RAPHAEL SAADIQ, 08.11.2011, Manufaktur, Schorndorf

Foto: Thorsten Weh

Die Frage, die sich mir erst nach diesem Konzert beim „Nachrecherchieren“ stellt, ist, ob 12 Grammys in die Manufaktur passen. So viele hat Raphael Saadiq laut Wikipedia zu Hause stehen. Vielleicht ist auch die bessere Frage: Wieso hat ein Mann, der so viele Meilensteine in der Soulmusik jüngerer Geschichte hinterlassen hat, zumindest in Europa nie den großen Bekanntheitsgrad erlangt?

Ohne diese Fragen zu beantworten, aber um diesem Umstand Rechnung zu tragen, vorab ein paar Fakten: Mit 18 spielte er in der Backing-Band von Prince auf Tour. In den 90ern war er überaus erfolgreich mit dem R’n’B-Trio Tony! Toni! Tone!. Ende der 90er gründete er zusammen mit Dawn Robinson von En Vogue, Ali Shaheed Muhammad von A Tribe Called Quest und anfangs noch D’Angelo die R’n’B-„Supergroup“ Lucy Pearl.

Dann folgten seine Soloalben, allesamt erfolgreich und von Kritikern gefeiert, bei den letzten beiden Alben sehr stark beeinflusst von Soul aus den 60er Jahren. Und er hat mit so vielen R’n’B- und HipHop-Künstlern zusammengearbeitet, dass man nur einen Blick auf die Liste bei wikipedia empfehlen kann.

Doch zum eigentlichen Thema: Die Atmosphäre in der Manufaktur ist wenig überraschend gemütlich, es scheinen sich einige Cliquen zu treffen und auch ich stoße auf viele bekannte Stuttgarter Gesichter, die den Weg nach Schorndorf auf sich genommen haben. Die erste Reihe, um Fotos zu machen, ist ohne Umstände erreicht, alle sind entspannt und harren der Dinge.

Als Vorgruppe stellen sich The Thiams aus Berlin vor, und sie entschuldigen sich viel öfter dafür, dass sie nicht Raphael Saadiq sind, und sie versprechen viel häufiger, dass Raphael Saadiq ja gleich kommt, als sie angesichts ihrer Performance müssten. Zwei gute Sängerinnen und zwei gute Musiker sind eine gute Kombination, in ihrer Art Musik zu machen stecken viele gute Ideen, und man muss einfach nur abwarten, bis man noch von ihnen hören wird.

Dann betritt Raphael Saadiq mit Brille und Gitarre die Bühne, er ist ganz in schwarz gekleidet und füllt den Raum sofort mit seinem Charisma. Hört sich vielleicht schwülstig an, aber das ist das Gefühl, das seine Bühnenpräsenz bei mir hinterlässt. Umgeben ist er von seiner Liveband Stone Rollin, Gitarre, Bass, Schlagzeug, zwei Backgroundsänger und ein Mann an den Keyboards mit beindruckendem Körperumfang.

Es geht los mit einem Uptempo-Stück von einem seiner letzten beiden Alben, und der angenehm altmodische aber keineswegs angestaubte Sound von „The Way I See It“ und „Stone Rollin“ wird das bestimmende Thema des ganzen Abends sein. Wer gerne vor 50 Jahren bei einem Soul-Konzert im Apollo Theater in Harlem dabei gewesen wäre – also rein hypothetisch – der ist an diesem Abend goldrichtig.

Die erste Überraschung des Abends ist der Keyboarder, der trotz seiner Leibesfülle eine beeindruckende Tanzperformance hinlegt. Und nicht nur er tanzt, das Publikum tanzt mit. Was manchmal etwas peinlich sein kann, ist hier unvermeidbar, auch bei den langsamen Songs bewegen sich alle im Takt.

Zurück zur Eingangsfrage: Passen 12 Grammys in die Manufaktur? Raphael Saadiq scheint es völlig egal zu sein, wie groß oder klein die Halle und wie weit weg von einer Stadt die Location ist. Er schwimmt auf der Begeisterungswelle, er sagt, dass er froh ist hier zu sein, wahrscheinlich ohne zu wissen, wo hier ist.

Auf der Bühne, das wird schnell sichtbar, steht er im Mittelpunkt, die Band umrahmt und begleitet ihn. Ab und zu darf ein Bandmitglied ins Rampenlicht treten, mit einem perfekt ausgeführten Solo, aber immer auf Zeichen von Saadiq und nur so lange er es will. Das ist aber nicht unsympathisch, er und die Band bilden eine musikalische Einheit.

Die zweite Überraschung des Abends: Immer wieder, und das ist keine Show, wird improvisiert. Saadiq lässt sich so lange Zeit mit seinem Einsatz, dass man denkt, es gibt technische Probleme, er lässt die Band mit geschlossenen Augen so lange spielen bis er den richtigen Zeitpunkt gekommen sieht, zu singen. Manchmal scheint die Band erstaunt ob der Timings von Saadiq, findet aber immer so perfekt zu ihm, dass man fast doch wieder an eine einstudierte Show glaubt. Aber nur fast.

Dass zwei Stunden mit Songs, von denen der Großteil des Publikums einen Großteil nicht kennen dürfte, so schnell vergehen, liegt an der Faszination, mit der man das eingespielte Ensemble auf der Bühne betrachtet. Und wie zur Belohnung werden „Hits“ wie „Don’t Mess With My Man“ von Lucy Pearl, „Let The Sunshine“ aus Hair oder ein Song, dessen Intro frappierend an „Always There“ von Incognito erinnert, eingestreut.

Dann ist das Konzert nach einer ausgedehnten Zugabe zu Ende, zurück bleibt ein überaus begeistertes Publikum und die Erkenntnis, dass Raphael Saadiq die Entscheidung, die er irgendwann vor 2008 getroffen haben muss, sich mit echtem und altem Soul von aktuellen über-glatten und über-produzieten R’n’B-Sounds abzuheben, die wahrscheinlich beste seines musikalischen Lebens war und er damit einer Manufaktur voller Leute einen wundervollen Abend beschert hat.

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