ANNA CALVI, JIM KROFT, 27.10.2011, Manufaktur, Schorndorf

ANNA CALVI, 27.10.2011, Manufaktur, Schorndorf

Foto: Steffen Schmid

Wahnsinn, diese Stimme! Man kann eigentlich gar nicht glauben, was da in die Schorndorfer Manufaktur gekommen ist. Dabei habe ich Anna Calvi schon Monate vorher auf der Fahrt zu Swans nach München kennengelernt – die Musik meine ich, nicht die Frau. Es hat nur zwei Songs gedauert, bevor ich mich entschlossen habe, auf jeden Fall mit aufs Konzert zu gehen. Obwohl ich einräumen muss, dass mich die Platte nicht auf das vorbereiten konnte, was ich dann zu hören bekomme.

Als Vorprogramm gab es allerdings zunächst Jim Kroft, einen in Berlin ansässigen schottischen Singer/Songwriter, der nach seinen Banderfahrungen mit Myriad Creatures nun auf Solopfaden wandelt. Im Gepäck hat er sein zweites Album „The Hermit And The Hedonist“. Leider kann er schon ohne den direkten Vergleich mit Anna Calvi nicht wirklich überzeugen, denn zu sehr verlässt er sich beim Komponieren auf vielgeschrittene musikalische Gangarten und Klischees, die langweilen.

Sympathisch wirkt er mit seinem beständigen Wechsel zwischen Deutsch und Englisch ja schon. Die häufig mehrstimmigen Gesangspassagen sind durchaus nicht einfach und umsomehr gekonnt wiedergegeben. Und ich möchte Jim Kroft auch abnehmen, dass er mit seinen Stücken jene tatsächlich empfundene Emotionalität ausdrücken möchte, die es im Pop so selten gibt. Wenn man einen Mangel an Inhalt mit zu hochtrabenden Mitteln ausdrückt, läuft man ja Gefahr, in Schwulst abzudriften. Mein Eindruck bei Jim Kroft dagegen war, dass er ein großes Maß an Inhalt mit ausgelutschten Mitteln rüberbringen möchte, was schade ist, aber immerhin nicht so fade, wie einen Mangel an Inhalt mit einem Mangel an musikalischen Mitteln zu paaren, wie das viele tun. Empfehlenswert ist es da, sich die chronisch unterbewerteten Anathema mal genauer anzuhören – für das Publikum wegen der großartigen Musik, die es zu entdecken gilt, und für Jim Kroft wegen der musikalischen Ketten, die er abzuschütteln lernen könnte. Naja, oder man wartet einfach ein paar Minuten, bis Anna Calvi auf die Bühne kommt.

ANNA CALVI, 27.10.2011, Manufaktur, Schorndorf

Foto: Steffen Schmid

Da geht zwischen den Songs so ein Raunen durch das Publikum: „großartig“, höre ich da, „hammermäßig“ oder „unglaublich“. Ja, genau. Auf so etwas konnte uns selbst das Album oder der Arte-Bericht nicht vorbereiten. Wie es dort heißt, höre sie nur Musiker, deren Musik sie wirklich bewegte und die von sich beim Singen alles gaben. So wollte sie selbst auch werden – und nun scheint genau das eingetreten zu sein: Das tendenziell grau-melierte Publikum in der fast vollständig ausverkauften Manufaktur ist schon nach dem ersten Song sichtlich berührt und der Sängerin schlichtweg ausgeliefert. Dass diese zierliche, kleine Frau indes alles in Ihre Musik legt, kann man einfach hören. Wie sonst sollte sich eine solche Stimme entfalten können?

Sie ist so warm, dass man erzittert, bestechend zart, erotisch hingehaucht oder so voll, dass jeder andere Gedanke aus dem Saal verdrängt wird. Diese Stimme macht Anna Calvi zu einer Lola Lola, die jeden Professor Rath ins Unglück stürzen könnte. Wenn sie ins Mikrophon haucht, sieht man sie als Femme Fatale in verrauchten Clubs der Vierzigern, wie sie in keinem Chandler-Roman fehlen dürfte. Daneben aber stehen diese druckvollen Passagen, die eher an Sinéad O’Connors Big-Band-Album „Am I not Your Girl“ oder an Anna Calvis Vorbild Édith Piaf erinnern.

Gepaart ist diese Stimme jedoch keineswegs mit irgendwelcher gewöhnlicher, abgenudelter Musik, wie sie uns Jim Kroft geboten hatte. Diese nämlich enthält gerade noch so viele eingängige Passagen, um den großen Erfolg des selbstbetitelten Debütalbums mit elf Top-Hundert-Platzierungen in europäischen Album-Charts – davon sieben in der Top-Vierzig, einer in der Top-Ten – zu erklären. Immerhin wird Anna Calvi 2012 mit dem European Border Breakers Award geehrt werden, wie ihre Website verrät.

ANNA CALVI, 27.10.2011, Manufaktur, Schorndorf

Foto: Steffen Schmid

Zwischen diesen eingängigen Passagen ist die Musik völlig eigenständig und spielt mit musikalischen Vorbildern jeder Couleur. Man meint die Pop-Geschichte des 20. Jahrhunderts an sich vorbei rauschen zu hören, und kann doch kaum jemals konkrete Referenzen benennen, am deutlichsten vielleicht David Bowie in „Desire“. Im Gitarrenspiel hört man vage Einflüsse von Jimi Hendrix oder Mark Knopfler, findet Strukturen wie in Neil YoungsDead Man“-Soundtrack oder Melodien wie in spanischer Folklore oder Blues. Man hört ein bisschen Nick Cave und ein bisschen Swans. Dabei kitzeln Anna Calvi, ihr Schlagzeuger Daniel Maiden-Wood und ihre Keyboarderin und Percussionistin Mally Harpaz alles an Varianzen aus den Instrumenten heraus, ohne jemals in klischeehafte Bahnen zu geraten. Live wird einem das noch bewusster, während die Musik zugleich emotional unmittelbarer und eindruckvoller wird. Die einzige Singer/Songwriterin, die derzeit ähnlich Originelles, wenngleich musikalisch noch Druckvolleres bietet, ist die Britin Rose Kemp, an welche ich mich wiederholt erinnert fühle, wobei deren Gesang anders als Anna Calvis gekünstelter und weit weniger natürlich wirkt.

Vor der Musikerin werden wir zu Getriebenen durch die Melodien des live fast bedrohlich wirkenden Refrains von „Blackout“, das doch nie die Pfade hochwertigen Pops verlässt. Wir werden gehetzt durch „I‘ll Be Your Man“, das sicherlich im Soundtrack des nächsten Quentin Tarantino-Filmes Verwendung finden wird, bevor sie einen bei „First We Kiss“ oder den Melodiebögen von „The Devil“, das ein wenig an Jex Thoths Side-Project Sabbath Assembly erinnert, von einer Gänsehaut zur nächsten jagt. Bei „Morning Light“ und meinem persönlichen Favoriten „Love Won’t Be Leaving“ zeigt Anna Calvi die komplette Spannbreite ihrer Musik komprimiert: Von vollständiger Reduzierung mit Flüstern zu einzelnen Beckenklängen oder atmosphärischen Einzeltönen mit scharfen metallischen Geräuschen bis zum – anders kann man es nicht ausdrücken – musikalischen Donnerschlag, bei dem uns der Refrain mit voller Wucht trifft, hat Sie das Publikum fest in der Hand.

Als eine Frau lauthals nach „Jezebel“ ruft, flüstert die Sängerin nur „It’s coming“. Und tatsächlich findet der Abend mit diesem nach Elvis Presleys „Surrender“ und TV On The Radios „Wolf Like Me“ dritten großartigen Cover – hier eines Songs von Wayne Shanklin – zu einem monumentalen Abschluss, bei dem uns Anna Calvis Stimme um mehr bereichert verlässt, als ich das zu hoffen gewagt hätte.

2 Gedanken zu „ANNA CALVI, JIM KROFT, 27.10.2011, Manufaktur, Schorndorf

  • 30. Oktober 2011 um 19:35 Uhr
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    es war wirklich ein grandioses Konzert einer unglaublichen Musikerin. Ich hoffe sehr dass ein Livealbum erscheinen wird, da ihr Debütalbum (welches wirklich gut ist) leider die unglaubliche Energie die sie auf der Bühne hat nicht ganz vermitteln kann.

  • 9. Dezember 2011 um 02:02 Uhr
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    Danke für den Bericht, der im Ton und Urteil auf den Punkt trifft. Ich habe Calvi in New York sehen dürfen, und es ist selten genug, aber das Konzert ließ mich still und atemlos zurück.

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