SUNN O))), 27.09.2011, Jubez, Karlsruhe

Sunn O)))

Foto: Patrick Grossien

Ein Konzert von Sunn O))) könnte wahnsinnig langweilig sein: Zu sehen gibt es nichts, die – laut Setlist – rund 20 Stücke klingen wie eines und sind eigentlich nur unstrukturierter Lärm, der sich über zwei Stunden kaum verändert. Bis auf die abnorme Lautstärke klingt das einschläfernd. Im Gegenteil aber tritt in keinem Moment Langeweile ein: Zu überwältigend und nuanciert ist der Sound, und zu stimmig ist das Konzept – inklusive Teileinsturz der Halle.

Sunn O))), der bekanntesten Drone Doom-Band, eilt ein großer Ruf voraus. Es ist die am meisten beachtete Band ihres Genres. Und auch auf gig-blog ist sie schon von Tox und bertramprimus gewürdigt worden. Nun ist Drone Doom nicht gerade die Musikrichtung, die Bands den größten musikalischen Spielraum lässt. Tatsächlich ist sie mehr ein Spiel mit dem Sound: Sie ist beschränkt auf einen Halteton, den Bordun, welcher musiktheoretisch nur als Begleitung einer Melodie dient. Diese Melodie aber wird hier weggelassen. Dafür wird der Halteton, mit der runter gestimmten Gitarre oder dem Bass erzeugt, an Lautstärke ins Unermessliche gesteigert, bis die gesamte Wahrnehmung von diesem Dröhnen erfüllt ist. Außer dem Klang selbst wird dabei alles weggelassen, was üblicherweise Musik auszeichnet.

Angesichts dieses Minimalismus davon zu sprechen, dass Sunn O))) – oder irgendeine andere Band des Genres – die Beste sei, halte ich für überzogen, denn woran sollte sich das messen lassen? An der Wahl der Verstärker und Effektgeräte? An der Leistung des Mischers? Insofern bin ich durchaus der Ansicht, dass Sunn O))) überbewertet sind – relativ zu anderen Bands des Genres versteht sich. Dass diese ganze Art von Musik (oder Klang) Geschmackssache ist, ist selbstverständlich. Also, ich mag’s.

Wenn alles außer dem Klang weggelassen wird, ist der Klang alles, das A und O. Und genau als solches wird er hier auch verehrt. Ein Sunn O)))-Konzert hat eine quasi-religiöse Dimension. Und dementsprechend treten die Musiker auch wie die Priester einer Klangreligion auf: Ohnehin schon in übergroßen Mönchsroben gekleidet, erheben die beiden amerikanischen Gitarristen Stephen O‘Malley und Greg Anderson immer wieder die Arme in einer Anbetungsgeste in die Höhe. Gegenstand dieser Verehrung ist das, was aus den zwölf Boxentürmen mit Topteilen heraus wummert, die wie ein elektrisches Soundhenge im Halbkreis um sie errichtet sind. Perfekt ausgedrückt wurde das eigentlich von einer ganz anderen Band: Auf einem Black Shape of Nexus-T-Shirt sehen wir Jesus als Cristo Redentor mit ausgebreiteten Armen vor einem Verstärkerturm stehen. Der Sound ist Gott. Unser Gott ist der Sound.

Sunn O)))

Foto: Patrick Grossien

An diesem Abend hat er drei Phasen: In der ersten, 25 Minuten währenden, beschert uns der australische Synthesizer-Artist Oren Ambarchi erst ein Stück aus verfremdeten, Didgeridoo-artigen Sounds mit gebetartigem, unnatürlich tiefem Murmelgesang, bevor eine Kakophonie aus unterschiedlichen Blasinstrumenten losbricht, die nach und nach durch tiefe Streicher und zupfbare Saiteninstrumente unterschiedlicher Art sowie schließlich Klavier angereichert wird. Das Ganze findet in einem derart dichten Nebel statt, dass ich mir nicht sicher bin, ob überhaupt jemand auf der Bühne steht. Auch später werde ich von Oren nur die Hände sehen, denn alles andere verschwindet unter der Mönchsrobe, welche auch die beiden Gitarristen tragen, die ich schließlich im Nebel erkennen kann.

Sie stimmen die zweite Phase des Konzertes an: Eine einzige Homage an den Sustain, jene wunderbare Eigenschaft, welche erst die Erfindung der E-Gitarre möglich gemacht hat, dass sie nämlich dank Rückkopplung endlos klingen kann, ohne wieder angeschlagen zu werden. Herbert Grönemeyer hat einmal diesen schlimmen Popsong geschrieben:

„Sie mag Musik nur, wenn sie laut ist
Wenn sie in den Magen fährt“

Bei Sunn O))) hätte sie auf jeden Fall vergessen, dass sie taub ist. Sie sind ausschließlich tieffrequent. Und sie sind so laut, dass man die Musik nicht nur mit dem Magen, sondern selbst mit den Zählen hören kann. Gehörschutz ist da Pflicht. Und deshalb tragen die Musiker unter ihren Mönchsroben auch ganz unprätentiösen Kapselgehörschutz wie die Bauarbeiter. Ich habe ein echtes Faible für den Klang der E-Gitarre. Vielleicht geht mir deshalb bei so etwas derart das Herz auf. Sunn O))) ist gewissermaßen die musikalische Entsprechung zum Abstrakten Expressionismus eines Mark Rothko. Sich mit dieser Kunst und Musik zu befassen, ist eine fast meditative Handlung. Man kann ganz im Klang aufgehen. Mehr macht das Publikum freilich auch nicht. Es steht einfach da. Wie wollte man sich zu einem schwebenden Ton, welcher das Gebäude bis in die Grundfesten erschüttert, auch bewegen?

In der 57. Minute betritt schließlich der Ungar Attila Csihar die Bühne und deutet damit den Beginn der dritten Phase des Konzertes an. Mehr als eine Andeutung ist es aber nicht, denn erst in der 75. Minute fällt der Stupor von ihm ab, und er wendet sich dem Mikrophon zu. Zuvor jedoch erreicht der zweite Teil seinen eindringlichsten Abschnitt, in welchem man befürchten muss, dass das Oropax versagt. Es ist eine ungeheuerliche Wand aus purem Klang, so voll, so dicht, man weiß nicht, wie man’s nennen soll. In diesem Moment scheppern sogar die Bleche der Scheinwerfer an der Decke. Außer dass man das Beben der Kleidung auf dem Leib spürt, bleibt aber alles unbeweglich: im Publikum und auf der Bühne.

Attila, der mit Mayhem noch in einer zweiten Band spielt, die wie Sunn O))) ganz weit oben auf der Liste des Krassesten steht, was Musiker bisher hervorgebracht haben, steuert dann den für ihn typischen vielschichtigen Gesang bei, wobei er zwischen gesprochenen, gesungenen und mal einatmend, mal ausatmend gegrowlten Passagen wechselt oder Black Metal-typisches Keifen von sich gibt. In dieser dritten Phase des Konzertes kommt dann auch die meiste Abwechslung in die Musik. Eine Abwechslung, die zumeist darin besteht, dass Synthesizer und Gitarren um die Vorherrschaft in diesem Gewitter obskurer Sounds streiten, worin die beiden vorherigen Phasen folgerichtig aufgehen.

Und es ist auch hier, in der 113. Minute, dass ich schmerzhaft von einem mittelgroßen Blechteil an der Schulter getroffen werde, dass sich aus seiner Verankerung in der Decke gelöst hat und zu Boden stürzt. Recht zügig leert sich dieser Abschnitt des Saales, da offensichtlich ist, dass demnächst noch mehr der Deckenlampen auseinanderfallen werden. Das Jubez ist also offensichtlich nicht für Sunn O))) gebaut. Anders das Publikum, das nach dem plötzlichen Abreißen der Soundwand in der 124. Minute lauthals nach einer Zugabe schreit. Vergeblich allerdings. Leider! Aber Sunn O))) werden wieder kommen. Dann wieder dabei zu sein, ist unerlässlich.

Sunn O)))

Foto: Patrick Grossien

9 Gedanken zu „SUNN O))), 27.09.2011, Jubez, Karlsruhe

  • 2. Oktober 2011 um 13:24 Uhr
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    Endlich der Bericht, endlich Bilder, endlich kann ich jetzt sehen, was sich da auf der Bühne weniges getan hat. Ich habe den Großteil der Show sitzend an die Wand gelehnt verbracht, um mir mal so richtig schön den Rücken massieren zu lassen, bzw. wie Du richtig erwähnst, die Zähne. Kopf an die Wand, und selbige haben geklappert, als würde ich erfrieren. Dass Atilla erst spät hinzu kam fand ich besser als in Schorndorf, von mir aus könnten sie gerne wieder nur instrumental spielen. Nächstes mal werde ich auch auf professionellen Hörschutz zurückgreifen, irgendwas, was auch auf dem Rollfeld von Flughäfen Verwendung findet. Trotz halbwegs gutem Gehörschutz 2 Tage in Watte gelebt. Um mich rum waren einige ohne Schutz. Eine neue Extremsportart? Den Absturz von Scheinwerfern habe ich gar nicht mitbekommen, Du vielleicht nicht den Feueralarm ausgelöst durch entweder Rauchmelder und/oder Erdbebensensoren.
    Leicht abgestürzt ist auch Stephen O’Malley, der gegen später noch im Aufenthaltsbereich unterwegs war, und seinen Rotwein am Merch umgeschmissen hat, und eine ordentliche Sauerei gemacht hat, als“spilled by O’Malley“ könnte das Vinyl mal viel wert sein. Er hat mir schwerstens empfohlen zum Oren zu gehen, auch demnächst im JUBEZ.
    War super, und Dir Respekt wieviel Du aus dem Konzert rausgeholt hast.

  • 3. Oktober 2011 um 08:50 Uhr
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    Beeindruckender Beitrag und Bilder. Ich dachte bisher, mir sei nichts musikalisches fremd. Aber Begriffe „Drone Doom“, „Bordun“ und die ganze Musiktheorie dazu hatte ich noch nie gehört. Hamma wieder was gelernt – ums mit Markus Kavka zu sagen. ;)

  • 4. Oktober 2011 um 10:05 Uhr
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    Soundhenge! :)

  • 4. Oktober 2011 um 16:36 Uhr
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    Spitzenartikel und -fotos!!!

  • 4. Oktober 2011 um 18:06 Uhr
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    Die Strangeness kam rüber

  • Pingback: Doom Metal - Seite 13

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