiefen des Gelbes – wo es von Spuren tropfender Roter Farbe durchzogen ist – eine ähnliche kontemplative Qualität, welche erst durch die Hängung offenbart wurde.

Ähnliche Effekte treten auch in den Kontrastierungen in anderen Räumen auf, wenn die stückweise detaillierte Gegenständlichkeit von Turners „Friede – Bestattung zur See“ und „Krieg – Das Exil und die Napfschnecke“ Twomblys großartigen, entrückten vier „Jahreszeiten“ gegenüber hängen oder wenn in der Themengruppe „Schönheit, Kraft und Raum“ die Grobheit von Monets Pinselstrich zwischen Twomblys abstrakten oder Turners atmosphärische Phänomene abbildenden sanften Farbflächen heraussticht.

TURNER, MONET, TWOMBLY. Later Paintings, 11.02.–28.05.2011, Staatsgalerie Stuttgart

Claude Monet: „London, das Parlament. Die Sonne bricht durch den Nebel“,
1904, Öl auf Leinwand
Musée d’Orsay, Paris © RMN (Musée d’Orsay)/Hervé Lewandowski

Nicht übersehen werden sollte, dass auch die Werke der einzelnen Künstler eine immense stilistische Spannweite aufweisen: so zwischen Monets vielen „Seerosen“ und den beiden eigentlich abstrakten Fassungen der „Japanischen Brücke“, zwischen Turners „Bacchus und Ariadne“ und dem „Sonnenuntergang über einem See“, zwischen Twomblys „Hero und Leandros“-Serie und „Camino Real (II)“. Erst durch diese Kontraste kann dem Betrachter im Ganzen bewusst werden, welche Bereicherung die Ausstellung für seinen Blick auf die einzelnen Künstler bietet. Unabhängig davon, ob man die Ausstellung betritt, um Turner, Monet oder Twombly zu sehen, erhält man einen neuen Blick auf den betreffenden Künstler und die jeweils anderen. Das gilt auch, weil sich die Künstler zwischendrin so gut ineinander fügen, wie unter der Überschrift „Atmosphäre“, wenn zwei Fassung von Monets „Waterloo Bridge“ zwischen Turners „Venedig mit Santa Maria della Salute“ und „Die Themse oberhalb der Waterloo Bridge“ hängen, als wären sie dafür gemalt worden.

Um die am schwierigsten zu kurierende Ausstellung seiner Karriere handele es sich hier, erläutert Jeremy Lewison nach dem Rundgang im Gespräch. Gerade weil die jungen Werke Twomblys auf viele kleinere Museen verteilt sind, mit denen Leihgaben schwerer zu vereinbaren sind als mit den großen. Wäre man bei der ursprünglich angedachten Kombination Turner, Monet und Mark Rothko geblieben, wäre das sicherlich leichter gefallen. Wechselseitige Leihgaben mussten ausgehandelt werden, viele Anfragen konnten auch nicht verwirklicht werden. Nicht zu vergessen, dass Monets Werke für Ausstellungen in der ganzen Welt sehr gefragt oder teilweise aufgrund ihres Erhaltungszustandes nicht transportfähig sind. Der Aufwand hat sich auf jeden Fall gelohnt. So erhalten die Stuttgarter hier eine herausragende Ausstellung, die zuvor schon den Stockholmern zuteil wurde und die anschließend an die Tate Liverpool weiterwandern wird.

Turners „Friede – Bestattung zur See“, Monets „London, das Parlament. Die Sonne bricht durch den Nebel“ und Twomblys „Paesaggio“ sind Highlights. Der Besucher wird die Räume sicherlich nicht verlassen, ohne dass ihm diese oder andere Bilder vor dem geistigen Auge stehen bleiben. Zuvor lohnt sich allerdings noch der Gang in den Erweiterungsbau der Alten Staatsgalerie: Der dort ausgestellte Rothko nämlich macht deutlich, wie gut die Wahl Twomblys ist, selbst wenn auch eine Rothko-Ausstellung wünschenswert gewesen wäre. Ein Teil des Reichtums an Bezügen und Kontrasten wäre der Ausstellung ohne Twombly auf jeden Fall abhanden gekommen. Wenn man dann schon mal da ist, lohnt es sich noch „Seestück (bewölkt)“ anzusehen. Der Kontrast zwischen dessen Maler Gerhard Richter (*1932) und seinem Altersgenossen Twombly könnten nicht größer sein. Wenn man das Bild aber mit Turners „Rauer See“ aus der Sonderausstellung vergleicht, schließt sich ein Kreis.

Ohne das Abstoßende umfängt das Schöne nicht wohlig, ohne das Erhabene schmeckt das Ruhige schal, ohne Dunkel kein Licht. Kontraste zeigen erst das Ganze. Und sie können, wie diese Ausstellung zeigt, bereichern, wenn man sich mit ihnen auseinandersetzt.

Dunkles Chaos und spiegelglatte Seerosenteiche, der Tod auf See und die Sonne, die durch den Nebel bricht. Eine Ausstellung voll Licht und Schatten. „Before see the light, you must die“, singt Tom Araya. Ganz so schlimm ist es glücklicherweise nicht. Ein Besuch in der Staatsgalerie reicht vollkommen.

Der Katalog zur Ausstellung ist beim Hatje Cantz Verlag erschienen und enthält 73 Abbildungen auf 272 Seiten mit Texten von Jeremy Lewison und Jo Widoff (ISBN: 978-3-7757-3000-6 – 29,90 €).

3 Gedanken zu „TURNER, MONET, TWOMBLY. Later Paintings, 11.02.–28.05.2012, Staatsgalerie, Stuttgart

  • 14. Februar 2012 um 10:14 Uhr
    Permalink

    Auch schön: die begleitende Website der Ausstellung. Da kann man virtuell die Bilder von den drei Künstlern vollsprühen – auch ein Besuch wert.

    https://www.machen-sie-sich-ihr-eigenes-bild.de/

    Interessante Betrachtungen, Claus, und Slayer haste auch noch untergebracht ;-)

  • 14. Februar 2012 um 10:54 Uhr
    Permalink

    Sich sein eigenes Bild machen, kann man in der Ausstellung noch auf andere Weise, denn es besteht die Möglichkeit, die eigenen Bewegungen in der Ausstellung über einen Chip aufzeichnen zu lassen.
    Das Bewegungsprofil kann dann – ergänzt durch eine Übersicht über die Daten aller Besucher – im Stile eines abstrakten Gemäldes auf einer Postkarte ausgedruckt mitgenommen werden. Dieser Service ist kostenlos.

  • 15. März 2012 um 16:27 Uhr
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    …oder halt in den 12,00 € Eintritt inbegriffen ;-)
    Jaja, es geht um Kunst, ich weiß …

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