ÄL JAWALA, 11.02.2012, Wagenhallen, Stuttgart

Äl Jawala

Foto: Özlem Yavuz

Saukalt ist es an diesem Samstagabend, und die Wagenhallen füllen sich nur sehr langsam. Äl Jawala haben sich heute angekündigt, „Balkan Big Beats“ wollen sie zum Besten geben.

So so. Balkan Beats? War das nicht der Hype von vorgestern? Damals, als wir alle zu Shantel in eben diese Wagenhallen strömten und uns mit mörderlautem Turbo-Brass und Ostblock-Polka bearbeiten ließen? Als wir Lust auf die Originale bekamen, zu Fanfare Ciocarlia und und dem Boban Markovic Orkestar pilgerten?

Irgendwie haben wir zwischen all diesen imposanten Blaskapellen vom Ausmaß ganzer Fußballmannschaften wohl übersehen, dass quasi vor unserer Haustür eine kleine Band die Balkanmusik neu erfunden hat.

„Die Reisenden“ – so die Übersetzung aus dem Arabischen – nennt sich die fünfköpfige Kapelle und sie kommt aus Freiburg. Steffi, Krischan, Markus, Daniel und Daniel – das klingt wirklich nicht so, als ob sie den Balkan-Groove schon mit der Muttermilch verabreicht bekommen hätten. Den Authentizitäts-Vorschuss können sie jedenfalls nicht verbuchen. Und was für eine sperrige Besetzung: zwei Saxophone (Alt und Tenor), Bass, Drums, Percussions und Keyboards. Lassen wir uns mal überraschen, was da so wohl so auf uns zukommt.

Gegen 22 Uhr ist die Halle dann knapp zu einem Drittel gefüllt und im Nebenraum beginnt es zu rumoren. Auf geht die Tür – Saxophone, Trommeln und Bass ertönen – und im Gänsemarsch kommen sie herein, die Reisenden. Unplugged machen sie einen Rundgang durch die Halle und spielen ihren ersten Titel mitten im freudig überraschten Publikum. Eine feine Idee, das Eis ist gleich gebrochen – das kann ein schöner Abend werden.

Und als die Fünf dann die Bühne betreten, das mobile gegen das komplette Equipment austauschen und mit vollem Druck loslegen, ist auch schon die erste Bewegung im Publikum zu verzeichnen. Sehr erfreulich: der Sound ist exzellent, auf einem massivem Bassfundament und vor sehr knackigen Schlagwerkzeugen spielen die Saxophone ihre orientalischen Melodien.

Äl Jawala

Foto: Özlem Yavuz

Ja, diese Saxophon-Melodien. Nahezu pausenlos mäandern sie umeinander herum. Mancher mag das monoton finden, tatsächlich ist geradezu hypnotisch und zwingend tanzbar. Mühelos und leichtfüßig klingt das, aber was für ein Kraftakt muss das für Steffi Schimmer und Krischan Lukanow sein.

Ihrem Ruf als hervorragende Liveband werden Äl Jawala jedenfalls mehr als gerecht. Da passt jedes Timing, die Spannung wird über den ganzen Abend gehalten. Kein Wunder, dass irgendwann der ganze Laden tanzt. Die Rhythmen sind allerdings auch maximal wirksam: Ska, Polka, Cumbia – alles, was direkt ins Tanzbein geht, wird aufgefahren. Und vor allem werden die Grenzen des Genres „Balkan Beats“ – so es hier überhaupt noch passt – in alle Richtungen gesprengt.

Äl Jawala

Foto: Özlem Yavuz

Einen Mordsspaß haben ganz offensichtlich auch die Herren der Rhythmus-Sektion: nahezu bei jedem Lied tauschen Markus Schumacher und Daniel Pellegrini ihre Plätze an den Percussions, dem Schlagzeug und den Keyboards. Und – wichtige Erkenntnis: sechssaitige Bässe sind doch nicht nur unnötiges Equipment für musikalische Poser. Wenn man ihn so virtuos spielt wie Daniel Verdier, bekommt auch dieser Monster-Bass einen Sinn. Ein weiterer musikalischer Höhepunkt sind die beiden Didgeridoo-Stücke von Daniel Pellegrini.

Ein anderes Instrument beherrschen Äl Jawala übrigens auch ganz virtuos: das Internet. Hier werden die Fans mit Original-Einzelspuren zum Remix-Wettbewerb aufgefordert und jeder kann sich mit einem Beitrag für die Gestaltung des nächsten CD-Covers bewerben.

Knapp zwei Stunden später werden dann nochmal die tragbaren Instrumente umgeschnallt und der Abend endet, wie er begonnen hat. Inmitten des inzwischen restlos begeisterten Publikums gibt’s ein letztes Ständchen – und Äl Jawala verschwinden durch die Tür, durch die sie gekommen sind. Einen Haufen neuer Fans dürften sie sich heute erspielt haben. Und die können schon bald wieder ihren Spaß haben: am 27.4. sind Äl Jawala im Kulturhaus Schwanen in Waiblingen.

Äl Jawala

Foto: Özlem Yavuz

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