LAETITIA SADIER, 06.06.2011, Schocken, Stuttgart

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Foto: bertramprimus

Um es gleich klar zu sagen: in der zweiten Hälfte der 90er waren in meiner Welt Stereolab groß, ganz groß. Vor allem in ihrer Mars Audiac Quintet und Emperor Tomato Ketchup Phase fand ich ihre Mischung aus strammen Gitarren, krautrockigen Rhythmen und den federleichten Popmelodien, gesungen von, genau, Laetitia Sadier, einfach unwiderstehlich. Insbesondere die Konzerte waren damals faszinierende, hypnotische Ereignisse.

Nun scheint es wohl, als seien Stereolab Geschichte, und Madame Sadier tourt solo durch die Gegend. Richtig solo, keine Begleitmusiker. Nur sie, eine Gibson, Fenderverstärker und ein Mikro. Und das mir, als Freund orchestrierter und üppiger Musik. Betourt wird ihr aktuelles Album „The Trip“, auf dem übrigens auch die nicht weniger bezaubernde April March mitwirkt.

Nicht allzu viele Leute haben sich heute Abend hier eingefunden. Da kribbelt’s einem mal wieder in den Finger wutentbrannt das Wort „Banausen“ in die Stadt rauszutippen, aber egal. So befinden wir uns in einer schönen, intimen Atmosphäre als Laetitia das Konzert mit dem Song Fluid Sands beginnt, „a song about divorce“ wie sie uns mitteilt. Die minimale Instrumentierung funktioniert wider meines Erwarten bestens. Erst heute Abend wird mir klar, dass die Frau auch wirklich eine wunderbare Sängerin ist. Bei den Stereolab-Konzerten war mir das nie bewusst geworden. Tröstend für alle Hobbymusizisten verspielt sie sich einige, wenige Male bei diesem Stück, allerdings extrem charmant, und beendet den Song singend mit „does not want to be played tonight“. Tolles Lied nebenbei.

Gut gelaunt ist sie, lächelt viel in ihrem Sommerkleid, und sagt ihre Stücke launig an und ab. Übrigens werden auch einige Lieder von ihrem Projekt Monade geboten, wie z.B. das darauf folgende „Lost Language“. „The Natural Child“ hingegen ist ihrer jüngeren Schwester Noelle gewidmet, die sich vor nicht allzu langer Zeit das Leben genommen hat. Erstaunlich, aber auch rührend, wie sie die Trauer musikalisch in ihren aktuellen Songs verarbeitet hat. Natürlich durchdringt Melancholie die Stücke, aber trotzdem klingen sie leicht, schwerelos, sehr zugänglich.

„Un Express“ ist wieder von Monade, ein „non love song“ wie sie uns mitteilt, auf französisch gesungen, wunderbar wie alles was sie uns heute präsentiert. Kleiner Musik-Nerdbeitrag: wie Gruff Rhys ist auch sie Linkshänderin, und spielt die Gitarre quasi verkehrt herum. Die tiefen Saiten sind also unten. Schlecht zum Akkorde abschauen für einen Rechtshänder wie mich.

Weiter geht’s mit einem „angry song“, der den Sarkozys und Berlusconis gewidmet ist. „Wash And Dance“ heißt er, und klingt natürlich gar nicht angry, sondern so schön wie der ganze Rest, da ändern auch paar schrägere Akkorde und der Schrei am Ende nichts. Wenn Lemmy singt, kommt Rock’n’Roll raus, bei Laetitia eben luftiger Retropop, egal wie sie’s anstellt. Und das ist aber auch genau richtig so. „Statues Can Bend“ kündigt sie als die Hitsingle des aktuellen Albums an, ein „No. 1 hit“, zumindest „in my living room“ wie sie hinter her schiebt. Hier kommt die Melancholie etwas stärker zum Tragen, aber natürlich immer noch heliumgefüllt.

Ein zum Sterben schönes Stück ist dann „Where Did I Go“. Wunderbare Harmonien, engelsgleicher Gesang, eine Melodie aus einer anderen Welt. Ganz, ganz großartig! Ein Stück gibt es noch vor der Zugabe, „The Swim“ heißt es, und als Bonus-Info erfahren wir dazu, dass die Sadier gestern in der Isar schwimmen war. Sei ihr gegönnt, wir gönnen uns dieses tolle Lied, ein sehr spezielles Konzert und noch zwei Zugaben. Den Titelsong des aktuellen Albums „The Trip“ und „By The Sea“. Letzteres eine Coverversion eines obskuren Mädchenduos Ende der 60er namens Wendy And Bonnie. Wurde wohl erst letztes Jahr das erste Mal veröffentlicht, war aber natürlich ein paar anwesenden Connoisseuren aus dem Second Hand Records-Umfeld ein Begriff, Ehrensache.

Großartiges Konzert Madame Sadier, kommen Sie bald wieder. Und vielleicht sind das nächste Mal auch ein paar Leute mehr dabei, die Ihnen zuhören werden. Das muss doch mehr Leuten gefallen, muss…

9 Gedanken zu „LAETITIA SADIER, 06.06.2011, Schocken, Stuttgart

  • 7. Juni 2011 um 10:24 Uhr
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    Durchgehend rote Beleuchtung scheint ja momentan der hotteste shit im Beleuchtungsdesign zu sein, schaut man sich die Fotos der letzten drei Konzerte an :)

  • 7. Juni 2011 um 10:29 Uhr
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    bis der erste Fotograf mal zu Recht Amok laufen wird…

  • 7. Juni 2011 um 14:24 Uhr
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    Schwarz-Weis macht das Fotografieren ja nicht einfacher, das rote Licht bleibt ja langwellig… ein knalliges violett wäre angesagt!

  • 7. Juni 2011 um 21:41 Uhr
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    Gruff Rhys ist scheint’s schon Rechtshänder, lies selbst (source: wikipedia) – total verrückt:

    Rhys plays the guitar in an unusual style. Although he is right-handed, he learnt to play left-handed on his brother’s left-handed guitar. Once his brother left home, however, Rhys only had access to a right-handed guitar. As he had already learnt to play left-handed, and rather than invert the nut and re-string it, he taught himself to play the right-handed guitar upside down so the bass strings are on the bottom. Today, Rhys still plays left-handed on an upside down right-handed guitar.

  • 7. Juni 2011 um 21:45 Uhr
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    jetzt versteh ich erst was daran ungewöhnlich sein sollte damals. Das ist wirklich extrem unüblich.

  • 8. Juni 2011 um 13:10 Uhr
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    Schön, dass hier der feine musikalische Wochenstart atmosphärisch gerecht eingefangen ist. Vielen Dank an den Autor !

  • 10. Juni 2011 um 15:16 Uhr
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    ich mach ne gruppe der rot hasser auf! wartet mal die Burning Hell Bilder ab. Ich war auch kurz davor auf s/w umzusteigen. Der CrashKurs „Using Red Gels for Lighting Events“ muss für umme irgendwo erhältlich sein.

  • 13. Juni 2011 um 17:49 Uhr
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    rotes licht macht eben schöner … aber mit violett bin ich durchaus einverstanden.

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